Der größte Batteriespeicher Europas
Der Batteriespeicher in Schwerin kann explosionsartig sehr viel Leistung bereitstellen und funktioniert, ohne dass ein Mitarbeiter anwesend sein muss. Aber kann der Batteriespeicher auch mit bezahlbarem Aufwand Wind- und Sonnenstrom in das Netz integrieren?
"Kommen Sie kurz rein",
sagt Jost Broichmann vom westmecklenburgischen Stromanbieter WEMAG, der den Batteriespeicher betreibt.
"Die letzte Person, die hier drin war, war vorigen Mittwoch die Reinigungskraft. Die hat hier leider ihre Erdbeeren vergessen, deshalb habe ich heute wunderbar vergammelte Erdbeeren gefunden. Ansonsten ist keine Person in dieser Anlage. 24/7 autonom. Die erste Anlage der Welt, die Regelleistung erbringt, ohne dass ein Mensch anwesend sein muss."
Regelleistung - eine wichtige Systemdienstleistung in der Energieversorgung. Denn um ein Stromnetz stabil zu halten, müsse immer genau so viel Strom eingespeist werden wie gerade verbraucht wird. Wenn nun aber ein Kraftwerk ausfällt und plötzlich weniger einspeist, oder wenn umgekehrt Wind- oder Sonnenkraftanlagen aufdrehen und wie verrückt produzieren, komme es im Hochspannungsnetz zu Frequenzschwankungen, erklärt Jost Broichmann. Damit die sich nicht bis zum Kollaps aufschaukeln, greife der Schweriner Fünf-Megawatt-Akku binnen Millisekunden als Ersthelfer ein.
"Stellen Sie sich das vor wie eine Stimmgabel, die sie am Tisch anschlagen. Die würde dann sehr lange vibrieren. Wenn man aber sofort den Daumen draufhält, kommt es erst gar nicht zu diesen harmonischen Schwingungen. Die fängt gar nicht an zu klingen. Und genau das machen wir hier. Das heißt, wir sind hier ein Leistungsspeicher. Wir sind dazu da, kurzzeitig und geradezu explosionsartig sehr viel Leistung bereitzustellen für einen Zeitraum für maximal 15 Minuten, bis wir abgelöst werden durch die Sekundärregelleistung."
Risiko von Spannungschwankungen steigen
Bislang ist das Netz noch recht stabil. Treten Schwankungen auf, gleichen herkömmliche Kraftwerke sie aus. Doch Energiewende - das heißt auch mehr Strom aus Wind und Sonnenlicht vor allem im Norden. Die Anlagen produzieren unstetig, folglich werde das Risiko von Spannungschwankungen im Stromnetz steigen, sagt der Mann von der WEMAG.
"Dann sind Sie bestens vorbereitet und wissen, was wir hier treiben, nämlich ein altes Kohlekraftwerk vom Markt zu drängen. Dann wollen wir mal. Jeder schnappt sich einen Helm und dann geht´s los."
Wir treten in die kühle Herzkammer des Schweriner Batteriespeichers: Auf zwei Ebenen stehen 1.600 Racks mit jeweils 16 Akkus so groß wie Autobatterien. Macht zusammen 25.600 Batteriezellen. Bei 20 Jahren liegt die sagenhafte Leistungsgarantie des koreanischen Herstellers SAMSUNG, möglich wegen der sehr stabilen chemischen Zusammensetzung der Lithium-Ionen-Batterien und wegen ihrer speziellen Nutzung. Die hat das Berliner Unternehmen Younicos entwickelt. Dieses Hochleistungsakku-System werde niemals vollständig aufgeladen, sondern immer nur etwa zu 50 Prozent, erklärt Jost Broichmann.
"Der eine Techniker bei der Installation scherzte: 'Ihr macht hier ein Wellness-Programm für die Akkus.' Denn das sind immer sehr kleine Ströme, die in die Batterie reingehen oder entnommen werden. Wenn also 250 KWh in die Batterie geladen werden, und das ist eher der typische Fall, dann sind das runtergebrochen 10 Watt pro Zelle."
Ortswechsel. Unter der kürzlich erneuerten Hochspannungsleitung von Rostock-Schutow nach Wismar treffe ich Prof. Harald Weber. Der Direktor des Instituts für Elektrische Energieversorgung an der Universität Rostock befasst sich mit der Frage, wie sich Mecklenburg-Vorpommern auf einen großen Blackout vorbereiten sollte. Denn würden Naturkatastrophen oder Anschläge zu einem totalen Stromausfall im ostdeutschen Hochspannungsnetz führen, dann würde die Versorgung Stück für Stück von Süd nach Nord wiederaufgebaut - mit Mecklenburg-Vorpommern am Schluss.
Stunden, ja Tage könnten die hiesigen Wohnungen, Krankenhäuser, Unternehmen ohne Strom und Wärme bleiben, weil auch das Gasturbinenwerk in Schwerin und die großen Kraftwerke in Rostock lahmgelegt würden.
Zu viel Aufwand für einen Batteriespeicher?
Prof. Weber erklärt es am Beispiel eines Autos: Ein Kraftwerk sei für das Energieversorgungsystem so etwas wie der Motor für ein Auto. Fehlt die Stromzufuhr, geht der Motor aus.
"Bei einem Auto ist das gar kein Problem. Da setze ich mich rein und drehe am Zündschlüssel, denn im Auto habe ich ja eine Batterie. Mit dieser Batterie habe ich da unten drin im Auto einen kleinen Startermotor. Der treibt den großen Motor ganz kurz an, so dass der läuft. Und dann kann der große Motor wieder Energie und Leistung erzeugen, damit ich wieder fahren kann. Unsere Kraftwerke haben weder eine Batterie noch einen Startermotor. Wenn ich von außen niemanden habe, der mir hilft, kann ich nicht von alleine wieder starten."
Da könne nur ein Starterkabel helfen, das zur Batterie eines freundlichen Nachbarn führt. Womit wir beim Batteriespeicher in Schwerin wären.
"Dieses Starterkabel, das könnte für die Kraftwerke die neue Leitung sein, die von Schutow nach Wismar führt und von Wismar führt die Leitung ja weiter nach Schwerin. Wenn Schwerin zukünftig mit seiner neuen Batterie seine Gasturbinen anfahren kann, dann könnte über diese Leitung von Schwerin aus Kraft und Energie hergebracht werden. Und die könnten dann starten."
Es ist ein Zukunftsszenario, an dem die Wissenschaftler der Universität Rostock feilen. Derzeit beobachtet die Fachwelt vor allem, ob ein Batteriespeicher tatsächlich mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand helfen kann, Wind- und Sonnenstrom sicher in das bestehende Stromnetz zu integrieren. Fünf Megawatt schafft der Schweriner Akku-Block zur Zeit. Aber, so Jost Broichmann vom westmecklenburgischen Betreiber WEMAG:
"Wie Sie sehen, haben wir hier noch ein wenig Platz zum Anbauen. Da könnten auch nochmal zwei hinkommen."