Ernährung

Stufen rauf – Pfunde runter!


Ein Gerät, mit dem die Körperwerte gemessen werden.
Mit dem BodPod lassen sich die Körperwerte sehr konkret messen. © picture alliance/ANN / The Star
Von Florian Felix Weyh |
Seine Kinder nennen ihn "Fettmops", doch Florian Felix Weyh, Mitarbeiter von Deutschlandradio Kultur, fühlt sich eigentlich nicht dick. Trotzdem will er ein paar Kilos abspecken - mit Hilfe von Sportlern und Motivationskünstlern.
"Es ist ja so, dass man natürlich den Laien einfach sagen muss: Du musst erstmal die richtige Formulierung des Beginns machen."
"Papa, du bist dick!"
Ich bin nicht dick.
"Die meisten Menschen sagen, ich müsste mich mal mehr bewegen! Das ist schon der erste Fehler!"
Die beste Formulierung ist: Ich werde morgen um 9.15 Uhr beginnen mit. Das heißt also, die Volition, die Bildung der ersten Aussage ist schon mal ganz entscheidend, ob man da startet. Das ist schon mal der erste richtige Schritt.
"Der zweite wichtige Schritt ist, dass man sich nicht vornehmen sollte: Ich möchte mal einen Marathon laufen!"
Oder: Ich möchte 20 Kilo abnehmen. Nein, diese Ziele sind zu abstrakt und zu weit weg. Ich muss also ein Ziel formulieren, was für mich ganz schnell erreichbar ist. Also am besten innerhalb der nächsten zwei, drei, vier Wochen, um eine zweite, dritte Motivation immer zu bekommen. Kleine Schritte, kleine Ziele nennen! Aber bei mir besteht kein Handlungsbedarf.
"Dann sehen wir das anhand der Prozentzahlen."
... die beweisen werden, dass ich nicht dick bin.
"Für Männer zwischen 10 und 20 Prozent, für Frauen 20 und 30 Prozent."
... sind normal. Ich bin ein stinknormaler 51-Jähriger mit leichter Wampe. Weil ich mein ganzes Leben sitzend und mit Kulturarbeiten verbracht habe, darf ich mir sogar den Kalauer "Coole Wampe" erlauben, Brechtianer wissen, wovon ich rede. Aber ich werde unter Druck gesetzt.
"Naja so kann man das vielleicht nicht sagen. Jedenfalls ist es ein Luftdruckverfahren, um das Körpervolumen zu bestimmen."
Das ist, was eine Maschine namens BodPod gleich mit mir machen wird. Sie setzt mich unter Druck – so wie mich meine Familie unter Druck setzt. Im übertragenenen Sinne.
"Dickie!"
Florian Felix Weyh, Schriftsteller und freier Journalist in Berlin
Im Kampf gegen die Pfunde: Florian Felix Weyh© Katharina Meinel
Diese Maschine steht im Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke und sieht aus wie ein Dinosaurier-Ei.
"Also viele, die hierher kommen sagen, es ist ein Ei! Eine große Raumfahrtkapsel. Wir haben vorne ein Sichtfenster, damit die Probanden keine Angst bekommen in dieser Kammer. Die ja schon relativ eng ist. Aber sie passen alle rein, und die Messung ist relativ kurz. So dass eigentlich Ängste ausgeschlossen werden können."
So beruhigt mich die BodPod-Maschinistin Stephanie Sucher. Aber ich habe keine Angst. Höchstens vor dem Ergebnis. Nicht jedoch vor dem runden Messgerät für Menschen mit Körperzusammensetzungsproblemen. Nennen wir es mal so.
"Fettmops!"
"Fett hat ein größeres Volumen, und dadurch kann man das quasi dann messen. Also dieses Volumen ist entscheidend."
