Eröffnung mit "polyglottem Weltbürger"
Bis zum 25. September laufen 230 Veranstaltungen mit 270 Autoren aus 65 Ländern. Damit ist das 10. Internationale Literaturfestival in Berlin das größte seiner Art in Europa. Eröffnet wurde es mit einer Rede des spanischen Schriftstellers Juan Goytisolo.
Mit einer experimentellen Gedichtvertonung des israelischen Komponisten Amos Elkana vor rund 300 Besuchern begann das 10. Internationale Literaturfestival in Berlin im Haus der Kulturen der Welt. Die Festivalleitung hatte einen Autor von Weltrang dafür gewinnen können, die Einführungsrede zu halten: den 79jährigen Spanier Juan Goytisolo, der heute meistens in Marokko lebt. Romanautor, Essayist, Kriegsbeobachter, Islamkenner, Migrationsexperte. Ein Schriftsteller, der schon viele Jahre im Gespräch für den Literaturnobelpreis ist. Und dessen junges Leben früh der traumatischen Erfahrung des Spanischen Bürgerkriegs ausgesetzt war:
"Ich habe ihn als Kind erlebt. Ja, der Bürgerkrieg hat mich geprägt, schließlich ist meine Mutter am 17. März 1938 bei der Bombardierung des Zentrums von Barcelona gestorben, war eines von 800 Todesopfern. Man weiß, wegen Picassos Werk, viel über Gernika. Aber kein großer Künstler hat den Schrecken dieses Tags in Barcelona beschrieben. Natürlich hat das mein Leben geprägt."
Genau diesen Punkt führte die Literaturkritikerin Sigrid Löffler in ihrer Rede auf Juan Goytisolo aus:
"Der Bürgerkrieg und in dessen Folge Franco-Spanien hat Goytisolos ganzes Leben bestimmt, geprägt, überschattet und aus der Bahn geworfen. Und die Befreiung durch Francos Tod kam für ihn zu spät. Zu diesem Zeitpunkt lebte Goytisolo bereits seit zwei Jahrzehnten im Exil."
Und im Exil, in Frankreich und Marokko, hatte sich der "polyglotte Weltbürger", wie Sigrid Löffler ihn nannte, schon längst eingelebt. Aber Juan Goytisolo sollte noch weitere Kriege erleben, jenen in Bosnien und jenen in Tschetschenien. Darüber schrieb er als journalistischer Kriegsberichterstatter und Essayist. Als junger Mann ging er ins französische Exil, später bereiste er Nordafrika, den Nahen Osten und Kuba, war Gastprofessor in den USA und ließ sich schließlich in Marrakesch nieder, dem einzigen Ort, wie er sagt, an dem er zugleich schreiben und leben kann.
Auch in Deutschland war Juan Goytisolo schon mehrmals, erfuhr man aus seiner unspektakulären, aber auch genau durchdachten Rede über Orte, die sich durch Bewegung auszeichnen. Und diese Rede hatte nicht ohne Grund viel mit dem Ort Berlin zu tun:
"'Berlin, Alexanderplatz' von Döblin ist für mich einer der ganz, ganz großen Romane des 20. Jahrhunderts. Döblin, Günter Grass mit drei oder vier Romanen, Broch, Musil und Kafka haben meiner Meinung nach die beste Literatur des 20. Jahrhunderts geschrieben."
Mit Döblins Augen habe er Berlin erkundet, erzählte Juan Goytisolo über große Autoren und ihre Städte. In Kreuzberg lebte Goytisolo Anfang der 80er Jahre, damals, als Kreuzberg noch ein Randbezirk war. Denn er sprach kein Deutsch, dafür sehr gut Türkisch. Schon mit 23 Jahren, als er Spanien wegen Franco verlassen musste und nach Paris kam, überredeten ihn zwei Freunde, sich nicht das leuchtende Zentrum der Stadt anzusehen, sondern die Randbezirke. Das war für Goytisolo eine Offenbarung:
"Der Blick aus der Peripherie ins Zentrum kommt mir immer interessanter vor als der Blick vom Zentrum auf die Peripherie. Das habe ich von den großen Schriftstellern des 15., 16. und 17. Jahrhunderts gelernt. Denn sie waren meistens zum Christentum konvertierte Juden. Sie wurden diskriminiert und an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Deshalb mussten sie diese Welt und ihre Ungerechtigkeit analysieren. Anders die alten Christen. Die hielten sich für den Nabel der Welt und meinten, sie bräuchten keine Erklärungen mehr, weder rationale noch mystische noch religiöse oder sonst welche."
