Die Moral steht im Regen
Die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele mahnte zu Nachhaltigkeit und Fairness. Unserem Redakteur aber fielen vor allem gedopte Sportler, umweltfeindliche Ignoranz und Sportfunktionäre auf, denen der persönliche Profit mehr bedeutet als die Moral. Eine bedrückende Bilanz.
Keine Frage: Auch diesmal gab es wieder wundervolle Geschichten, spannende Wettbewerbe und grandiose Leistungen. Herausragende Athleten wie Schwimmer Michael Phelps, Sprinter Usain Bolt oder Turnerin Simone Biles demonstrierten die Attraktivität ihrer Disziplinen.
Geschichten wie im Märchen
Und wenn dann – wie bei der US-Amerikanerin – ihre Geschichte erzählt wird, erinnert vieles an ein Märchen: Ihr Vater hatte die Familie verlassen, die Mutter war drogensüchtig – und trotzdem schaffte sie ihren überaus bemerkenswerten Weg. Ein Beispiel von vielen, dass der Sport Perspektiven aufzeigen kann, die andere Bereiche so nicht bieten.
Lassen wir uns den Blick trotz der Show nicht vernebeln. Und das aus mehreren Gründen:
Rio de Janeiro versprach eine neue Welt und propagierte zum Beispiel in einer pompösen Eröffnungsshow Nachhaltigkeit. Die Realität offenbarte völlig andere Seiten: Da ließen Olympia-Busse den ganzen Tag über den Motor laufen – und wurden selbst für kürzeste Strecken eingesetzt. Eins von vielen Beispielen für den Widerspruch zwischen Propaganda und Realität. Nur wenige Meter von der olympischen Glitzerwelt entfernt – nacktes Elend, im Müll lebende, abgehängte Menschen ohne Perspektiven. Sie hatten und haben nichts von den Spielen, die das Land teuer zu stehen kommen. Dann, wenn der Tross weiter gezogen ist.
Die alten Probleme bleiben
Diesen Tross werden die alten Probleme weiter begleiten – und dazu zählt vor allem das Thema Doping. Trotz der Empfehlung der Welt-Antidoping-Agentur durften russische Athleten an den Start gehen, winkten einige Weltverbände die Athleten einfach nur durch. Der Trainer der deutschen Gewichtheber, Oliver Caruso, bekannte frank und frei: "Auf der Liste der Sanktionierten stehen fast 600 Athleten. Ich habe keinen Überblick mehr." Er ist nicht der einzige, der der Entwicklung im Spitzensport skeptisch und ratlos gegenübersteht.
Was mindestens ebenso schwer wiegt: Die Wahrheit zu sagen lohnt sich nicht. Julia Stepanowa hatte das systematische Doping in der russischen Leichtathletik bekannt gemacht, die einstige Dopingsünderin wollte aufräumen. Gnade fand sie vor dem IOC nicht - mit der Begründung: Sie erfülle wegen ihrer Vergangenheit nicht die "ethischen Anforderungen" für einen Start. Ein fatales Zeichen: Denn ein Whistleblower braucht eine Szene, die alles andere als transparent arbeitet.
Moral und Ethik propagieren die Herren der Ringe – nur gut, dass es jenseits ihrer Verantwortung hin und wieder Kontrollen gibt: Patrick Hickey aus Irland, Olympia-Chef seines Landes und seit vier Jahren Mitglied des IOC-Vorstandes, wurde wegen des Verdachts auf Schwarzhandel mit Eintrittskarten verhaftet. Während laufender Spiele von der Polizei aus den Federn gerissen zu werden, das war neu.
Ob dadurch das gesamte Olympiakonstrukt ins Rutschen gerät, das kann man bezweifeln. Deutlich aber wird einmal mehr: Die Gier Einzelner beherrscht längst nicht nur den Fußball. Der Graben zwischen olympischem Anspruch und Wirklichkeit wird immer größer.