Und das ermitteln wir jetzt. Wobei der BodPod ein Forschungsinstrument ist und kein Lifestyle-Spielzeug. Wer ihn kennenlernen will, muss sich dem Potdamer Institut als Proband für Ernährungsstudien zur Verfügung stellen. Unangenehm an der Messung ist nur, dass man dafür beinahe nackt sein muss.
"In Unterwäsche. Genau, weil jegliches ... also alles, was dem Körper noch aufliegt, verändert ja auch das Volumen. Und deswegen muss man ja auch ne Badekappe aufsetzen, um dann auch noch das Volumen der Haare zu minimeren."
"Also Sie würden deutlich davon profitieren, wenn Sie Ihr Gewicht reduzieren. Und zwar bezüglich der Risiken. Es kann gut sein, dass Sie Glück haben, und Sie werden 85 und haben nie irgendeine Erkrankung. Aber Ihr Risiko ist einfach drei-, vierfach höher, dass sie vorzeitig einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall kriegen, dass sie einen Diabetes entwickeln ganz besonders, und dadurch Probleme haben und ne schlechte Lebensqualität mit alldem, was da dranhängt. Das einfach die Fähigkeiten, die Spielräume, die Sie haben, geringer werden."
"Fast 30 Kilo reines Fett wabbeln an mir"
Interpretiert Professor Andreas Pfeiffer, der Leiter des Potsdamer Instituts für Ernährungsforschung, jene Daten, die der BodPod nach der Messung ausgeworfen hat. Unerfreulich – ja fast möchte ich sagen: feindselig – dieses Ergebnis.
"Risky (high body fat). Ask your health care professional about how to safely modify your body composition."
Ich habe – immerhin! – eine körperfettfreie Masse von 68,6 Prozent. Heißt leider im Umkehrschluss: Mein Körperfettanteil beträgt 31,4 Prozent. Das liegt über der Grenze zur Adipositas, wie der medizinische Begriff lautet. Konkret: Fast 30 Kilo reines Fett wabbeln an mir.
"Sie wabbeln nicht. Sei nicht so streng mit dir! Früher hätte man gesagt: Ein stattlicher Mann. Ein Mann mit Embonpoint."
Das ist mein Über-Ich. Ständig quatscht es dazwischen.
"Außerdem sind von den dreißig Kilo nur die zehn am Bauch das Problem. Und die sieht man dir kaum an."
Wenigstens nicht im bekleideten Zustand. Deswegen kommt der Druck ja auch ausschließlich aus der Familie. Sie neigt zu Spottgesängen.
"Fetti!"
Für meine Familie stellt sich alles ganz simpel dar. Problem – Analyse – Lösung. Wie eine Matheaufgabe.
"Papa, du musst Sport machen!"
"Wenn Sie abnehmen wollen, ist weniger essen sehr viel effektiver. Also wenn Sie das rechnen, wie lange müssen Sie joggen gehen, um ein Kilogramm abzunehmen. Ein Kilogramm sind 7000 Kalorien, eine Stunde Joggen sind so was wie 500, 600 Kalorien. Wenn man älter wird, wird’s weniger, also ist relativ unfreundlich. Sie müssen also so in der Gegend von 12, 14 Stunden Joggen gehen für ein Kilogramm! Jetzt ist es aber nicht so, Sie kommen vom Joggen wieder und haben jetzt keinen Hunger, sondern dann hat man durchaus das Gefühl, jetzt hat man was getan, dann isst man auch mehr. So dass Sport alleine zum Abnehmen eigentlich frustrierend ist."
"Die Fetten leben kürzer. Aber sie essen länger."
Stanislaw Jerzy Lec, polnischer Aphoristiker.
"In dieser Welt, in der wir heute leben, wo wir einfach Essen haben, so viel wir wollen – und wir haben tolles Essen, das schmeckt richtig gut und das Angebot ist groß und wir müssen uns im Grunde nicht bewegen – muss man den klaren Entschluss fassen, wie man das regeln will. Ansonsten wird man der Umwelt erliegen, sozusagen."
