Ernst Paul Dörfler: "Nestwärme"

Vögel sind die besseren Menschen

Ernst Dörfler im Gespräch mit Frank Meyer |
Gleichberechtigung, Treue, Gewaltverzicht - Vögel sind darin weitaus besser als Menschen. Wir sollten sie uns zum Vorbild nehmen, rät der Vogelkundler Ernst Paul Dörfler in seinem Buch "Nestwärme".
Frank Meyer: Wo sind uns Vögel haushoch überlegen, wie steht‘s um Treue und um sexuelle Freizügigkeit bei Vögeln, was ist zum Beispiel der Schnepfenstrich, und was können wir von den Vögeln lernen – um solche Fragen geht es in dem Buch "Nestwärme", das Ernst Paul Dörfler geschrieben hat. Er ist Naturschützer und Vogelkundler, er hat sich schon in der DDR für die Umwelt engagiert, als da noch Mut zu gehörte, er hat eine ganze Reihe von Büchern geschrieben, und jetzt ist er hier bei uns im Studio. Seien Sie willkommen, Herr Dörfler!
Ernst Paul Dörfler: Hallo!
Meyer: Sie haben mir gerade erzählt, dass sie direkt hier auf dem Weg hierher vor dem Funkhaus schon einen Habicht entdeckt haben. Ihre Vogelsinnesorgane sind offenbar immer offen.
Dörfler: Ja, genau. Die sind immer angeschaltet. Ich war erstaunt, dass er jetzt auch schon tüchtig hier ruft, und daraufhin habe ich die Suche begonnen, ihn auch sofort gesehen. Die Kronen sind ja noch nicht belaubt. Er ist natürlich deshalb hier, weil er hier gut Beute machen kann. Hier gibt es relativ viele Singvögel, und die mag er.
Meyer: Hier mitten in der Stadt Berlin. Es gibt jetzt schon einige Bücher über die besonderen Fähigkeiten der Vögel. Das Besondere an Ihrem Buch ist die Frage, was wir Menschen von den Vögeln lernen können. Das steckt ja schon im Titel. Warum ist das denn für Sie überhaupt eine sinnvolle Frage, da wir ja keine Vögel sind?
Dörfler: Ja, ganz einfach, weil wir Menschen offensichtlich vieles falsch machen im Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen. Wir merken das ja: Artensterben, Klimawandel und so weiter. Da habe ich mir angeschaut, wie die Vögel so leben, denn die leben ja schon seit 100 Millionen Jahren auf dieser Erde, wir seit einer Million Jahren. Da habe ich festgestellt, dass Vögel tatsächlich die besseren ökologischen Kompetenzen haben, die in Gesundheitsfragen Vorbild sein könnten. Auch in sozialen Fragen muss man staunen: Da zeigen sie teilweise ein besseres Verhalten, als wir es an den Tag legen.