Juan Goytisolo dürfte sich gleich aus zwei Gründen freuen, dass der chinesische Autor Liao Yiwu für das Literaturfestival zum ersten Mal überhaupt eine Ausreiseerlaubnis seines Heimatlandes erhalten hat und am Abend im Saal saß. Denn einerseits hat auch Liao Yiwu die Randgestalten im Blick, in seinem Fall jene der chinesischen Gesellschaft. Andererseits – und das ist der wichtigere Grund – hat Juan Goytisolo immer wieder den Fundamentalismus und den Totalitarismus an den Pranger gestellt und Diktaturen verurteilt. So wird es im Rahmen des Festivals auch eine Tagung zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur geben.
Aber nicht nur das. Die Literatur Osteuropas steht in diesem Jahr im Mittelpunkt. Außerdem sollen die Besucher mit international renommierten Autoren gelockt werden, wie dem kanadischen Booker-Preisträger Yann Martel, wie mit Nuruddin Farah aus Somalia und eben Juan Goytisolo. Der hat in seinem Heimatland Spanien nicht nur Freunde, wurde sogar schon als Nestbeschmutzer beschimpft:
"Ich war nie darauf aus, mir Feinde zu machen. Ich habe kein besonders aggressives Naturell. Ich habe zwar einige Feinde, aber die wollten das so. Außerdem war ich in meiner Kritik an der Tradition des Spanischen Nationalkatholizismus unerbittlich. Die Tatsache, dass Spanien über Jahrhunderte ein rückständiges Land gewesen ist und den Zug der Modernisierung verpasst hat, muss man doch analysieren."
Seine kritische Meinung lässt sich Juan Goytisolo – das wurde auch in seiner Eröffnungsrede deutlich – nicht nehmen. Dazu ist er ein viel zu leidenschaftlicher Skeptiker. Er glaube weder an die Bibel noch an den Koran, dafür an "Tausendundeine Nacht". In diesem Buch sei nämlich noch Raum für den Zweifel. So zitierte er dann auch einen Satz aus "Tausendundeine Nacht" während seiner Eröffnungsrede: "Die Welt ist das Zuhause für diejenigen, die keines haben."
"Ich habe ihn als Kind erlebt. Ja, der Bürgerkrieg hat mich geprägt, schließlich ist meine Mutter am 17. März 1938 bei der Bombardierung des Zentrums von Barcelona gestorben, war eines von 800 Todesopfern. Man weiß, wegen Picassos Werk, viel über Gernika. Aber kein großer Künstler hat den Schrecken dieses Tags in Barcelona beschrieben. Natürlich hat das mein Leben geprägt."
Genau diesen Punkt führte die Literaturkritikerin Sigrid Löffler in ihrer Rede auf Juan Goytisolo aus:
"Der Bürgerkrieg und in dessen Folge Franco-Spanien hat Goytisolos ganzes Leben bestimmt, geprägt, überschattet und aus der Bahn geworfen. Und die Befreiung durch Francos Tod kam für ihn zu spät. Zu diesem Zeitpunkt lebte Goytisolo bereits seit zwei Jahrzehnten im Exil."
Und im Exil, in Frankreich und Marokko, hatte sich der "polyglotte Weltbürger", wie Sigrid Löffler ihn nannte, schon längst eingelebt. Aber Juan Goytisolo sollte noch weitere Kriege erleben, jenen in Bosnien und jenen in Tschetschenien. Darüber schrieb er als journalistischer Kriegsberichterstatter und Essayist. Als junger Mann ging er ins französische Exil, später bereiste er Nordafrika, den Nahen Osten und Kuba, war Gastprofessor in den USA und ließ sich schließlich in Marrakesch nieder, dem einzigen Ort, wie er sagt, an dem er zugleich schreiben und leben kann.
