Ernst-von-Siemens-Musikpreis für Rebecca Saunders

"Komponieren ist ja eigentlich ein Denkprozess"

Rebecca Saunders sitzt in einem Arbeitszimmer an einem Schreibtisch
"Was ist das Fragile, das Fehlbare, das eigentlich zutiefst Menschliche in unserem Leben?" Solche Fragen stellt sich die Komponistin Rebecca Saunders bei ihrer Arbeit. © EvS Musikstiftung
Rebecca Saunders im Gespräch mit Oliver Schwesig |
Der renommierte Siemens-Musikpreis geht in diesem Jahr an Rebecca Saunders. "Eine wunderschöne Anerkennung", meint die Komponistin im Gespräch – und erklärt das Geheimnis der Stille in ihrer Musik.
Oliver Schwesig: Wut und Melancholie, aber auch Stille, das sind unter anderem die Themen in den Kompositionen von Rebecca Saunders. Körperlichkeit spielt eine große Rolle. Oft behandelt sie die Musik wie eine Skulptur, die sie in den Raum stellt und von verschiedenen Seiten beleuchtet. Rund 60 Kompositionen fast aller Gattungen hat die 51-jährige Komponistin bisher geschrieben.
Heute hat die Ernst-von-Siemens-Musikstiftung bekanntgegeben, dass Rebecca Saunders in diesem Jahr den Siemens-Musikpreis erhält, übrigens erst als zweite Frau in der Geschichte des Preises, der 1974 zum ersten Mal verliehen wurde. Ihre produktive Widersprüchlichkeit und die Vielfalt klangfarblicher Nuancen in ihrem Werk lobte die Jury in ihrer Begründung. Sie attestierte der Komponistin außerdem "eine unverwechselbare Klangsprache, die bedeutende Spuren in der zeitgenössischen Musikgeschichte hinterlassen hat".
Wir haben sie eingeladen. Guten Tag, herzlich willkommen und herzlichen Glückwunsch, Rebecca Saunders!
Rebecca Saunders: Danke schön, hallo! Ich freue mich, hier zu sein.

"Eine wunderschöne Anerkennung"

Schwesig: Der Siemens-Musikpreis ist oder war bisher ein Preis für die Lebensleistung, vergeben vor allem an Männer vorwiegend fortgeschrittenen Alters. Sie sind nun die erste Komponistin, und Sie sind vor allem nicht fortgeschrittenen Alters, zählen eigentlich ja noch zu den Jüngeren. Denkt man da jetzt: "Oh, ist schon vorbei bei mir?"
Saunders: Ich bin natürlich schon in dem Alter, wo man merkt, dass man nicht unsterblich ist. Aber ich habe noch ganz schön viel vor mir, hoffe ich.
Schwesig: Aber hat Sie das trotzdem überrascht, einen Lifetime-Achievement-Award jetzt, in Ihrem Alter?
Saunders: Es hat mich total überrascht, das in meinem Alter zu bekommen. Ich war sehr überrascht, ja. Aber ich habe mich extrem gefreut. Es ist eine wunderschöne Anerkennung von Kollegen, und das tut einem auch wirklich gut.

"Die Musik ist sehr fest an die Realität gebunden"

Schwesig: Der Leiter der Donaueschinger Musiktage, Björn Gottstein, schreibt in seiner Würdigung über sie: "Saunders belehrt nicht, sondern sie beobachtet und stellt Fragen." Welche Fragen beschäftigen Sie in der Musik? Und wie wird das in Musik übersetzt?
Saunders: Wie das genau übersetzt wird, das ist natürlich eine sehr lange Antwort. Aber das Komponieren ist eigentlich ja ein Denkprozess. Es ist eine Art forschendes Mittel, wo wir neue virtuelle Räume, eine akustische Struktur in Modellen formen und kreieren. Es gibt manchmal so ein Missverständnis. Die Musik ist sehr tief, eigentlich sehr fest an die Realität gebunden und geerdet. Und dieses Fokussieren auf bestimmte Klänge, auf diese bestimmte sozialpolitische Situation, dieses Ausklammern vom Alltag, dem eine Stimme zu geben, das zu rahmen und einen Fokus drauf zu setzen – das ist eine wirklich spannende Aufgabe.
Schwesig: Und das ist eine Art der Arbeit, die sich auch über die Jahre verändert. Beobachten Sie das bei sich, dass man da immer wieder neue Herausforderungen findet und sich die eigene Sprache verändert, das eigene Herangehen auch ans Komponieren?
Saunders: Es ist unheimlich wichtig, dass es immer eine Herausforderung bleibt, dass man immer das Gefühl hat, dass man ein Risiko eingeht. Dass man trotzdem vielleicht in den Abgrund abrutschen könnte. Dass man eigentlich diese neue Herausforderung, diese neue Fragestellung wie für das erste Mal sich setzt. Und wenn es einem leicht von der Hand geht, dann gibt es da natürlich ein Problem: Wir haben keine Antworten, wir suchen. Und als Künstler sucht man nach Antworten, sucht man nach Formulierungen, sucht man nach Möglichkeiten, etwas neu zu gestalten und über das Jetzt und das Hier zu sprechen.