Dummerweise ist Lec nur 57 Jahre alt geworden.
"Und somit ein schwacher Entlastungszeuge. Merkst du, was du gerade machst?"
Mein Über-Ich schon wieder!
"Du suchst Ausflüchte und schielst nach mildernden Umstände, warum du – salopp gesagt – deinen Arsch nicht hochkriegst."
Ehemaliger Außenminister Joschka Fischer beim Joggen
Das waren noch Zeiten: Ex-Außenminister Joschka Fischer (2.v.l.) beim Joggen.© AP
Sorry, ich lese immer zuerst Bücher, bevor ich mich der Praxis zuwende. Das ist bei Intellektuellen so. Deshalb weiß ich, dass 75,4 Prozent aller Männer hierzulande übergewichtig sind. Eine demokratische Abstimmung mit Bäuchen, gewissermaßen.
"Es ist tatsächlich so, dass dicke Menschen bedarfsgerecht essen – nicht zu viel und nicht zu wenig –, gerade so viel, um ihr Gehirn ausreichend zu versorgen. Die Körperfülle eines dicken Menschen ist also Ausdruck seines Energiebedarfs im Gehirn.“
"Wow, was für ein Entlastungsangriff! Und dann gleich mit dem Gehirn argumentiert – dem Zentralorgan der Intellektuellen."
Steht im selben Buch wie die Prozentzahl der Übergewichtigen, verfasst von einem Hirnforscher und Endokrinologen. Warum sollte ich gegen wissenschaftliche Erkenntnisse ankämpfen?
"Die Frage ist: Gibt es einen gesunden Dicken? Da sind in den letzten Jahren doch einige große Analysen von vielen Tausend Menschen publiziert worden, und die sagen: Das Dicksein an sich hat ein höheres Risiko für Sterblichkeit."
Okay, Bücher beiseite geschoben: Ich weiß, dass ich zu dick bin. Ich weiß, dass ich mich zu wenig bewege. Seit meinem dreißigsten Geburtstag stieg mein Gewicht peu à peu, um seit zehn Jahren bei 95 Kilo zu verharren – bei einer Körpergröße von 1,82. Es ist auch nicht so, dass mich das gänzlich kalt ließe. Aber doch so, dass es mich nicht schockiert. Nicht mal das eindeutige Messprotokoll des BodPod verleiht mir einen entscheidenden Iimpuls.
"Menschen haben Gesundheit nicht als ein starkes Argument im Kopf. Das ist einfach so. Sie glauben nicht, dass sie je einen Herzinfarkt haben werden. Das kann ich ihnen sagen, aber sie glauben es mir nicht."
Erklärt Professor Pfeiffer. Im Prinzip bin ich kein untypischer Fall: Ich esse gern – und bewege mich ungern. Seit Kindertagen.
"An der Stelle darfst du ruhig was Entlastendes vorbringen. Sonst sieht das Bild von dir zu trübe aus."
Danke! Ich bin keineswegs träge. Im Alltagsleben ist Langsamkeit mir ein Gräuel. Auf der Straße machen mich bummelnde Passenten wahnsinnig, wenn sie mich ausbremsen. Und in Treppenhäusern.
"Ah, die Gretchenfrage!"
"Unten im Treppenhaus steht ein Moment der Wahrheit an: Wie wird man sich entscheiden? Ein bisschen Extra-Bewegung oder die bequeme Variante? Jeder dritte Deutsche nimmt lieber den Fahrstuhl."
"Sagt eine aktuelle Studie der Techniker-Krankenkasse. Also die Gretchenfrage."
Die betrifft mich nicht. Ich nehme am liebsten sogar zwei Stufen auf einmal. Meine Gretchenfrage formuliert eher jene Journalistin, die ihren Fitness-Artikel so beginnt:
"Was ist die bessere Lösung, wenn der Preis das Leben sein kann: Jeden Tag eine Pille schlucken, oder regelmäßig und gezielt Sport treiben?"
