Erling Kagge: "Philosophie für Abenteurer"
Aus dem Norwegischen übersetzt von Ulrich Sonnenberg
Insel Verlag, Berlin 2020
186 Seiten, 18 Euro
Sympathische Lebensweisheiten vom Südpol
06:04 Minuten
Nordpol, Südpol und Mount Everest: Als erster Mensch hat Erling Kagge alle drei Extrempunkte der Erde erreicht. In seinem Buch "Philosophie für Abenteurer" erzählt er lebensnah, welche Weisheiten er im Kampf gegen Kältegrade und Müdigkeit gewonnen hat.
Als erster Mensch der Welt auf einer Soloexpedition zum Südpol völlig auf sich allein gestellt 1300 Kilometer gegen Schneewüste und schneidende Kälte ankämpfen – Erfahrungen wie diese grundieren das neue Buch "Philosophie für Abenteurer" des Norwegers Erling Kagge.
Er war auch der Erste an den drei geografischen Extrempunkten der Erde, Südpol, Nordpol und Mount Everest, und weiß: "Es kommt nicht auf die Füße an. Die Schlacht wird im Kopf geschlagen."
Auf den ersten Schritt kommt es an – immer wieder
Ausgestattet mit vielen Expeditionsfotografien und zwanglos mäandernd zwischen Extremsport, Alltagsleben und praktischer Lebensphilosophie untersucht das Buch die Frage, welche Haltungen ein frohes und selbstbestimmtes Leben wahrscheinlich machen und welche Glaubenssätze wohl eher dazu führen, viel Zeit mit Nebensächlichem zu vergeuden.
Einige Weisheiten, mit denen der Autor von seinen Expeditionen zurückgekehrt ist, klingen zunächst simpel, doch sind sie schmerzgeprüft: "Alles beginnt mit dem ersten Schritt" – das ist auf einer Expedition kein Spruch im Poesiealbum. Wenn früh morgens Temperaturen von 45 Grad minus herrschen, kriecht ein verführerischer Gedanke in den Kopf eines Wanderers auf den Polen der Erde – für immer im Schlafsack liegen zu bleiben, anstatt sich dieser Kälte auszusetzen.
Immer wieder den ersten Schritt zu tun, auch im alltäglichen Zerren zwischen Trägheit und eigenen Lebensträumen, mache den entscheidenden Unterschied aus, betont der Autor.
Sprachfehler und schiefe Zähne
Erling Kagge zeigt sich als sympathisch-bescheidener Erzähler, der oft in die zweite Reihe tritt und Seneca zitiert, Blaise Pascal, Bertrand Russell oder Ludwig Wittgenstein. Auch schwierige Alltagserlebnisse bindet er ein, erzählt beispielsweise offen über Mobbingerfahrungen in seiner Kindheit.
Mit schiefen Zähnen und einem Sprachfehler träumte er davon, ein gutaussehender Feuerwehrmann zu werden. Sich hohe, aber prinzipiell erreichbare Ziele zu stecken, wurde zu einer weiteren Lebensmaxime: Aus dem gutaussehenden Feuerwehrmann konnte nichts werden, aus dem Mann alleine auf dem Weg zum Südpol schon.
Dieselbe Mischung aus Höhenflug und Pragmatismus ohne feinsinnigen intellektuellen Anspruch findet sich auch in seinen Betrachtungen zum Optimismus: "Wenn die Schwierigkeiten durch wiederholte Fehleinschätzungen Überhand nehmen, ist es entschieden an der Zeit, in der Einschätzung des Endresultats etwas Pessimismus walten zu lassen", erwägt der Autor und rät: "Wenn aber durch Begeisterung und Optimismus nur wenig zu verlieren ist, dann mach weiter!"
Dankbarkeit kultivieren
Mit seinem hellen, lebensbejahenden Grundton ist das Buch sicher vor allem für junge Leserinnen und Leser interessant, die die meisten Expeditionen ihres Lebens noch vor sich haben. Am Ende hält es aber auch etwas für Menschen bereit, die mit einer Rhetorik des Ziele-Erreichens und Sich-Überwindens allein wenig anfangen könnten.
Nicht zu viel denken, ruft der Autor. Die besten Erlebnisse des Lebens seien ja nicht von Dauer. Deshalb empfehle es sich, so oft wie möglich die Augen zu öffnen und sich in der Gegenwart umzusehen, mit Dankbarkeit.