Ermordeter Lehrer in Paris

"Er ist nicht genügend geschützt worden"

06:10 Minuten
Ein Demonstrant mit der französische Flagge in den Händen. Auf der Flagge steht die Aufschrift "Redefreiheit".
Zehntausende sind für Meinungsfreiheit und Toleranz in Paris auf die Straße gegangen. © Getty Images / Light Rocket / Elko Hirsch
Friederike Sittler im Gespräch mit Anke Schaefer · 19.10.2020
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Der islamistisch motivierte Mord an einem Lehrer bringt Zehntausende in Paris auf die Straße. "Es ist erneut zu spät", beklagt die Journalistin Friederike Sittler. Bei allem, was man über Islamisierung wisse, hätte das Opfer früher geschützt werden müssen.
Die Enthauptung eines Geschichtslehrers in Paris hat nicht nur in Frankreich für Entsetzen gesorgt. In der französischen Hauptstadt demonstrierten Zehntausende für religiöse Toleranz und Meinungsfreiheit. Zugleich geraten derzeit auch die Behörden in den Fokus: Angesichts von Drohungen gegen den Lehrer und die Schule seit Anfang des Monats gibt es Kritik, dass nicht früher gehandelt wurde.
Dieser Kritik schließt sich die Deutschlandfunk-Kultur-Journalistin und Theologin Friederike Sittler an: "Es ist erneut zu spät."
Die grauenhafte Tat sei "das Ende eines Prozesses", betont sie. Der Lehrer habe die Schülerinnen und Schüler vorgewarnt und angekündigt, während des Unterrichts die Mohammed-Karikaturen zu zeigen, so Sittler. Zugleich habe er ihnen freigestellt, das Klassenzimmer zu verlassen, sollten sie die Zeichnungen nicht sehen wollen.

Spott muss möglich sein - auch über Gott

Der Vater einer Schülerin habe daraufhin über Social Media behauptet, die Muslime seien des Unterrichts verwiesen worden, "weil man sich im Unterricht über den nackten Propheten lustig machen wolle", berichtet sie.
Der Lehrer habe das alles dokumentiert, viele Menschen seien in den Fall involviert gewesen – "und er ist nicht genügend geschützt worden". Bei allem, was man über Islamisierung und Radikalisierung wisse, sei zu spät interveniert worden, sagt Sittler.
Sie sei erschüttert. "Es muss auch Satire, es muss auch Spott möglich sein, und das sage ich als zutiefst religiöser Mensch", betont die Journalistin. "Auch über meinen katholischen Gott darf gespottet werden." Gott sei viel größer als "wir kleinen Menschen" und lasse sich nicht von Spott ins Wanken bringen.

In den Schulen mehr über Religion reden

Man dürfe den Glauben nicht ignorieren, so Sittler. Denn dieser eigne sich "wunderbar" zur Instrumentalisierung. Es lasse sich alles Mögliche "im Namen Gottes" behaupten.
Eine Lösung des Problems erhofft sie sich vor allem durch mehr Aufklärung und Bildung: "Wir müssen in den Schulen über Religion, über Wertvorstellungen, über Moral reden, über die Toleranz. Und dass eben ein religiöses Bekenntnis nicht dazu führen kann, einen anderen Menschen abzulehnen oder gar zu verletzen oder zu töten. Das geht nicht."
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte bereits kurz nach der Ermordung des Lehrers von einem islamistischen Terrorakt gesprochen. Für Mittwoch ist eine nationale Gedenkfeier geplant. Auch die islamische Gemeinde reagierte erschüttert.
Der 47-jährige Lehrer war am Freitag auf dem Weg von der Schule nach Hause enthauptet worden. Die Polizei erschoss den 18-jährigen Täter.
(ahe)
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