Auch in Deutschland war Juan Goytisolo schon mehrmals, erfuhr man aus seiner unspektakulären, aber auch genau durchdachten Rede über Orte, die sich durch Bewegung auszeichnen. Und diese Rede hatte nicht ohne Grund viel mit dem Ort Berlin zu tun:
"'Berlin, Alexanderplatz' von Döblin ist für mich einer der ganz, ganz großen Romane des 20. Jahrhunderts. Döblin, Günter Grass mit drei oder vier Romanen, Broch, Musil und Kafka haben meiner Meinung nach die beste Literatur des 20. Jahrhunderts geschrieben."
Mit Döblins Augen habe er Berlin erkundet, erzählte Juan Goytisolo über große Autoren und ihre Städte. In Kreuzberg lebte Goytisolo Anfang der 80er Jahre, damals, als Kreuzberg noch ein Randbezirk war. Denn er sprach kein Deutsch, dafür sehr gut Türkisch. Schon mit 23 Jahren, als er Spanien wegen Franco verlassen musste und nach Paris kam, überredeten ihn zwei Freunde, sich nicht das leuchtende Zentrum der Stadt anzusehen, sondern die Randbezirke. Das war für Goytisolo eine Offenbarung:
"Der Blick aus der Peripherie ins Zentrum kommt mir immer interessanter vor als der Blick vom Zentrum auf die Peripherie. Das habe ich von den großen Schriftstellern des 15., 16. und 17. Jahrhunderts gelernt. Denn sie waren meistens zum Christentum konvertierte Juden. Sie wurden diskriminiert und an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Deshalb mussten sie diese Welt und ihre Ungerechtigkeit analysieren. Anders die alten Christen. Die hielten sich für den Nabel der Welt und meinten, sie bräuchten keine Erklärungen mehr, weder rationale noch mystische noch religiöse oder sonst welche."
Juan Goytisolo dürfte sich gleich aus zwei Gründen freuen, dass der chinesische Autor Liao Yiwu für das Literaturfestival zum ersten Mal überhaupt eine Ausreiseerlaubnis seines Heimatlandes erhalten hat und am Abend im Saal saß. Denn einerseits hat auch Liao Yiwu die Randgestalten im Blick, in seinem Fall jene der chinesischen Gesellschaft. Andererseits – und das ist der wichtigere Grund – hat Juan Goytisolo immer wieder den Fundamentalismus und den Totalitarismus an den Pranger gestellt und Diktaturen verurteilt. So wird es im Rahmen des Festivals auch eine Tagung zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur geben.
Aber nicht nur das. Die Literatur Osteuropas steht in diesem Jahr im Mittelpunkt. Außerdem sollen die Besucher mit international renommierten Autoren gelockt werden, wie dem kanadischen Booker-Preisträger Yann Martel, wie mit Nuruddin Farah aus Somalia und eben Juan Goytisolo. Der hat in seinem Heimatland Spanien nicht nur Freunde, wurde sogar schon als Nestbeschmutzer beschimpft:
"Ich war nie darauf aus, mir Feinde zu machen. Ich habe kein besonders aggressives Naturell. Ich habe zwar einige Feinde, aber die wollten das so. Außerdem war ich in meiner Kritik an der Tradition des Spanischen Nationalkatholizismus unerbittlich. Die Tatsache, dass Spanien über Jahrhunderte ein rückständiges Land gewesen ist und den Zug der Modernisierung verpasst hat, muss man doch analysieren."
Seine kritische Meinung lässt sich Juan Goytisolo – das wurde auch in seiner Eröffnungsrede deutlich – nicht nehmen. Dazu ist er ein viel zu leidenschaftlicher Skeptiker. Er glaube weder an die Bibel noch an den Koran, dafür an "Tausendundeine Nacht". In diesem Buch sei nämlich noch Raum für den Zweifel. So zitierte er dann auch einen Satz aus "Tausendundeine Nacht" während seiner Eröffnungsrede: "Die Welt ist das Zuhause für diejenigen, die keines haben."