Literatur

125 Jahre Ernest Hemingway: Angestaubt und trotzdem zeitlos

Ein grauhaariger älterer Mann mit Bart sitzt an einem Tisch und schreibt.
Ernest Hemingway schreibend in Kenia, circa 1953. © imago / Cinema Publishers Collection / Nara
Am 21. Juli jährt sich der Geburtstag von Ernest Hemingway zum 125. Mal. Die öffentliche Figur und einige seiner literarischen Themen würde es so heute nicht geben. Doch zentrale Elemente seines Schreibens sind nach wie vor relevant.
Ernest Hemingway hat in seinem Leben alles erreicht, wovon die meisten Schriftstellerinnen und Schriftsteller träumen: 1953 bekam er den Pulitzerpeis, im Jahr darauf den Literaturnobelpreis, und viele seiner Romane und Kurzgeschichten wurden mit den großen Stars seiner Zeit verfilmt.
Schon zu Lebzeiten entstand ein Personenkult um den US-amerikanischen Autor, der die Welt bereiste und wie ein Abenteurer lebte – nicht nur in seiner Heimat, sondern auch in seinen diversen Wahlheimaten in Frankreich, Spanien und auf Kuba.

Wegbereiter der Moderne

Hemingway gilt als einer der wichtigsten Vertreter der literarischen Moderne. Werke wie "Wem die Stunde schlägt", "Fiesta", "Der alte Mann und das Meer" oder seine Kurzgeschichten gehören nach wie vor zum Kanon der englischsprachigen Literatur. Er beeinflusste Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die selbst zu Klassikern wurden, darunter J.D. Salinger, Raymond Carver oder Toni Morrison.
Ein junger Mann mit Schnurrbart lächelt in die Kamera.
Beginn einer großen Karriere: Ernest Hemingway in Paris, 1922. © Imago / Granger Historical Picture Archive
Selbst zur Hochzeit der Postmoderne, als postkoloniale Literatur mit multiperspektivischen Erzählweisen en vogue war, war Hemingway keineswegs abgemeldet. Sein "fasse dich kurz"-Prinzip und sein minimalistischer, klarer Schreibstil galten als zeitlos modern.

"Angestaubter" Blick auf Frauen und Minderheiten

Seitdem ist viel passiert. Blickt man heute auf die öffentliche Figur Ernest Hemingway, wirkt er mit seinem Machotum, seiner Liebe zu Stierkampf, Jagd und Alkohol wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Hemingway war zwar immer auf der Höhe seiner Zeit, doch heute sind einige wiederkehrende Motive seiner Bücher nicht mehr zeitgemäß.
In seiner Besprechung der Neuübersetzung von "Wem die Stunde schlägt" berichtet Literaturkritiker Tobias Lehmkuhl im Deutschlandfunk, wie "angestaubt" vor allem die Beschreibungen der weiblichen Hauptfigur Maria wirken und wie "schwer erträglich" Liebe und Sex in dem Roman dargestellt werden.
In einem ihrer Essays aus dem Band "Im Dunkeln spielen" kritisierte die 2019 verstorbene afroamerikanische Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison Hemingway für seine Blindheit gegenüber nichtweißen Charakteren: "Womit ich sagen will, dass er weder ein Bedürfnis noch ein Verlangen nach ihnen hat, noch auch nur ein Bewusstsein von ihnen, sei es als Lesenden seiner Werke, sei es als Menschen, die überall existieren außer in seiner imaginativen Welt."

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Obwohl seine Novelle "Der alte Mann und das Meer" auf Kuba spielt, ging Hemingway laut Morrison selbstverständlich davon aus, dass die Hauptfigur weiß sei. Er schrieb Geschichten von Weißen für Weiße.
Bei allem Staub, der sich über das Werk eines Autors gelegt hat, der vor hundert Jahren seine schriftstellerische Karriere begann, gibt es doch einige zentrale Elemente, die Hemingway auch heute relevant machen.

