Marokko: Afrikas Vorreiter in Sachen Erneuerbare Energien - Darüber, wie die Versorgung mit Wind- und Sonnenenergie aus der Wüste klappt, spricht Bauke Baumann, Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Rabat, im Podcast der Weltzeit.
Wo Sonne und Wind viel Kraft haben
24:16 Minuten
Solar- und Windenergie haben dort enormes Potenzial, dennoch ist Südafrika von Kohlestrom abhängig. Das ändert sich gerade, weil der staatliche Energiekonzern für viele Stromausfälle verantwortlich ist: Die wütende Bevölkerung sieht Alternativen.
In der Produktionshalle von ARTsolar in Durban herrscht reger Betrieb: Die Mitarbeiter sind mit der Herstellung von Solarpanels beschäftigt, überprüfen deren Qualität und packen sie anschließend in große Kartons, fertig für den Transport.
Geschäftsführer Viren Gosai führt derweil potenzielle Kunden durch die Fabrik: Eine Gruppe Südafrikaner, die mehrere Supermärkte besitzen und diese künftig mit Solarstrom betreiben wollen. Unternehmer wie diese gehören ebenso zu seinen Kunden wie Privatleute und sogenannte unabhängige Stromproduzenten, die größere netzgebundene Anlagen bauen, erklärt Gosai.
Das Interesse an erneuerbaren Energien sei momentan erfreulich groß: "Wir liefern gerade ziemlich viel aus. Der Lockdown und die Probleme bei der Stromversorgung in Südafrika haben dazu geführt, dass unser Geschäft aufgeblüht ist. Man sagt ja, dass es immer einen Silberstreif am Horizont gibt."
Stromausfälle nicht der Klimawandel als Motivation
Sein Unternehmen hatte mehr Glück als andere: Die benötigten Rohmaterialien waren gerade noch eingetroffen, bevor Häfen und Flughäfen geschlossen wurden. So konnte die Produktion, die als systemrelevant gilt, fortgesetzt werden.
Aufträge waren vorhanden, denn die Zeit vor dem Lockdown war vom sogenannten Loadshedding geprägt – geplanten Blackouts, bei denen im ganzen Land, einem Viertel nach dem anderen, für mehrere Stunden der Strom gekappt wird.
Schuld an dieser bereits seit Jahren andauernden Krise ist der hoch verschuldete staatliche Stromkonzern Eskom, der mit der lückenlosen Energieversorgung des Landes überfordert ist. "Diese Stromausfälle sind für meine Kunden die Hauptmotivation eine Fotovoltaik-Anlage zu installieren", sagt Viren Gosai.
"In europäischen Industriestaaten, insbesondere Deutschland, ist der Klimawandel der Treiber", erklärt er. "Hier in Südafrika ist es dagegen eher die Energiesicherheit. Es hat eine gewisse Ironie, dass das grüne Bewusstsein hier nicht so stark ausgeprägt ist, obwohl die Bedingungen für Erneuerbare viel besser sind. Aber die Leute entscheiden sich eher aus Groll über die Stromausfälle für eine Solaranlage. Weil viele jetzt im Homeoffice arbeiten, verstärkt sich dieser Trend noch. Und noch etwas hat sich durch die Pandemie geändert: Vorher haben die Kunden nach dem preiswertesten Produkt geschaut, jetzt aber spüren wir einen gewissen Patriotismus."
Nachdem sich Gosai von seinen Kunden verabschiedet hat, geht er ein paar Schritte durch die große Fertigungshalle. In einer verglasten Abteilung werden die Solarzellen gerade zu einzelnen Strängen verbunden, positioniert und verlötet. Im nächsten Raum durchlaufen sie eine Laminiermaschine.
Durch die monatelange Schließung der Grenzen sei vielen Südafrikanern die Abhängigkeit von Importen bewusst geworden, meint der Manager, sie interessierten sich nun zunehmend für einheimische Produkte. Außerdem hat die Regierung angekündigt, lokale Fertigungsbetriebe zu stärken, um die durch die Pandemie angeschlagene Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Gosais Firma kommt das sehr entgegen: ARTsolar wirbt damit, der einzige Solarpanelhersteller im Land zu sein, der zu 100 Prozent Südafrikanern gehört.