Höhere Kompetenz in vielen Bereichen

Meyer: Sie haben das auch strukturell in Ihrem Buch eingebaut. Ihre Kapitel beginnen immer mit der Frage, was wir Menschen auf einem bestimmten Gebiet so treiben, und dann kommen die Vögel hinterher, und die Vögel schneiden bei Ihnen immer besser ab, oder?
Dörfler: Ja, sie schneiden meist besser ab, zum Beispiel, was die partnerschaftlichen Beziehungen angeht. Die Paarbeziehungen sind in aller Regel sehr fair und ausgewogen. Arbeitsteilung ist in der Regel vorherrschend, und vor allem: Vögel üben Gewaltverzicht. Sie wenden also keine Gewalt an. Es gibt innerhalb einer Vogelart kein Blutvergießen, keine Körperverletzung, und die Männchen-Weibchen-Beziehungen, die sind sehr harmonisch, weil die Weibchen den Ton angeben.
Meyer: Aber wenn wir das ernstnehmen mit dem Lernen von den Vögeln – nun leben wir völlig anders als die Vögel logischerweise –, wie können wir das denn übertragen von den Vögeln auf die Menschen?
Dörfler: Ach, ganz einfach. Ich mache das! Ich mache das zunehmend, und es macht mir großen Spaß. Also eine Geschichte ist zum Beispiel das Intervallfasten. Die Vögel machen das seit eh und je, weil es gibt in der Natur immer mal Zeiten des Überflusses und Zeiten des Mangels. Für unsere menschlichen Vorfahren gab es das auch. Wir leben aber jetzt im täglichen Überfluss.
Das hat Folgen, gesundheitliche Folgen für uns, aber auch ökologische Folgen, Krankheiten, Zivilisationskrankheiten, die die Vögel nicht haben. Eine Möglichkeit, gesünder zu leben, das machen die Vögel durch Intervallfasten. Die Intervalle sind mitunter länger. Man geht also in den Winter mit zwei Kilogramm Körpergewicht als Reiher hinein, und mit einem Kilogramm kommt man aus dem Winter heraus.
Meyer: Die Hälfte.
Dörfler: Das ist eine Gewichtsreduzierung um 50 Prozent. Das müssen wir so nicht nachahmen.
Meyer: Da bin ich froh.
Dörfler: Es reicht für uns eigentlich auch, wenn wir 16 Stunden mal nichts essen und dadurch unseren Zellabfall im Körper verwerten und dadurch auch gesünder leben.
Meyer: Jetzt haben Sie ja schon gesagt, Gewaltverzicht bei den Vögeln. Es juckt mir jetzt in den Fingern, auch die Gegenbeispiele anzuführen, denn die enthalten Sie einem nicht vor in Ihrem Buch. Zum Beispiel die Schreiadler, bei denen, beschreiben Sie, werden immer zwei Eier gelegt, aber nur ein Junges großgezogen, das zweite Ei ist im Prinzip nur eine Reserve, falls das erste nicht schlüpft, aber wenn doch beide zur Welt kommen, dann frisst wohl das ältere Junge das Jüngere auf, also Kannibalismus würden wir bei uns sagen. Das ist doch zum Beispiel extrem hart und gar nicht gewaltfrei.
Dörfler: Richtig. Man kann auch Kainismus dazu sagen, aber man muss wissen, das ist die extreme Ausnahme unter unseren Vögeln. Von 250 Brutvogelarten macht das eine einzige Vogelart systematisch. Ausnahmen gibt es immer in der Natur, und man sollte die Ausnahmen nicht so hervorheben, denn die Regel ist eben eine andere. Die Regel ist, dass beide Eltern sich sehr liebevoll um den Nachwuchs kümmern, dem Nachwuchs auch Nestwärme und Zuwendung spenden und meist auch gemeinsam für die Ernährung und für den Schutz sorgen.

