Ernährung

Wie könnte die Kantine der Zukunft aussehen?

Ein Mitarbeiter bereitet im Betriebsrestaurant die Salatbeilage eines Tellergerichts vor.
Gesund, nachhaltig, regional, lecker und günstig: Die Ansprüche an das Kantinenessen sind enorm gestiegen. © picture alliance / dpa / Hauke-Christian Dittrich
Millionen Menschen in Deutschland essen regelmäßig in einer Kantine. Dort muss es schnell gehen, das Essen soll gesund, lecker, günstig und nachhaltig produziert sein. Doch die Kosten steigen, Personal fehlt. Wie gelingt der kulinarische Spagat?
Rund ein Fünftel der Bevölkerung in Deutschland wird regelmäßig von Großküchen verpflegt, rund die Hälfte davon in Betrieben. Die Ansprüche an die Kantinen sind stark gewachsen - und sie steigen weiter an: Die Bundesregierung hat in ihrer Ernährungsstrategie festgelegt, dass in Kantinen und Mensen mehr pflanzliche, saisonale, möglichst regionale und ökologisch erzeugte Produkte auf die Speisepläne sollen, Lebensmittelabfälle sollen reduziert werden. Die Verbraucherzentralen fordern von den Großküchen zusätzliche Angaben zur Tierhaltung und zur Herkunft von Lebensmitteln. Und für 90 Prozent der Verbraucher ist laut einer aktuellen Forsa-Umfrage beim Kantinenbesuch gesundes und vollwertiges Essen wichtig.
Gleichzeitig sind die Preise für Lebensmittel und Energie gestiegen, und es fehlt an Personal. Zudem ist die Nachfrage seit Ausbruch der Corona-Pandemie stark gesunken: Arbeitnehmer haben sich ans Homeoffice gewöhnt und manche Konzernchefs haben Schwierigkeiten, die Mitarbeiter zurückzuholen, berichtet Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes. Laut einer aktuellen Untersuchung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform stieg 2023 die Zahl der Insolvenzen im Bereich Caterer und Verpflegungsdienstleister gegenüber dem Vorjahr um 67 Prozent.
Können Kantinen den gestiegenen Anforderungen überhaupt gerecht werden? Und wie sieht die Kantine der Zukunft aus?

Wie hat sich der Anspruch an Kantinenessen verändert?

Noch in den 1960er- und 70er-Jahren hatten Kantinen wenig Konkurrenz, sagt der Anthropologieprofessor Gunther Hirschfelder. Das habe sich ab den 80er-Jahren zu ändern begonnen: Neben Bratwurst, Pommes oder Erbsensuppe gab es jetzt in Restaurants und Imbissen auch Pizza und Döner. Durch die neue Konkurrenz seien die Kantinen ökonomisch unter Druck geraten. Hinzu kam ein ideologischer Druck: Der "industrielle Lebensstil" stand nun in der Kritik. Man aß zwar noch das Gleiche wie vorher, so Hirschfelder, aber mit schlechtem Gewissen.
Am Ende des 20. Jahrhunderts wurde es für die Kantinenbetreiber immer schwieriger, sagt Hirschfelder. Wir seien eine Lebensstilgesellschaft - und das äußere sich auch in Ernährungsstilen, glaubt der Experte. Die Kunden wollten entweder absolut gesundes oder vegetarisches Essen, oder Essen, das schön und stark mache. Gleichzeitig müsse es immer billiger werden.

Wie könnte die Kantine der Zukunft aussehen?

Unsere Ernährung könnte gesünder, ökologischer und nachhaltiger sein, meint Harald Lemke. Er ist Gastrosoph und erforscht das Zusammenspiel von Ernährung und Gesellschaft kulturwissenschaftlich. Die Kantine als ein Ort, an dem täglich Millionen Menschen äßen, biete sich als Transformator einer Ernährungswende an, so Lemke.

Frisch, bio, regional

Diese Ernährungswende hat in einigen Kantinen bereits begonnen. Tatsächlich geht es heute schon deutlich weniger um Masse als früher, berichtet etwa Küchenchef Thomas Schulz. Er kocht seit Jahrzehnten für die Berliner Wasserbetriebe (BWB). Heute produziere seine Kantine weniger vor, sondern eher mal nach, so Schulz. Da komme es schon mal vor, dass Gäste warten müssten. Doch das würden sie gerne in Kauf nehmen.
Auf dem Plan des BWB-Betriebsrestaurants „Spreeschleuse“ steht aber nicht nur mehr frisch Gekochtes. Der Bio-Anteil ist höher und es werden weniger Lebensmittel verschwendet. Mittwochs und freitags sind "Klimatage". Die plant das Team mithilfe einer App. Mit ihr lässt sich der CO₂-Verbrauch pro Portion errechnen. Mehr als 850 Gramm sollten es nicht sein, sagt Vivien Finke, Betriebsleiterin Betriebsgastronomie. Statt Reis mit seinem schlechten Klimawert durch die langen Transportwege landen dann zum Beispiel Reisnudeln aus Italien auf dem Teller.

Automaten statt Kantinenpersonal

Doch es gibt auch ganz andere Entwicklungen bei der Mitarbeiterverpflegung: Da zuverlässiges Kantinenpersonal derzeit knapp ist, setzen manche Firmen auf sogenannte Bedienautomaten. Das sind schlanke Schränke mit einzelnen Ausgabefächern, entweder mit Kühl- oder mit Wärmefunktion. Mitarbeiter bestellen per App beim Kantinenbetreiber. Der kocht irgendwo in seiner Großküche, portioniert und befüllt den Automaten. Jede Mahlzeit kommt im wiederverwendbaren Behälter. Im Wärmeschrank daneben lässt sich das Essen aufwärmen. Für die Geschirrrückgabe gibt es einen dritten Automaten.
Ob so wirklich die Zukunft der Kantine aussieht? Ingrid Hartges vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband, ist da skeptisch. Sie glaubt, viele Menschen würden heute auch schauen wollen, wo und wie das Essen zubereitet wird.

Roboter als Köche und Service-Mitarbeiter

Gerichte vom Roboter rund um die Uhr angerührt und frisch serviert, ganz ohne menschliche Mitarbeiter – das war zumindest die Geschäftsidee von „Aitme“. Doch 2023 wurde das Unternehmen vom Hamburger Start-up „Circus“ übernommen. In den Küchen des neuen Unternehmens sollen die Roboter die Köche nicht komplett ersetzen, aber immerhin mit ihnen zusammenarbeiten.

Wird es bald keine Currywurst mehr geben?

2021 hat die Verbannung der Currywurst aus einer Kantine des Volkswagen-Konzerns in Wolfsburg bundesweit für Wirbel gesorgt. Altkanzler Gerhard Schröder befeuerte die Debatte über Fleischkonsum damals mit seiner Aussage, die Currywurst sei der „Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters in der Produktion“. 2023 hob VW den Currywurst-Bann in der betreffenden Kantine wieder auf. Zuletzt hat der Klassiker bei VW einen neuen Absatzrekord verbucht.
Und selbst die Forschung legt nahe, dass die Currywurst im Angebot bleiben sollte. Einen subtilen Anstoß in Richtung gesundes Essen nehmen die Verbraucher weniger übel, wenn ihnen am Ende die Wahl bleibt zwischen gesund und ungesund, und zwar ohne großen Aufwand. Dominic Lemken, Professor für Sozioökonomik und Ernährung an der Universität Bonn, und eine Wissenschaftlerin der Uni Göttingen fanden das heraus. "Auf die Entscheidungsfreiheit kommt es an", sagt Lemken.

mfied
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