Erlösung aus dem Blutrausch

Von Stefan Keim · 08.12.2011
Eigentlich gilt Manfred Trojahn als einer der fröhlichsten deutschen Komponisten. Der Professor an der Musikhochschule Düsseldorf hat bisher vor allem Komödien vertont, von Shakespeare und Pirandello. Nun zeigt die Oper Amsterdam eine ganz andere Seite des 62-Jährigen.
"Orest" erzählt ein Drama aus der griechischen Mythologie, die Geschichte eines von Rachegöttinnen gehetzten Muttermörders, der schließlich die Erlösung findet.

Trojahn hat erstmals selbst das Textbuch geschrieben. Sein Orest bewegt sich auf der Schwelle zwischen Traum und Wirklichkeit. Er hadert mit dem Gott Apoll, der ihm den Auftrag zum Mord gegeben hat. Schwester Elektra, radikal und blutrünstig, fordert Orest zu weiteren Taten auf, er meuchelt seine Tante, die schöne Helena. Und verliebt sich in deren Tochter. Was am Schluss zwar nicht zur Erlösung, aber zur Ahnung einer Hoffnung führt. Der Düsseldorfer Komponist verwendet eine reiche, abwechslungsreiche Klangsprache. Mal berauscht sich das Orchester an wilden, lauten Ausbrüchen, dann gibt es feine Charakterzeichnungen. Oft bedient sich Trojahn der tonalen Tradition, was seine Oper zu einem sinnlichen, vielschichtigen Hörerlebnis macht.

Etwas überkomplex ist ihm allerdings die Geschichte geraten. Dass eine Figur gleichzeitig die Götter Apoll und Dionysos darstellen soll, die Verkörperungen von Vernunft und Rausch, verstehen höchstens Experten. Und auch die müssen sich wahrscheinlich sehr anstrengen. Die Engländerin Katie Mitchell hat die Uraufführung inszeniert. Sie ist durch eine besondere Mischung aus Theater und Film bekannt geworden, in Deutschland ist das Schauspiel Köln ihre Heimat. Und bei den Salzburger Festspielen überzeugte sie mit dem grandiosen Revolutionsrequiem "Al gran sole carico d´amore" von Luigi Nono. Diesmal kommt sie ganz ohne Videos aus. Sie rückt Trojahns mythische Geschichte in einen verblüffend realistischen Raum.

Orest sitzt in einem bürgerlichen Wohnzimmer mit Sesseln und Weihnachtsbaum. Eine Etage höher ist der Mord geschehen, da sichern Menschen in weißen Ganzkörperanzügen die Spuren. Sie bewegen sich wie in Zeitlupe, manchmal erstarren sie ganz. Die tote Mutter erscheint Orest verdoppelt und verdreifacht. Auch in der heutigen Zeit gibt es Gespenster und Traumata. Die seelischen Wunden von Kriegsheimkehrern spiegeln sich in der Aufführung, die Verhärtungen, Elektras brutale Forderungen erinnern an die Ideologie der RAF-Terroristen.

Manfred Trojahn leuchtet ins Innere der Figuren. Rachegöttinnen braucht er nicht, Orest hört Stimmen, die um das Publikum im Saal herum flirren, raunen, wispern. Erstmals arbeitet Trojahn mit elektronischen Zuspielungen. Der "Orest" zeigt, wie viel Experimentierlust und Risikofreude in dem Kompositionsprofessor steckt.

In Amsterdam ist sein Stück durchweg in guten Händen. Marc Albrecht dirigiert die niederländischen Philharmoniker mit schwungvoller Emotionalität. Und Dietrich Henschel erinnert als Orest mit klarer Aussprache und perfekter Stimmführung an den jüngeren Fischer-Dieskau. Während Sarah Castle als Elektra für die harten, schneidenden Töne zuständig ist. Eine singende UIrike Meinhof, die nur noch die Zerstörung der bürgerlichen Welt im Kopf hat, aus der sie selbst stammt.


Mehr Infos im Netz:

Programmseite der Oper Amsterdam: "Orest" von Manfred Trojahn
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