"Na, das liegt doch auf der Hand."
Kommt auf die Nebenwirkungen der Pille an.
"Man kriegt Menschen, die sich nicht bewegen, sehr schwer dazu, wirklich was zu tun."
Motivationskram als Humbug?
Ich bin nicht träge, aber ich habe keinen Spaß an nicht zielführender Bewegung, an Bewegung, die keinen Output für meinen Beruf liefert oder meine Biografie bereichert. Vor allem habe ich keinen Spaß daran, mit meinem Körper zu ringen.
"Wir sind ja kein Jogger, im weitesten Sinne. Natürlich haben wir so bisschen gelernt, früher auch mal zu jagen, aber hatten immer ein Motiv. Wir mussten jagen, um beispielsweise unseren Teller voll zu haben. Das heißt, es war immer ein Motiv dahinter. Das Wichtigste, was man also schaffen muss, das Kopfgefühl zum Bauchgefühl zu machen. Und vor allen Dingen muss ich meinen Schweinehund dressieren, das ist das Allerwichtigste."
Auf den Schweinehund, den Professor Ingo Froböse von der Kölner Sporthochschule ins Spiel bringt, kommen wir noch zu sprechen. Mein Leben als Vernunftsportler – so nennt die Studie der Techniker-Krankenkasse Menschen wie mich – ist eine Geschichte von abgebrochenen Anfängen und Kopfmotiven, die sich nie zum Bauchgefühl mauserten. Wie um alles in der Welt motiviert man Menschen meines Schlags? Oder ist dieser ganze Motivationskram bloßer Humbug, und es geht allein um harsche Selbstdisziplin?
"Ein Problem ist nur des Angriffs wert, wenn es sich dagegen wehrt."
"So! Aber derart preußische Charakterzüge muss ich wohl bei anderen suchen."
"Ich will’s mal vergleichen mit Dingen so im Alltag, die auch nicht immer angenehm sind. Der Beruf ist nicht immer angenehm. Manchmal muss man sich morgens so richtig aus dem Bett rausquälen, ja? Und hat auch eine gewisse Leidensfähigkeit dabei."
Sagt Thomas Dommermuth, den ich zufällig auf einer Tagung kennenlerne. Der VWL-Professor und Steuerberater aus der Oberpfalz sitzt genausoviel wie ich am Schreibtisch und fährt genauso gerne wie ich Fahrrad.
"Richtig! Wir wissen ja, dass du kein totaler Bewegungsmuffel bist."
Aber Dommermuth fährt es gänzlich anders ... sozusagen in einem anderen Universum. Der Mittfünfziger ist unfassbar fit.
"Nunja, also das haben jetzt Sie gesagt, dass ich unfassbar fit bin! Also ich würd mich als normal fit bezeichnen, wobei in der Tat, die letzten zwei Jahre, da hab ich noch mal einen Gang hochgeschaltet, da hab ich noch mal zugelegt, weil ich ein bestimmtes Ziel hatte, nämlich 2012 erstmals dieses Race Across America, und da musste ich natürlich drauf hinarbeiten, zusammen mit einer Mannschaft. Und bei ner Mannschaft, da gibt’s dann halt kein Zurück."
Ich hab während dem Studium ganz viel gekellnert und irrsinnig viel Bewegung dadurch gehabt. Und war da plötzlich dann fitter und hab dann gemerkt, wie angenehm das ist, wenn man fit ist und wenn man sich bewegen kann. Heute hab ich die Sucht: Ich muss mich bewegen! Also wenn ich irgendwie drei Tage nicht irgendwas Vernünftiges hinsichtlich Bewegung gemacht hab, dann geht’s mir nicht gut, und dann muss ich im schlimmsten Fall halt ins Fitnessstudio, um mich da zu bewegen. Wenn ich nicht die Möglichkeit hab, auf einen Berg hochzulaufen oder zu surfen oder was auch immer, wo man sich bewegt.