"Soweit wir wissen, sind wir sogar der einzige lokale Hersteller in ganz Afrika", sagt Viren Gosai. "Wir würden uns mehr davon wünschen! Hier in Südafrika haben wir nicht nur eine exzellente Sonnenstrahlung, sondern auch weite flache Landschaften, die sich für Solarparks eignen und eine gut ausgebaute Infrastruktur. Das macht uns auch so attraktiv für internationale Unternehmen und Investoren aus dem Bereich der Erneuerbaren. Es ist wirklich tragisch, dass viele unserer ursprünglichen Zuliefererbetriebe nicht mehr existieren: Etwa jene, die das Glas oder die Rahmen für unsere Solarpanels hergestellt haben."
Solar- und Windenergie wurden jahrelang boykottiert
Und so muss das Unternehmen alle Einzelteile importieren: Rahmen, Glas, Solarzellen. Ähnlich sieht es auch im Bereich der Windindustrie aus. Fertigungsbetriebe, wie etwa Hersteller von Windanlagentürmen, mussten schließen. Nicht wegen der starken internationalen Konkurrenz, sondern weil die südafrikanische Regierung den Ausbau Erneuerbarer Energien jahrelang regelrecht boykottiert hat.
Unter dem von Korruptionsskandalen umwitterten Ex-Präsidenten Zuma, der auf Kohlekraft und Atomenergie setzte, wurde das 2011 gestartete Programm für Erneuerbare auf Eis gelegt. Der staatliche Ausbauplan für den Energiesektor wurde, entgegen der Vorschrift, jahrelang nicht aktualisiert.
Ntombifuthi Ntuli, die Vorsitzende des südafrikanischen Windenergieverbands, erinnert sich: "Bis zum Jahr 2014 hatte es regelmäßige Bieterrunden für netzgebundene Großprojekte gegeben. Aber dann ist alles abrupt zum Stillstand gekommen. Der staatliche Stromversorger Eskom hat sich geweigert, bereits geplante Verträge mit unabhängigen Stromproduzenten zu unterzeichnen. Über drei Jahre lang hat sich gar nichts mehr getan. Wir haben viele Arbeitsplätze verloren, geplante Investments wurden wieder zurückgezogen, die meisten herstellenden Betriebe mussten schließen, weil die Nachfrage eingebrochen war."
Filz und Korruption beim staatlichen Energieversorger
Es waren düstere Jahre für die junge Branche: Bereits genehmigte Wind- und Solarparks wurden zwar fertig gebaut, aber die politische Blockade verhinderte neue Großprojekte. Erst mit der Ablösung Zumas durch den amtierenden Präsidenten Cyril Ramaphosa im Jahr 2018 ist die Hoffnung auf eine Energiewende wieder aufgekeimt.
Der von Korruption zerfressene Stromkonzern Eskom wird umstrukturiert, die Umsetzung des längst überfälligen Ausbauplans für einen neuen Energiemix soll beschleunigt werden. Erneuerbare Energien, insbesondere Wind- und Solarkraft, spielen dabei angesichts sinkender Kosten und kürzerer Bauzeiten eine größere Rolle: Bis 2030 sollen sie etwa ein Viertel der landesweiten Energieproduktion ausmachen. Der bislang dominierende Kohlestrom noch rund die Hälfte.
Viele der Kraftwerke stehen ohnehin kurz vor dem Ende ihrer Laufzeit. Im Januar betonte Präsident Ramaphosa bei einer Konferenz von Wirtschaftsvertretern:
"Lassen sie uns eine neue Richtung im Energiesektor einschlagen. Wir sind dabei all die politischen Weichen neu zu stellen, die bislang zu Unsicherheit und Widersprüchen geführt haben. Wir stehen am Beginn einer neuen Ära, in der wir Unternehmen und Haushalten auch zugestehen, ihren eigenen Strom zu produzieren."
Bislang war das nur in Ausnahmen, unter Einschränkungen und nach bürokratischen Hürdenläufen möglich. Die großen Solar- und Windparks speisen zwar Strom ins Netz ein. Konzernen und Privatleuten verwehrte Eskom diese Möglichkeit jedoch in der Regel.