Hauptfiguren mit Makeln

Die Hauptfiguren in Ernest Hemingways Romanen – vom impotenten Kriegsveteranen Jacob Barnes in "Fiesta" bis zum vom Pech verfolgten Fischer Santiago in "Der alte Mann und das Meer" – sind alles andere als perfekt. Sie sind authentische, oft labile Charaktere mit Fehlern, Ecken und Kanten.
Sie leiden unter den Folgen des Krieges, sind Alkoholiker, sie lassen sich entweder ganz bewusst treiben oder sind Getriebene. Und sehr oft scheitern sie – Beautiful Losers im ewigen Kampf mit der Realität, die sie umgibt. Sie sind komplexe, dreidimensionale Figuren, die heute in Serien oder Filmen zum guten Ton gehören.

Universelle Themen

Hemingways Romane und Kurzgeschichten werden meist aus der Perspektive eines männlichen Protagonisten erzählt, und sie handeln oft von sehr konkreten, teils historischen Ereignissen. Doch hinter der Erzählung verbirgt sich bei Hemingway meist eine weitere, universelle Geschichte, die unabhängig ist von Zeit, Geschlecht oder Hautfarbe.
So handelt "Der alte Mann und das Meer" zwar auf der Erzählebene von einem alten Fischer und seiner Jagd auf einen Marlin. Doch es geht dabei auf einer weiteren Ebene um nicht weniger als die conditio humana, um Besessenheit und das Scheitern mit Würde.
Ein Mann mittleren Alters mit Vollbart steht in einem Boxring mit nacktem Oberkörper, Handtuch über den Schultern und Boxhandschuhen.
Hemingway mit Mitte 40 beim Boxtraining.© imago / UIG / Underwood Archives

Die Kunst der Auslassung: die Eisberg-Theorie

In "Tod am Nachmittag" bringt Hemingway das Geheimnis seines Schreibens so auf den Punkt: "Wenn ein Prosaschriftsteller genug davon versteht, wovon er schreibt, soll er aussparen, was ihm klar ist. Wenn er nur aufrichtig genug schreibt, wird der Leser das Ausgelassene genauso stark empfinden, als hätte der Autor es zu Papier gebracht." Dann vergleicht er das Schreiben mit einem Eisberg, von dem sich nur ein Achtel über Wasser befindet.
Diese Komplizenschaft mit der Leserin oder dem Leser setzt voraus, dass er oder sie mündig ist. Es ist eine Art von Demokratisierung, die das moderne Schreiben kennzeichnet: weg vom allwissenden Erzähler und von der Idee des literarischen Genies, hin zur Partizipation.

Beim Wesentlichen bleiben

Vor seiner literarischen Karriere war Ernest Hemingway Journalist. Er fing als 18-Jähriger als Lokalreporter beim Kansas City Star an. Im Frühjahr 1918 meldete er sich freiwillig als Fahrer für das Rote Kreuz im Ersten Weltkrieg und wurde in Italien schwer verwundet. Nach dem Krieg wurde er Europa-Korrespondent des Toronto Star und Teil der literarischen Bohème in Paris um Gertrude Stein.
Obwohl seine journalistische Laufbahn früh endete, prägte sie Hemingways Arbeit als Schriftsteller entscheidend. Schon beim Kansas City Star war dem jungen Hemingway eingebläut worden, sich kurz zu fassen. Später sagte er: "Alles, was du tun musst, ist, einen wahren Satz zu schreiben. Schreib den wahrsten Satz, den du weißt." Das war sein Ausgangspunkt. Wurde eine Passage zu lang, kürzte er sie, bis er wieder die Essenz dessen erreicht hatte, was er erzählen wollte.

Show, don’t tell!

Was beim Film gilt, gilt genauso in der Literatur: nicht zu erzählen, sondern zu zeigen, was ist. Hemingway war überzeugt, dass dies nur möglich ist, wenn man weiß, wovon man spricht: "Um über das Leben zu schreiben, musst du es erst leben." Um dies zu üben, entschied Hemingway, eine Geschichte über jede Sache zu schreiben, die er wusste. "Ich versuchte, das beim Schreiben immer beizubehalten, und es war eine gute und strenge Disziplin."
Auch wenn ein großwildjagender Stierkampf-Aficionado mit Hang zum Alkohol im Jahr 2024 sicher nicht mehr dem Zeitgeist entspricht: 125 Jahre nach seiner Geburt beeinflusst Ernest Hemingway nach wie vor einflussreiche Autorinnen und Autoren, und seine Schreibtipps sind ebenso zeitlos wie sein Stil.

pj
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