"Beim Berliner Christof Herbster kann ich gleich mal Dampf ablassen. Der Unternehmensberater für Fitness-Center hat lange eine große Kette geleitet, bevor er sich selbständig machte. Er muss die Schattenseiten solcher Orte kennen, da er sie für sich selbst erst als zweite Wahl erwägt. Für mich geht es schon in der Unkleidekabine los."
"Männer. Nackte Männer. Schamlose Männer. Alte Männer. Zotige Männer. Dicke Männer. Hässliche Männer. Schwitzende Männer. Schnaufende Männer. Stinkende Männer. Nackte, schamlose, alte, zotige, dicke, hässliche, schwitzende, schnaufende, stinkende Männer."
Und ich.
"Ich sag immer: Desto älter und desto dicker, desto gerner nackt! Die Jungen, Knackigen und so weiter, die ziehen sich eher noch mit einem Handtuch um. Und die Achtzigjährigen, die laufen noch einmal vor, und dann föhnen sie sich noch, und dann holen sie sich noch mal ne Creme und laufen hin und her. Aber ich glaub, das ist das gleiche Phänomen wie am FKK-Strand! Triffst du auch selten attraktive Körper."
"Halten wir fest: Du hast dich in Fitness-Studios aufgehalten."
"Oh, nicht nur einmal! Und nicht nur bei einer Fitness-Kette. Allerdings mit stetig wachsendem Widerwillen und immer rascher wiederkehrenden Schüben von Menschenekel. Und die Pausen zwischen den Trainingseinheiten wurden auch immer länger."
"Wir gehen davon aus, dass die normalen Studios fast 60 Prozent Fluktuation haben. Also eine riesige Menge an Menschen, die gar nicht mehr gehen. Und dann wissen wir, dass nach ca. zehn Wochen jeder durch ein tiefes Tal läuft. Gerade, wenn man begonnen hat, ist so nach acht bis zwölf Wochen immer ein Tal, durch das man kommen muss. Und da brechen die meisten ab! Das ist die höchste Abbrecherquote, etwa nach acht Wochen. Was muss man also tun?"
"Jedes gute Fitnesstudio wird sich in den ersten sechs Wochen sehr, sehr gut um dich kümmern. Nach sechs Wochen wirst du merken, welches wirklich gut ist. Die nicht so guten, die kümmern sich dann nicht mehr um dich: Ja jetzt ist er dabei, und jetzt passiert nichts mehr. Und die wirklich guten kümmern sich permanent darum, dass du Spaß dran hast."
"Man sollte genau etwa zu Beginn nach acht Wochen seines Trainings sich belohnen! Also zum Beispiel sagen: Wenn ich bis dahin gekommen bin, gönne ich mir ein Wochenende, ich kauf mir etwas Nettes. Oder ich mach ein großes Abendmahl mit meiner Familie. Um dann wieder von da aus neue Motivation für den nächsten Schritt zu schöpfen."
"Irgendwas stimmt da nicht."
"Schon wieder Vorwände, Ablenkungen, Einwendungen?"
Geschwindigkeit sorgt für transzendierendes Moment
Die Motivation zum Sport muss doch durch den Sport an sich kommen! Das euphorische Bewegungsglück hat mich zu motivieren, nicht eine anschließende Belohnung für eine vorangegangene Schinderei.
"Wenn ich sieben Mal trainiere, mach ich zweimal, geb ich richtig Gas. Und fünfmal mach ich sehr locker. Für mich ist dann der Sport Entspannung. Ich kann dann beruflichen Stress besser verarbeiten. Wenn dann abends um fünf Uhr ich ein Tief habe, und ich muss noch länger arbeiten, dann mach ich ne Pause, fahr ne Stunde Rad. Und danach geht es wesentlich besser! Hätt ich die Pause nicht gemacht, hätte mich gequält im Beruf, wär insgesamt wahrscheinlich sogar weniger rausgekommen."