"Gegensätze faszinieren mich wahnsinnig"

Schwesig: Ihre Musik ist unglaublich fein und differenziert. Jeder Klang und auch jeder Nicht-Klang ist genau geplant und ausgearbeitet. Und zugleich hat Ihre Musik was unglaublich Energetisches. Zwei Seiten einer Medaille, eine dialektische Kompositionsweise, würden Sie das auch sagen?
Saunders: Von vornherein haben Gegensätze mich wahnsinnig fasziniert. Das hat aber auch etwas mit meiner Beschäftigung mit der Fermate, mit der Pause zu tun, oder wiederum, wie man mit einer Art von Operational Silence, einer Stille umgeht. Es geht um dieses Warten, diese Fragezeichen, diesen Rahmen des Klangs.
Ich glaube, es geht nicht um besondere Emotionen oder einen Ausdruck unbedingt, um eine besondere Emotion. Was mich wahnsinnig interessiert, ist, zu untersuchen, was ist unsere Condition Humaine? Was ist das Fragile, das Fehlbare, das eigentlich zutiefst Menschliche in unserem Leben, unserem Alltag. Mit extrem lebendiger, aggressiver vielleicht, sehr aktiver, volatiler klanglicher Situation finde ich das sehr interessant, zu sehen, was liegt unter der Oberfläche von diesen Momenten.
Was passiert denn, wenn der Klang plötzlich angehalten wird? Was passiert, wenn wir diesem Moment des Wartens, des Nichts eigentlich dann begegnen? Ich finde diesen Widerspruch extrem fruchtbar. Daraus kann man eine ungeheure Energie vermitteln.

"Die Luft ist gesättigt vom Klang"

Schwesig: Wut und Aggression, Aggressivität wird Ihren Kompositionen immer unterstellt. Was interessiert Sie an dieser Körperlichkeit so?
Saunders: Ich glaube, mit der Körperlichkeit der Musik unterstreiche ich, was eigentlich da ist. Die Musik ist natürlich ein physikalisches, ein physisches Phänomen, das ist eine Tatsache. Die Musik erklingt, die Musik ist lebendig in der Luft sozusagen um uns herum. Die Luft ist sozusagen gesättigt von Klang, von Frequenzen.
Als Komponist ist das so ähnlich – wenn wir jetzt das Radio anmachen, dann filtern wir, wir suchen diese Klänge, diese Frequenzen aus, wir klammern die sozusagen aus. Wir setzen einen Fokus auf diesen Klang und ermöglichen, dass wir auf diesen klanglichen Moment uns konzentrieren können.

"Das enorme Potenzial des Nichts"

Schwesig: Und was Sie auch interessiert, ist Stille. Björn Gottstein, der Leiter der Donaueschinger Musiktage, hat in seinem Essay über Sie mal gesagt, "Rebecca Saunders zeigt, dass Stille mehr sein kann als die Abwesenheit von Geräuschen". Was interessiert Sie so an Stille?
Saunders: Ich glaube, ich habe das schon erwähnt: Das hat etwas mit diesem Anhalten von Klang, mit diesem enormen Potenzial des Nichts zu tun, dieser Darstellung des Abwesenden, um das Anwesende noch spürbarer, noch realer zu machen.
Die Stille kann ganz unterschiedliche Auswirkungen in der Kunst auch haben. Das kann das Warten, das kann das Umfokussieren des Hörens sein, dass man ganz neu, wie ganz frisch am Anfang von einem Stück den Klängen dann wieder begegnet. Und es ermöglicht auch sehr starke Gegensätze. Das bedeutet, man kann damit eine sehr starke emotionale Ausdrucksmöglichkeit erforschen.
Schwesig: Spannend – vielen herzlichen Dank! Das war die Komponistin Rebecca Saunders. Sie bekommt am 7. Juni im Münchener Prinzregententheater den diesjährigen Ernst-von-Siemens-Musikpreis verliehen. Danke für den Besuch, und natürlich herzlichen Glückwunsch und alles Gute!
Saunders: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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