Erler: Russland entscheidet, ob Blutvergießen in Syrien weitergeht
Nach dem Bombenanschlag auf den inneren Zirkel des Assad-Regimes hängt die Entwicklung Syriens nach Ansicht des SPD-Außenpolitikers Gernot Erler nun entscheidend von Moskau ab.
Hanns Ostermann: Die Spirale der Gewalt dreht sich weiter: Bei einem Sprechstoffanschlag in Damaskus sind der syrische Verteidigungsminister und sein Stellvertreter, ein Schwager von Präsident Assad, ums Leben gekommen. Rebellen ließen den Worten Taten folgen, sie sprachen davon: Das ist der Vulkan und wir haben gerade erst angefangen. Die Hauptstadt wird zum Friedhof der Angreifer, konterten regierungsnahe Stellen.
Über die mehr als schwierige Lage in Syrien spreche ich jetzt mit Gernot Erler. Er ist stellvertretender Fraktionschef der SPD und war früher Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Morgen, Herr Erler!
Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Ostermann!
Ostermann: Hat das blutige Finale begonnen?
Erler: Viele sprechen vom Anfang vom Ende, aber man muss trotzdem befürchten, dass das noch nicht eine kurzfristige Analyse sein kann, sondern dass es noch weitere Kämpfe gibt. Sie haben es ja eben angedeutet.
Ostermann: Angedeutet insofern, als die Regierungstruppen zurückschlagen und auch die Rebellen immer weitere Attacken reiten.
Erler: Ja, aber es ist natürlich ein spektakulärer Akt, dass es jetzt möglich war, diesen Anschlag mitten im Zentrum der Macht, mitten in Damaskus zu machen, und gleichzeitig in den Vororten – und da kommt man immer näher an den Kern der Stadt – die Armee in Kämpfe zu verwickeln. Das ist schon doch eine Überraschung, dass das möglich war mit den Kräften, die die freie syrische Armee hat.
Ostermann: Wenn jetzt der innerste Führungszirkel getroffen wird, besteht da nicht die Gefahr, dass Präsident Assad noch blinder, noch wütender um sich schlägt?
Erler: Ja, es gibt ja furchtbare Gerüchte bis dahin, dass es unter Umständen eine Vorbereitung gibt für den Einsatz von Chemiewaffen. Niemand kann beurteilen, ob das nur Gerüchte sind oder dahinter Tatsachen stehen. Aber es gibt natürlich noch Eskalationsstufen trotz der brutalen Gewalt, die wir in vielen syrischen Ortschaften schon allzu oft gesehen haben.
Ostermann: Mehr als 17.000 Menschenleben hat dieser Bürgerkrieg inzwischen gekostet. Sie sprechen selbst davon, es besteht die Gefahr chemischer Waffen. Sind Sie eigentlich sicher, dass die nicht bislang schon eingesetzt wurden?
Erler: Das hätten wir sicherlich von der Opposition erfahren, wenn das gemacht oder versucht worden wäre. Aber wie gesagt, das sind Gerüchte, aber im Augenblick ist man vorsichtig mit Prognosen, wie weit die Eskalation eigentlich noch gehen kann.
Ostermann: Herr Erler, ganz sicher wäre es falsch zu sagen, die Weltgemeinschaft schaut tatenlos zu. Nicht umsonst sind UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon und Kofi Annan pausenlos unterwegs. Warum beißen sie trotzdem in Russland und China auf Granit?
Erler: Russland fürchtet nach wie vor, die strategische Position zu verlieren, die es mit Syrien hat, mit dem Hafen Tartus, dem einzigen Mittelmeerhafen Russlands für die Marine, und natürlich auch einen fantastischen Käufer von Waffen zu verlieren. Es soll ja so sein, dass Syrien im Jahr ungefähr für vier Milliarden Dollar Gegenwert Waffen einkauft, Waffen aller Art von Russland. Und diese beiden Argumente machen es Russland ganz offensichtlich sehr schwer, während Peking eher sozusagen Russland folgt in dieser Frage. Aber jetzt ist eine neue Situation entstanden und ich glaube, das müsste jetzt in Moskau auch zu einem Umdenken führen.
Denn jetzt ist doch ganz klar: Das Regime Assad ist jetzt angeschlagen, und zwar vor aller Weltöffentlichkeit, mit diesem Anschlag und mit den Kämpfen in Damaskus. Und jetzt ist doch völlig klar, dass eine Geste von Moskau unter Umständen darüber entscheidet, ob das Blutvergießen weitergeht oder ob der Assad-Clan aufgibt und sagt: Wir nähern uns jetzt mal den Bedingungen des Annan-Plans. Das wäre ja eine große Chance für das ganze Land. Und diese Rolle von Moskau ist neu seit gestern.
Ostermann: Und Sie kennen die Verhältnisse in Moskau, Sie kennen die Politik Wladimir Putins. Glauben Sie in der Tat, dass ihn dies jetzt zum Einlenken bringt?
Erler: Ich hoffe es sehr, weil Moskau sonst im Grunde genommen reingerissen wird in den Strudel, in den politischen, der da in Syrien passiert, und unter Umständen vor der ganzen Weltöffentlichkeit eben diese Verantwortung dann tatsächlich immer deutlicher bekommt, dass sozusagen Daumen nach oben oder Daumen nach unten eine solche weitgehende politische Reaktion in Damaskus haben könnte.
Ostermann: Herr Erler, wie lange dürfen wir eigentlich noch zuschauen, ohne militärisch einzugreifen?
Erler: Es ist doch sehr auffällig und für mich auch beeindruckend, dass es zwar einzelne Ratgeber, einzelne Stimmen gibt, die sagen, man müsste etwas tun, also militärisch eingreifen. Und es ist ja auch so, dass jetzt in der Resolution, die jetzt erneut dem Sicherheitsrat vorliegt, über die möglicherweise heute abgestimmt wird, auch Kapitel sieben Maßnahmen angedroht werden gegenüber Assad, wenn er nämlich nicht die Bedingungen des Annan-Plans einhält. Das ist also doch eine Annäherung an auch den unter Umständen Maßnahmen, die militärischen Charakter haben. Aber es gibt natürlich gute Gründe, da sehr, sehr vorsichtig zu sein. Denn es wäre ein großer Fehler, das mit der Situation in Libyen zu vergleichen: Wir haben hier Häuserkämpfe, wir haben hier Straßenkämpfe und die sind immer für beide Seiten verlustreich. Und wer da eingreift, übernimmt sehr viel Verantwortung unter anderem auch für die Sicherheit der eigenen Leute.
Ostermann: Nun hören wir aus New York vom UN-Sicherheitsrat, dass möglicherweise Russland heute diese von Ihnen angesprochene Resolution wieder nicht unterschreibt, ihr wieder nicht zustimmt. Haben Sie eigentlich Verständnis für die Leute, die sagen, das diplomatische Bemühen, es reicht langsam, wir haben kein Vertrauen mehr?
Erler: Ja, ich habe bloß noch keine vernünftigen Vorschläge gehört, was die Alternativen sind. Ich bewundere wirklich Kofi Annan, mit welcher Nachdrücklichkeit und mit welcher, sage ich mal, inneren Stärke er immer wieder versucht, hier auch durch Reisen nach Peking, durch Reisen nach Moskau endlich ein Einlenken dieser beiden wichtigen Mächte zu bekommen. Und eine politische Alternative habe ich bisher für dieses Sich-Verständigen auf diesen Annan-Plan mit seinen sechs Punkten noch nicht hören können.
Ostermann: Gernot Erler, der stellvertretende Fraktionschef der SPD und frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt. Herr Erler, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Erler: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Über die mehr als schwierige Lage in Syrien spreche ich jetzt mit Gernot Erler. Er ist stellvertretender Fraktionschef der SPD und war früher Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Morgen, Herr Erler!
Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Ostermann!
Ostermann: Hat das blutige Finale begonnen?
Erler: Viele sprechen vom Anfang vom Ende, aber man muss trotzdem befürchten, dass das noch nicht eine kurzfristige Analyse sein kann, sondern dass es noch weitere Kämpfe gibt. Sie haben es ja eben angedeutet.
Ostermann: Angedeutet insofern, als die Regierungstruppen zurückschlagen und auch die Rebellen immer weitere Attacken reiten.
Erler: Ja, aber es ist natürlich ein spektakulärer Akt, dass es jetzt möglich war, diesen Anschlag mitten im Zentrum der Macht, mitten in Damaskus zu machen, und gleichzeitig in den Vororten – und da kommt man immer näher an den Kern der Stadt – die Armee in Kämpfe zu verwickeln. Das ist schon doch eine Überraschung, dass das möglich war mit den Kräften, die die freie syrische Armee hat.
Ostermann: Wenn jetzt der innerste Führungszirkel getroffen wird, besteht da nicht die Gefahr, dass Präsident Assad noch blinder, noch wütender um sich schlägt?
Erler: Ja, es gibt ja furchtbare Gerüchte bis dahin, dass es unter Umständen eine Vorbereitung gibt für den Einsatz von Chemiewaffen. Niemand kann beurteilen, ob das nur Gerüchte sind oder dahinter Tatsachen stehen. Aber es gibt natürlich noch Eskalationsstufen trotz der brutalen Gewalt, die wir in vielen syrischen Ortschaften schon allzu oft gesehen haben.
Ostermann: Mehr als 17.000 Menschenleben hat dieser Bürgerkrieg inzwischen gekostet. Sie sprechen selbst davon, es besteht die Gefahr chemischer Waffen. Sind Sie eigentlich sicher, dass die nicht bislang schon eingesetzt wurden?
Erler: Das hätten wir sicherlich von der Opposition erfahren, wenn das gemacht oder versucht worden wäre. Aber wie gesagt, das sind Gerüchte, aber im Augenblick ist man vorsichtig mit Prognosen, wie weit die Eskalation eigentlich noch gehen kann.
Ostermann: Herr Erler, ganz sicher wäre es falsch zu sagen, die Weltgemeinschaft schaut tatenlos zu. Nicht umsonst sind UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon und Kofi Annan pausenlos unterwegs. Warum beißen sie trotzdem in Russland und China auf Granit?
Erler: Russland fürchtet nach wie vor, die strategische Position zu verlieren, die es mit Syrien hat, mit dem Hafen Tartus, dem einzigen Mittelmeerhafen Russlands für die Marine, und natürlich auch einen fantastischen Käufer von Waffen zu verlieren. Es soll ja so sein, dass Syrien im Jahr ungefähr für vier Milliarden Dollar Gegenwert Waffen einkauft, Waffen aller Art von Russland. Und diese beiden Argumente machen es Russland ganz offensichtlich sehr schwer, während Peking eher sozusagen Russland folgt in dieser Frage. Aber jetzt ist eine neue Situation entstanden und ich glaube, das müsste jetzt in Moskau auch zu einem Umdenken führen.
Denn jetzt ist doch ganz klar: Das Regime Assad ist jetzt angeschlagen, und zwar vor aller Weltöffentlichkeit, mit diesem Anschlag und mit den Kämpfen in Damaskus. Und jetzt ist doch völlig klar, dass eine Geste von Moskau unter Umständen darüber entscheidet, ob das Blutvergießen weitergeht oder ob der Assad-Clan aufgibt und sagt: Wir nähern uns jetzt mal den Bedingungen des Annan-Plans. Das wäre ja eine große Chance für das ganze Land. Und diese Rolle von Moskau ist neu seit gestern.
Ostermann: Und Sie kennen die Verhältnisse in Moskau, Sie kennen die Politik Wladimir Putins. Glauben Sie in der Tat, dass ihn dies jetzt zum Einlenken bringt?
Erler: Ich hoffe es sehr, weil Moskau sonst im Grunde genommen reingerissen wird in den Strudel, in den politischen, der da in Syrien passiert, und unter Umständen vor der ganzen Weltöffentlichkeit eben diese Verantwortung dann tatsächlich immer deutlicher bekommt, dass sozusagen Daumen nach oben oder Daumen nach unten eine solche weitgehende politische Reaktion in Damaskus haben könnte.
Ostermann: Herr Erler, wie lange dürfen wir eigentlich noch zuschauen, ohne militärisch einzugreifen?
Erler: Es ist doch sehr auffällig und für mich auch beeindruckend, dass es zwar einzelne Ratgeber, einzelne Stimmen gibt, die sagen, man müsste etwas tun, also militärisch eingreifen. Und es ist ja auch so, dass jetzt in der Resolution, die jetzt erneut dem Sicherheitsrat vorliegt, über die möglicherweise heute abgestimmt wird, auch Kapitel sieben Maßnahmen angedroht werden gegenüber Assad, wenn er nämlich nicht die Bedingungen des Annan-Plans einhält. Das ist also doch eine Annäherung an auch den unter Umständen Maßnahmen, die militärischen Charakter haben. Aber es gibt natürlich gute Gründe, da sehr, sehr vorsichtig zu sein. Denn es wäre ein großer Fehler, das mit der Situation in Libyen zu vergleichen: Wir haben hier Häuserkämpfe, wir haben hier Straßenkämpfe und die sind immer für beide Seiten verlustreich. Und wer da eingreift, übernimmt sehr viel Verantwortung unter anderem auch für die Sicherheit der eigenen Leute.
Ostermann: Nun hören wir aus New York vom UN-Sicherheitsrat, dass möglicherweise Russland heute diese von Ihnen angesprochene Resolution wieder nicht unterschreibt, ihr wieder nicht zustimmt. Haben Sie eigentlich Verständnis für die Leute, die sagen, das diplomatische Bemühen, es reicht langsam, wir haben kein Vertrauen mehr?
Erler: Ja, ich habe bloß noch keine vernünftigen Vorschläge gehört, was die Alternativen sind. Ich bewundere wirklich Kofi Annan, mit welcher Nachdrücklichkeit und mit welcher, sage ich mal, inneren Stärke er immer wieder versucht, hier auch durch Reisen nach Peking, durch Reisen nach Moskau endlich ein Einlenken dieser beiden wichtigen Mächte zu bekommen. Und eine politische Alternative habe ich bisher für dieses Sich-Verständigen auf diesen Annan-Plan mit seinen sechs Punkten noch nicht hören können.
Ostermann: Gernot Erler, der stellvertretende Fraktionschef der SPD und frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt. Herr Erler, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Erler: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.