Naja, der radfahrende Steuerprofessor Dommermuth ist ja auch ein Held der Selbstbezwingung.
"Also in der Wüste, da ist es wirklich schrecklich!"
Zusammen mit drei Altersgenossen fährt er das "Race across America" – 4.800 Kilometer einmal quer über den Kontinent, von West nach Ost.
"Dagegen nehmen sich deine Motivationsprobleme nachgerade niedlich aus, oder?"
"Also wenn Sie dann noch vier Minuten haben, und dann kommt der nächste Wüsteneinsatz, 90 Minuten bei in der Sonne über 60 Grad, boah! Da wellen sich Ihnen schon mal die Fußnägel hoch. Und natürlich sind Sie nicht erfreut, Sie gehen jetzt nicht mit Riesenspaß da dran. Aber Sie wissen, wenn Sie erstmal so einen Rhythmus haben, nach zwei, drei Tagen, und Sie haben sich nicht kaputt gemacht, dann kommt so ein Automatismus, und da wachsen Sie förmlich hinein."
"Für mich war es so dieses Körpergefühl: Also so schnell laufen zu können, dass du aus dir herausläufst! Also dass du ein Gefühl von Freiheit hast! So einen inneren Punkt zu finden, so eine helle Mitte! Das hat was zum Süchtigwerden. In so ne Leichtigkeit hineinzulaufen, wo du dich nicht kennst, wo du einen Moment von Freiheit spürst. Das macht wirklich Spaß!"
Das kenne ich jetzt sogar, was die ehemalige Weltklassesprinterin Ines Geipel da beschreibt, dieses Freiheitsgefühl. Es hat etwas mit Beschleunigung zu tun, mit dem Moment, da man glaubt, man könne allem entrinnen – nicht nur dem Alltag, sondern letztlich sogar sich selbst. "Helle Mitte" ist ein schönes Wort dafür, Geschwindigkeitserfahrung als transzendierendes Moment. Es ist der Grund, warum ich wie Thomas Dommermuth Fahrrad fahre möglichst schnell Fahrrad fahre.
"Dann musst du nur noch an deiner Kontinuität arbeiten, 4.800 Kilometer im Visier."
Mein Über-Ich mit seinen schlauen Ratschlägen! Dass ich seit meiner Jugendzeit gerne Fahrrad fahre, hat ja meine Übergewicht keineswegs verhindert.
"Überdurchschnittlich viele Sportler mit Übergewicht (...) bevorzugen das Rad als Sportgerät."
"Sagt erwähnte die Studie der Techniker-Krankenkasse. Sieht also nicht nach einer so anstrengenden Fortbewegungsart aus. Zugleich ist Radfahren die beliebteste Sportart überhaupt – kein Wunder, bei der Dominanz der Übergewichtigen."
Aber dieser klitzekleine Lichtblick trennt mich von den völlig hoffnungslosen Fällen, den 20 Prozent Anti-Sportlern und 32 Prozent Sportmuffeln. Im Gegensatz zu ihnen habe ich noch so etwas wie ein Bewegungsprofil.
"Und das wäre?"
Einmal, vielleicht auch zweimal.
"Zweimal?"
Einmal in der Woche, knapp eine Stunde lang 25 bis 30 Kilometer Rad zu fahren.
"Auch bei Regen?"
Wenn ich losfahre, regnet es normalerweise nicht. Aber ich halte auch nicht an, wenn es zu regnen beginnt. So verzärtelt bin ich nun auch wieder nicht.
"In allen Jahreszeiten?"
Frühjahr, Sommer, Herbst.
"Wenn du nun bei schlechtem Wetter und im Winter für Kompensation sorgen würdest, wärst du fast auf der sicheren Seite. "
"Die WHO empfiehlt in ihrer Studie von 2010 entweder 150 Minuten moderate Anstrengung oder 75 Minuten intensives Training in der Woche."
"Und dazu muss man ja nur naheliegende Dinge tun."
Falsches Joggen, richtiges Joggen
Das ist also alles das, was ich zu Fuß zurücklegen kann. Das ist erstmal am Einfachsten. Also Walken, Nordic-Walken, deswegen hat’s ja auch so unheimlich gehypt, beziehungsweise Joggen. Das sind sportliche Aktivitäten, die wenig Zeit kosten, die ich mit Freunden oder auch ohne Freunde machen kann. Meine Turnschuhe kann ich zum Beispiel überallhin mitnehmen. Das ist erstmal einfach. Die Turnschuhe, anderthalb Jahre meines Lebens habe ich diesen Klassiker erprobt, bin gejoggt, wie es echte Kerle tun. Erst machte ich es falsch, im Fitness-Center:
"Derjenige, der regelmäßig aufs Laufband geht, der hat dann den richtigen Weg gefunden sich abzulenken. Weil er die richtige Fernsehserie anschaut. Vielleicht telefoniert er auch mit seinem besten Freund. Letztendlich ist es dann ein Ablenken. Es entsteht kein Glücksgefühl, wenn du gegen eine Wand läufst oder gegen einen Bildschirm läufst. Da geht die Sonne nicht auf und da regnet’s nicht und da passiert nichts. Und das sind diese Momente, die dir zum Glück fehlen."
Dann machte ich es richtig und ging in den Wald. Mit An- und Abfahrt kostete das fast einen halben Arbeitstag und fühlte sich – sorry für alle, die damit glücklich sind – fast genauso stupide an wie aller verordnete Sport ohne inneres Bewegungsmotiv. Dabei hatte ich sogar ein Vorbild von ehrfurchtsgebietendem Ausmaß, das jene Veränderung „vom Mops zum Asketen“ geschafft hatte, die ich selbst anstrebte: Joschka Fischer.
"Ich wusste jetzt, dass ich meinen neuen Lebensstil gefunden hatte, dass der Jojo-Effekt definitiv überwunden war und dass ich auch in Zukunft dem Laufen treu bleiben würde."
In Zukunft dem Laufen treu bleiben“, wie er 1999 vollmundig in einem Buch verkündete - da lachen ja die Hühneraugen! Allen Fettverbrennungs-Joggern in spe empfehle ich folgenden Test: Geben Sie den Namen unseres Ex-Außenministers bei Google ein.
"Das ist jetzt gemein!"
Klicken Sie auf "Bildersuche" und betrachten Sie das Ergebnis. Dick, dünn – sehr dick.
"Das Gewicht zu halten, ist die wirkliche Herausforderung! Das ist ja nicht nur ein Jahr, das sind dann die nächsten Jahre bis zum Ende Ihres Lebens. Wenn man das statistisch betrachtet, schaffen das eigentlich nur etwa 10 Prozent der Leute alleine. Wenn man irgendne Form hat, ne soziale Anbindung, dann sind die Leute sehr viel erfolgreicher. Für den Zeitraum, wo dieser soziale Umkreis existiert, der ihnen da hilft. Wenn der weg ist, geht das Gewicht schnell wieder hoch."
Aber die Gemeinschaft, die Gemeinschaft ist einfach nicht mein Ding. Würde die Gretchenfrage lauten: Willst du übergewichtig alleine oder dünn mit lebenslänglicher Gruppenanbindung sein.
"Wir kennen die Antwort."
Irrtum! Sie könnte nämlich lauten: MCII.
"Wir haben mit diesem Verfahren viele Studien gemacht und haben erstaunliche kurzfristige und langfristige Erfolge gehabt, und dies im Diätbereich, obwohl wir sie nach vier Monaten ganz alleine gelassen haben. Und das Schöne ist, dass nach mental contrasting with implemention intention oder MCII, dass mit dieser Technik die Leute sehr schnell ihr Essen umstellen und die Umstellung dann auch lange beibehalten."
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