Die Konsequenz war ein regelrechter Wildwuchs, erklärt Karin Kritzinger vom Zentrum für Erneuerbare Energien an der Universität Stellenbosch.
"Wir haben herausgefunden, dass 75 Prozent der Fotovoltaik-Anlagen auf den Dächern von Privathäusern nie offiziell registriert worden sind. Die Leute haben sie einfach installiert und lassen ihre Stromzähler rückwärtslaufen, ohne dass die Gemeinde oder Eskom davon erfahren. Das ist ein Problem, das gelöst werden muss: Wir brauchen einen Überblick, wo sich diese Anlagen befinden, sowohl, um Schäden am Stromnetz oder Unfälle zu verhindern, als auch zur Planung der Energieversorgung."
Liberalisierung des Strommonopols als wichtiger Schritt
Mittlerweile scheint auch der Regierung klar zu sein, dass der ersehnte Wirtschaftsaufschwung ohne eine verlässliche Energieversorgung nicht möglich ist, dass Eskom diese Aufgabe allein nicht stemmen kann und an Einspeisetarifen kein Weg vorbeiführt.
Die Liberalisierung des einstigen Strommonopols entbindet auch Städte und Gemeinden von der Pflicht, Strom von Eskom zu beziehen. Joanne Dean vom Rat für Erneuerbare Energien, einem Dachverband der Branche, spricht von einem entscheidenden Schritt.
"Die Eigenproduktion ist sehr wichtig", sagt sie. "Sie bedeutet, dass wir uns von einer zentralen zu einer dezentralen Stromversorgung entwickeln. Städte erhalten beispielsweise die Möglichkeit, Methan aus Kläranlagen oder Mülldeponien zur Stromerzeugung zu nutzen. Dazu kommen natürlich Wind- und Solaranlagen, je nachdem welcher Energiemix sich vor Ort anbietet. Unternehmen und energieintensive Konzerne können Kosten sparen und ihre Emissionen verringern, auch mit Blick auf die 2019 eingeführte CO2-Steuer. Für unsere Branche bedeutet das alles Wachstum, weil es eine neue Nachfrage schafft."
Auch bei ARTsolar hofft man nach schwierigen Jahren nun auf den Aufschwung. Die Kapazität der Fabrik ist bei Weitem nicht ausgeschöpft, sie könnte viel mehr produzieren. Von rund 250 Mitarbeitern arbeiten nur noch 54 in Vollzeit hier, erzählt Viren Gosai. Auch das in der Krise erweiterte Geschäftsmodell, zur reinen Fertigung kamen Installationen, konnte das nicht verhindern.
"Die traurige Realität in Südafrika und der gegenwärtigen Wirtschaftskrise ist, dass 90 Prozent unserer ehemaligen Angestellten bis heute keinen neuen Job gefunden haben", sagt er. "Fast täglich meldet sich einer von ihnen, um zu fragen, ob es Arbeit gibt. Ebenso traurig ist es, dass der Industrie in den vergangenen Jahren Fachkräfte verloren gegangen sind. Sie arbeiten nun in anderen Branchen. Aber mit der neuen Unterstützung des Ministeriums für Handel und Industrie, das die lokale Produktion fördern will und den Bau neuer Solarparks, besteht die Chance, dass wir viele unserer ehemaligen Mitarbeiter wieder einstellen können."
Arbeitsplätze stehen auch im Mittelpunkt dessen, was in Südafrika als 'just energy transition' bezeichnet wird: Gemeint ist ein fairer Übergang vom Kohlezeitalter in das des Ökostroms. Gerade in einem Land, das von sozialer Ungerechtigkeit und hoher Arbeitslosigkeit geprägt ist, ist dies besonders wichtig, betont Wissenschaftlerin Karin Kritzinger.
"Wir wissen, dass die Entwicklung zu grünerem, saubererem Strom hinführt", sagt sie. "Die Frage ist, wie wir sie so gestalten, dass es auch gerecht zugeht, dass die Mehrheit der Bevölkerung profitiert und nicht nur ein paar einzelne Personen. Unser ganzes Stromnetz ändert sich, auch in Bezug auf die Standorte der Stromerzeugung. Das Kohlerevier liegt in einer anderen Provinz, als die meisten Wind- und Solarfarmen. Das Netz muss entsprechend angepasst werden. Außerdem werden sogenannte Energie-Entwicklungszonen geschafften, von denen eine im traditionellen Kohlemekka Südafrikas liegt."
Gemeinden sollen vom Solarstrom profitieren
Gesetzlich vorgeschrieben ist auch, dass die lokale Bevölkerung rund um die neuen Solar- und Windparks profitieren muss, anders als bei den alten Kohlekraftwerken, die noch dazu eine verheerende Umweltverschmutzung hinterlassen. Dabei geht es um mehr als nur Jobs, findet Ntombifuthi Ntuli vom Windenergieverband.
"Es gibt zwei Phasen", erklärt sie. "Zum einen werden die Communities zu Anteilseignern, ein Teil der Gewinne fließt also an sie. Dabei können stattliche Summen zusammenkommen, die sie beispielsweise in ihre eigene Infrastruktur investieren können. Zum anderen gibt es die Vorgabe, dass Ökostromprojekte in die sozio-ökonomische Entwicklung der Nachbargemeinden investieren müssen. Beispielsweise in Bildung, Stipendien, Gesundheitsvorsorge, die Förderung von Frauen und Unternehmertum. Außerdem sind bestimmte Jobs für die Leute in der unmittelbaren Gegend reserviert. Die Struktur des Programms zielt also wirklich auf die Unterstützung dieser lokalen Communities ab."
Was aus Sicht der Branche weiterhin fehlt, ist langfristige Planungssicherheit, ein Masterplan der Energiewende, der nicht wie der gegenwärtige Ausbauplan bereits nach einer Dekade endet. Unklar ist beispielsweise, welche Rolle Kernkraft und Erdgas nach 2030 spielen werden. In der Branche gibt es Befürchtungen, dass die Regierung Erdgas nach der Entdeckung enormer Vorkommen vor der Küste präferieren wird. Lobbyarbeit spielt hier eine große Rolle. Die Debatte werde teils ideologisch und nicht rational geführt, bemängelt Karin Kritzinger von der Universität Stellenbosch.
"Wir stehen hier nicht vor einer Entweder-oder-Frage", sagt sie. "Wir müssen den besten Energiemix für Südafrika finden. Der Vorteil von Gas-Kraftwerken gegenüber kohlebetriebenen ist beispielsweise, dass man sie leichter an und ausschalten kann. Erdgas könnte die Erneuerbaren also gut ergänzen. Es ist Teil eines gesamten Systems. Oft sind auch die Unternehmen für beide Optionen offen, sie arbeiten sowohl mit Erdgas, als auch mit unterschiedlichen erneuerbaren Energien."
Südafrika als Player in der Region
ARTsolar in Durban konzentriert sich weiter ausschließlich auf die Solarenergie. In der Fabrik wird gerade eine Lieferung für den Transport vorbereitet. Nach einer letzten Qualitätsprüfung heben Arbeiter die Solarpanels vorsichtig in große Kisten. Sie gehen nicht an einen Kunden in Südafrika, sondern an ein Projekt in einem der Nachbarländer, erklärt Manager Viren Gosai.
"Wir beliefern bereits etliche Länder in der Subsahara-Region. Sie sind an südafrikanischen Produkten sehr interessiert. Angesichts knapper Finanzen schauen sie nicht nur nach dem Preis, sondern auch nach garantierter Qualität und gutem Kundendienst. Außerdem wollen alle jetzt unter dem Eindruck der Pandemie den innerafrikanischen Handel stärken. Nach Simbabwe zeigt nun beispielsweise auch Sambia Interesse und andere weiter entfernte Länder wie Guinea. Auch sie haben nun den Traum von Erneuerbaren Energien."
Wie schon in anderen Wirtschaftsbereichen, könnte Südafrika auch mit Blick auf Erneuerbare Energien zu einem wichtigen Akteur im Süden des Kontinents werden, so die Hoffnung. Das Potenzial ist vorhanden, nun müssen Hürden abgebaut und weitere Stromausfälle verhindert werden. Der Energiesektor darf nicht noch einmal zum Spielball der Politik werden.