Ernst Jünger: "Gespräche im Weltstaat. Interviews und Dialoge 1929 – 1997"
Hrsg. von Rainer Barbey und Thomas Petraschka
Klett-Cotta, Stuttgart 2019
576 Seiten, 45 Euro
Dialoge über die Substanz der Zeit
06:46 Minuten
Immer wieder suchten Bewunderer, Freunde und Journalisten aus aller Welt das Gespräch mit Ernst Jünger, dem ebenso bedeutenden wie umstrittenen Schriftsteller. Ein neues Buch versammelt 43 "Interviews und Dialoge" über einen Zeitraum von 68 Jahren.
Im hohen Alter darf man sogar sich selbst historisch werden. "Manchmal trinkt man morgens Kaffee. Das ist eine gewisse Epoche", sagte der hundertundeinjährige Ernst Jünger. "Dann wieder Tee oder einfach Mineralwasser. Das sind Lebensabschnitte."
43 "Interviews und Dialoge" sind in dem von den Regensburger Literaturwissenschaftlern Rainer Barbey und Thomas Petraschka herausgegebenen Sammelband "Gespräche im Weltstaat" enthalten. Die Auswahl, die knapp die Hälfte dessen beinhaltet, was sich in Archiven aufstöbern lässt, ist schon deshalb spektakulär, weil der Zeitrahmen von 1929 bis 1997 reicht. Dass viele Gesprächspartner aus dem Ausland kommen, ist wenig erstaunlich, da Jünger bis heute vor allem in Frankreich sehr viel höheres Ansehen genießt als hierzulande.
Je älter er war, desto gesuchter wurde er. Allein zum hundertsten Geburtstag gab es zwölf Gespräche, dagegen vor 1945 nur sieben und während der NS-Zeit gar nur ein einziges, 1935. Das hat damit zu tun, dass Jünger als Weltkriegsheld von Goebbels umworben wurde, die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten jedoch ablehnte und so zur Persona non grata geworden war.
Nach 1945 sind es dann vor allem die Bewunderer, die zu ihm nach Kirchhorst bei Hannover, nach Ravensburg und ab 1950 in die Wilflinger Oberförsterei pilgerten. Jünger bevorzugte das freundschaftliche, "verbindende Vergnügen" und suchte sich seine Gäste entsprechend aus.
Nach 1945 sind es dann vor allem die Bewunderer, die zu ihm nach Kirchhorst bei Hannover, nach Ravensburg und ab 1950 in die Wilflinger Oberförsterei pilgerten. Jünger bevorzugte das freundschaftliche, "verbindende Vergnügen" und suchte sich seine Gäste entsprechend aus.
Sein Werk war für ihn nie abgeschlossen
Kontroverse, harte Nachfragen wie im "Spiegel"-Interview von 1982 – als er als Goethe-Preisträger umstritten war – bleiben deshalb die Ausnahme. Da hatte er als einer, der "im Kaukasus spazieren gehe", das Gefühl, er müsse "in Maulwurfshügeln herumstochern".
Er hielt Gespräche für Gebilde "so leicht und unbestimmt wie die Wolken", wie er in einem Brief an den Bruder Friedrich Georg 1920 notierte, aus dem die Herausgeber in ihrem instruktiven Vorwort zitieren. So wie die Wolken Wasser aufnehmen, transportieren Gespräche die gesamte Substanz ihrer Zeit. Sie bleiben jedoch etwas Flüchtiges, Veränderbares, aber gerade das machte sie für Jünger kostbar.
Auch seine Werke waren für ihn nie abgeschlossen. Selbst dann noch, als er an der zweiundzwanzigbändigen Werkausgabe arbeitete, blieben sie einem ständigen Wandlungsprozess unterworfen. Für einen Autor, der als konservativ gilt, ist das eine überraschende Sichtweise.
Auch seine Werke waren für ihn nie abgeschlossen. Selbst dann noch, als er an der zweiundzwanzigbändigen Werkausgabe arbeitete, blieben sie einem ständigen Wandlungsprozess unterworfen. Für einen Autor, der als konservativ gilt, ist das eine überraschende Sichtweise.
Ein Anarch? Ein Koservativer?
Er, der sich als "Anarch" bezeichnete, hielt "konservativ" in der prosperierenden Bundesrepublik für ein Wort, "das nichts mehr bedeutet". 1978 sagte er dann aber: "Ich bin Konservativer ein wenig wie die Eiche oder das Windröschen, wenn sie ihre Wurzeln in die Erde senken. Konservativer zu sein, ist keine politische Idee. In meinem Sinn bedeutet es, ganz und ohne Einschränkung Mensch zu sein. Goethe ist meiner Ansicht nach ein Konservativer." Da war er zu einer Art grünen Vordenker geworden, der sich klar auf der Seite der Ökologie positionierte.
Redundanzen sind im Lauf der Jahrzehnte unvermeidlich, wenn es immer wieder um Krieg und Frieden, das Verhältnis zum Nationalsozialismus und die Überwindung der Nationalstaaten, aber auch um Autorschaft und Werk-Fragen geht.
Redundanzen sind im Lauf der Jahrzehnte unvermeidlich, wenn es immer wieder um Krieg und Frieden, das Verhältnis zum Nationalsozialismus und die Überwindung der Nationalstaaten, aber auch um Autorschaft und Werk-Fragen geht.
Auch Widersprüchliches findet sich, was Jünger aber kein bisschen irritierte. Da kann er mal diese, mal jene Vorliebe behaupten, sich im Zweifelsfall aber auf das "stereoskopische Denken" berufen, mit dem er zwischen den Polen Wissenschaft und Mythos oszillierte. "Das Genie ist vom Zeitgeist nicht abhängig. Das Genie macht Zeit", sagte er. Das sind Sätze, die man erst mit Hundert gelassen aussprechen kann.