Calcium ist eine Gefahr für Herz und Nieren
Unter den lebensnotwendigen Stoffen unserer Nahrung steht das Calcium an vorderster Front. Ohne Calcium leidet die Bildung von Knochen und Zähnen. Das verleitet manche Verbraucher zur Vorstellung, man könne davon gar nicht genug haben. Doch auch hier ist Vorsicht geboten.
Ein Säulenheiliger der bewussten Ernährung befindet sich in freiem Fall: Das "lebenswichtige" Calcium, der große Hoffnungsträger für alle, die gezielt der Osteoporose vorbeugen wollen. Millionen ahnungslose Bürger haben es Jahr für Jahr prophylaktisch als Tablette geschluckt, in Form calciumangereicherter Säfte getrunken oder teure Mineralwässer gekauft – gegen die morschen Knochen.
Bekanntlich gibt es für jedes Problem eine Lösung, die ist einfach, logisch und - falsch. So auch hier: Im Knochen steckt Calcium, also kann man ihn damit stärken und dem Knochenschwund vorbeugen. Daraus ergeben sich zwei Fragen: Im menschlichen Gehirn stecken 70 Prozent Wasser. Wenn man also das Denken stärken will, reicht es dann, einen Maßkrug leerzutrinken, um sich klug wie Einstein zu dünken? Und zweitens: Woher weiß das Calcium, nachdem es in bester Absicht geschluckt wurde, dass es sich im Knochen häuslich einrichten soll? Es könnte sich doch auch in den Blutgefäßen ablagern. Das Ergebnis wäre dann eine Verkalkung.
Die Gesundheitsaufklärer ließen sich von solchen Fragen nicht beirren, sie rieten weiterhin zu Calcium, und empfahlen eine calciumbetonte Ernährung mit Mineralwasser, Milch und Mangold. Als 2005 eine erste kleine Studie zeigte, dass die Arterien mit Calcium tatsächlich schneller verkalken als ohne, zeigte sich die Fachwelt unbeeindruckt. Schließlich galt es ja dem Knochenschwund entgegenzuwirken. Aber auch das erwies sich als Irrtum. Selbst nach zwei Jahren hatten die Calciumpillen keinerlei positiven Effekt auf die Knochendichte.
Auf dieses alarmierende Resultat folgten große Interventionsstudien in aller Welt. Ihr Ergebnis ist eindeutig und übertraf die schlimmsten Befürchtungen: Calcium lässt nicht nur die Gefäße verkalken, sondern es sorgt in der Folge für mehr Herzinfarkte! Teilweise wurde innerhalb von 5 Jahren eine Verdoppelung beobachtet. Ab einer Dosis - egal ob aus Nahrung oder Tabletten - von 900 Milligramm am Tag stieg die Zahl der Todesfälle spürbar an. Zur Einordnung: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt riskante 1000 Milligramm.
Viele Experten nahmen die Ergebnisse mit Schweigen zur Kenntnis, um alsbald neue Missetaten auszubaldowern: Sie kombinierten Calcium mit Vitamin D, erhöhten die Preise und der Rubel rollte. Die Bürger nahmen das Angebot wieder dankbar an – die Angst vor Osteoporose steckte vielen noch in den Knochen.
Massive Bedrohung für den Kreislauf
Inzwischen ist auch hier klar: Diese Kombination ist genauso wertlos wie Calcium alleine, so der aktuellste "Systematic Review", bei dem alle vorliegenden Studienergebnisse ausgewertet wurden. Neben Herzinfarkt und Schlaganfall verursachen die Supplemente außerdem Nierensteine und Magen-Darm-Probleme. Seit Jahren werden die Ärzte in der internationalen Fachpresse gewarnt, ihren Patienten diese ebenso sinnlose wie riskante Prophylaxe angedeihen zu lassen.
Man stelle sich vor: Da wird jahrzehntelang der Verzicht auf cholesterinhaltige Eier und Butter gepredigt, um dem Herzinfarkt vorzubeugen – wie wir heute wissen, eine völlig sinnlose Kampagne. Und nun stellt sich heraus, dass das supergesunde Calcium eine massive Bedrohung für Herz und Kreislauf darstellt. Und die sonst so vorlauten Berater schweigen!
Offenbar ist es lohnender, die Angst vor der Osteoporose weiter auszubeuten. Nachdem das Calcium auf Dauer nicht zu halten ist, sollen nun andere, verheißungsvolle Spurenelemente und Vitamine den Knochenschwund zum Schwinden bringen. Doch bevor wir diesen Versprechen auf den Leim gehen, vorbeugend die Frage: Womit versucht man im Labor beim Versuchstier mürbe Knochen zu erzeugen? Mit einem Vitamin! Man gibt den Nagern gesundes Vitamin A. Aber das erzählt natürlich kein Vitaminverkäufer.
Kann man mit Ernährung das Osteoporose-Risiko überhaupt beeinflussen? Ja. Sicher ist: Abnehm-Diäten verursachen Knochenschwund - unwiderruflich. Deshalb: Keine Diäten. Und was hilft dagegen? Am zuverlässigsten wirkt Hüftgold. Denn Fettgewebe produziert Östrogen – und das schützt die Knochen nach der Menopause. Mahlzeit!
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