Treu sein und trotzdem mit dem Nachbarn vögeln

Meyer: Partnerbeziehungen haben Sie auch schon angesprochen, und da kriegen die Vögel offenbar, was so die eheliche Treue angeht, das tatsächlich besser hin als viele Menschenpaare. Welche Vögel sind denn besonders monogam, zum Beispiel auch, wenn ein Partner mal verletzt ist oder auszufallen droht?
Dörfler: Also Vögel leben zu 90 Prozent in monogamen Beziehungen, ein Männchen, ein Weibchen. Da darf man nicht denken, dass das eine sexuelle Monogamie ist. Es ist lediglich eine soziale Monogamie. Es gehört zum guten Ton. Fremdfliegen ist erlaubt, das heißt, das Weibchen stimmt einer Begattung durch den Nachbarn beispielsweise ohne Weiteres zu. Das gibt eine große Vielfalt, eine genetische Vielfalt, erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeiten. Solidarisches Verhalten gibt es durchaus auch bei Vögeln, zum Beispiel bei Gänsen. Eine Gans steht zu ihrem Ganter, auch wenn er mal verletzt ist und nicht so einsatzbereit ist.
Meyer: Das ist ja überhaupt so ein Grundzug Ihres Buches, dass Sie Vögel als Mitkreaturen anschauen, also nicht dieses klassische Modell: Menschen sind allen anderen Wesen übergeordnet nachvollziehen. Das tun Sie zum Beispiel auch, wenn Sie über die Gefühle der Vögel schreiben. Was fühlen denn Vögel?
Dörfler: Wir haben ja lange Zeit gedacht, dass Vögel überhaupt nichts fühlen, sodass sie unter unwürdigen Bedingungen gehalten wurden. Hühner, Gänse, Enten, Puten, Massentierhaltung. Man hat ihnen Schmerz abgesprochen. Inzwischen weiß man, sie fühlen Schmerz, sie erleben Stress, werden dadurch auch krankheitsanfälliger, brauchen Antibiotika. Inzwischen gibt man zu, ja, schlechte Gefühle, also Schmerz und Leid und Trauer können sie empfinden, aber die angenehmen Gefühle wie Glück, Freude, so etwas wie Liebe, das hat man ihnen bis heute nicht so richtig zuerkannt.
Wir können natürlich nicht nachempfinden, wie Vögel fühlen, aber wir wissen, dass es letztlich die gleichen Hormone sind, die im Vogelkörper kreisen, also Oxytocin, das Kuschelhormon zum Beispiel, oder Phenethylamin, das Verliebtheitshormon, und da die biochemische Gleichheit sozusagen erkennbar ist, kann man annehmen, kann man, glaube ich, auch wissenschaftlich annehmen, dass Vögel auch eine positive Gefühlswelt haben. Das muss auch so sein: Wenn die Vögel nicht emotional belohnt werden für die Sorge um den Nachwuchs, dann gäbe es diesen Nachwuchs ja gar nicht.
Meyer: Interessanterweise, was man auch erfährt in Ihrem Buch: Vögel haben tatsächlich Frühlingsgefühle, während man bei uns ja auch von den Frühlingsgefühlen spricht, aber das eigentlich Quatsch ist, weil eigentlich müssten wir sagen, wir haben Herbstgefühle, oder?
Dörfler: Ja, also man denkt immer, im Frühling haben wir hohe Hormongehalte. Das ist ein Irrtum. Unser Testosteronhoch liegt im Herbst. Das ist auch vernünftig, weil ja die Kinder dann im Frühsommer geboren werden sollten, aber bei Vögeln stimmt es: Vögel haben echte Frühlingsgefühle, und deren Testosterongehalt steigt jetzt ganz langsam an, und dieses Testosteron zusammen mit Adrenalin treibt sie dazu an, zu singen, sich zu präsentieren, sich darzustellen, um den Zuschlag von einem Weibchen zu bekommen.

Lebensgrundlagen nach der Natur ausrichten

Meyer: Jetzt habe ich es schon gesagt, Sie schreiben immer wieder auch über den Menschen. Sie engagieren sich schon sehr lange für den Naturschutz, schon in der DDR haben Sie das getan, auch ein folgenreiches Buch damals schon veröffentlicht. Wie sehen Sie das denn, wie stehen für Sie die Aussichten, dass wir tatsächlich von den Vögeln lernen?
Dörfler: Wir werden von den Vögeln lernen müssen, wenn wir als Menschheit nicht untergehen wollen. Das heißt, wir müssen unser Verhalten völlig neu ordnen, uns an der Natur, an den Lebensgrundlagen ausrichten. Wir müssen dafür sorgen, dass wieder Insekten leben können. Wir brauchen eine Artenvielfalt an Pflanzen. Wenn es den Vögeln schlecht geht, auch wenn es den Bienen schlecht geht, wenn die Bienen uns verlassen, nehmen sie uns mit. Das muss uns klar sein.
Das Schöne daran wiederum ist, dass wir es in der Hand haben. Wir wissen, wo die Probleme liegen, die liegen in dem Pestizideinsatz in der Landwirtschaft zum Beispiel. Wenn wir uns selbst etwas Gutes tun, also gute, gesunde Nahrung zu uns führen, wenn wir Apfelbäume pflanzen und andere gute Dinge tun, dann tun wir auch den Vögeln etwas Gutes, und wir sichern dann auch Zukunft.
Meyer: "Nestwärme: Was wir von den Vögeln lernen können", so heißt das Buch von Ernst Paul Dörfler. Im Hanser-Verlag ist das erschienen, mit 288 Seiten, 20 Euro ist der Preis. Vielen Dank für den Besuch hier bei uns!
Dörfler: Ja, sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema