Erlaubt sind nur kleine Fische

Von Ruth Kirchner |
Wegen der Einschränkungen für Journalisten sind es in der Volksrepublik China nicht die traditionellen Medien, die wichtige Nachrichten verbreiten, sondern Blogs und Mikroblogs. In der letzten Zeit haben sie mit Enthüllungsgeschichten über Korruption von sich reden gemacht.
"Das Internet ist heute in China die schärfste Waffe im Kampf gegen die Korruption. Wir haben keine Demokratie und keinen Rechtsstaat. Funktionäre unterliegen keiner öffentlichen Kontrolle. Daher spielen die Mikroblogs eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Informationen. "

Fälle von Korruption und Bestechlichkeit aufzudecken, hat sich Journalist Zhu zur Lebensaufgabe gemacht – obwohl er deshalb immer wieder Drohanrufe und sogar Morddrohungen erhält.

Trotz des Drucks betreibt der 44-Jährige neuerdings seine Arbeit mit neuem Optimismus und Elan. Denn der neue Chef von Chinas Kommunistischer Partei, Xi Jinping, hat bei seinem Amtsantritt im November großes Ankündigungen gemacht und damit große Hoffnungen geweckt.

"Die Probleme unter Parteimitgliedern und Kadern wie Korruption, Bestechlichkeit, zu viel Formalitäten, Bürokratie – all das muss mit großen Anstrengungen bekämpft werden. Die gesamte Partei muss wachsam sein."

Blogger und Bürgerjournalisten wie Zhu verstanden die Rede Xis als Aufforderung. Seit dem Parteitag ist daher keine Woche vergangen, in der nicht irgendwo im Land ein Parteifunktionär über Internetveröffentlichungen stürzt. Mal ist es ein Dorffunktionär in der Provinz Shanxi, der vier Frauen und zehn Kinder hat. Mal der Sicherheitschef einer Kleinstadt in Xinjiang, der mit zwei Schwestern ins Bett ging – und ihnen sichere Posten zuschanzte. Dann ein Parteikader in Yunnan mit einer Vorliebe für Opium und teure Auslandsimmobilien. Oder die Chefin einer Provinzbank, die sich mit illegalen Methoden Häuser und Wohnungen gekauft hat.

"Die Beamten hassen mittlerweile das Internet. Eine Funktionärin aus Shanxi hat sogar mal gesagt, nicht jeder solle Zugang haben und man müsse das Netz abschalten."

Die vielen Online-Enthüllungen haben das Image der Partei – insbesondere das der kleinen und mittleren Funktionäre – schwer beschädigt. Ein Professor der Pekinger Volksuniversität spricht in einer neuen Studie ganz offen von einer "Krise" – und nennt unter anderem den Sex-Video-Skandal um Lei Zhufeng. Die Behörden hätten nicht genug getan, um den Schaden zu reparieren, der durch solche Skandale entstanden sei, sagte Professor Tang Jun gegenüber staatlichen Medien. Interview-Anfragen von ausländischen Journalisten lehnt er allerdings kategorisch ab.

Investigative Journalisten wie Zhu Ruifeng machen sich trotz der jüngsten Enthüllungswelle keine Illusionen. Denn bislang sind es nur kleine Fische, die im Netz gejagt werden dürfen. An die Großen dürfen Bürgerjournalisten wie Zhu nicht ran. Die Topführung bleibt Tabu – wie die Enthüllungen der New York Times über die Reichtümer der Familie von Ministerpräsident Wen Jiabao im letzten Jahr gezeigt haben. Die Webseite des Blattes wurde in China blockiert, ein Journalist musste das Land verlassen. Zhu Reifeng will trotzdem nicht aufgeben.
"Kürzlich hat Xi Jinping in einer Rede gesagt, die Macht müsse in einen Käfig gesperrt werden. Er sprach davon, im Kampf gegen die Korruption gegen Fliegen und Tiger vorgehen zu wollen. Er hat viel geredet. Wir haben den Donner gehört, jetzt ist es Zeit für den Regen. "

Für die Skepsis gibt es gute Gründe: Schon Xis Vorgänger Hu Jintao hatte bei seinem Amtsantritt der Korruption den Kampf angesagt. Ebenso dessen Vorgänger Jiang Zemin. Nur hat sich keiner getraut, die Voraussetzungen dafür zu schaffen: Transparenz, eine unabhängige Justiz, Machtkontrolle – und eine freie Presse. Und es gibt erste Anzeichen, dass auch die neue Führung zurückrudert.

Das Aufdecken von Skandalen müsse "reguliert" werden, heißt es in einem Kommentar der "Global Times", die zum Parteiblatt "Volkszeitung" gehört. Sonst drohe die Gefahr, dass über das Netz zu viele Gerüchte verbreitet werden. Zhu Reifeng hält solche Argumente für einen Vorwand.

"Mit dem Argument man müsse die Privatsphäre der Menschen schützen versuchen sie die Freiheit der Bürger zu beschneiden, im Internet Informationen zu verbreiten. Es geht in Wahrheit nicht darum die Privatsphäre zu schützen, sondern die korrupten Funktionäre."
Mehr zum Thema