Ekstase auf der Damentoilette
Die Schwedin Erika Lust hat Politikwissenschaft studiert und sich mit Feminismus befasst, dann stieg sie ins Pornogeschäft ein. Auch in ihrem autobiografisch angehauchten Roman gibt es reichlich Sex - der jedoch etwas fade daherkommt.
Der Hauptgang ist noch nicht serviert, da will Nora Bergmann, die Protagonistin von Erika Lusts erotischem Roman "Nächte in Barcelona", ihren Begleiter Matias schon vernaschen. "Ich werde also jetzt auf die Damentoilette gehen, und Du kommst in einer Minute nach", befiehlt die angehende Filmregisseurin.
"Vor dem Spiegel richtete sie sich die Brüste, biss sich auf die Lippen, kniff sich in die Wangen, um ihnen eine gesunde Röte zu verschaffen, beugte den Kopf nach vorne und wühlte ihre dichten Haare mit den Fingern durch. Sie richtete sich wieder auf, schaute in den Spiegel und sah eine starke und mächtige Frau." Die schon mal ungeduldig zu masturbieren beginnt: "Statt zu warten, beschloss sie zu handeln. Das lag ihr viel eher."
Den narzisstischen Blick in den Spiegel, der die Einheit von handelndem Subjekt und sich betrachtendem Objekt herstellt und das Gegenüber beinahe überflüssig werden lässt, kann man als Schlüsselstelle in Lusts Roman lesen. Die 1977 als Erika Hallqvist geborene Schwedin studierte Politikwissenschaft, bevor sie Mitte der Nuller-Jahre als Autodidaktin ins Pornofilmgeschäft einstieg und in Barcelona ihre eigene Produktionsfirma aufbaute.
Genretypische Wunschfantasien
"Pornografie formt einen Teil unserer Kultur. Wenn Frauen in diesem Diskurs nicht teilnehmen, dann ist es so, als ob sie sich nicht darum scheren würden", sagt Lust in einem Interview, ganz liberale Pragmatikerin. Gegen die geschmackvoll gestylten Settings und eigenwillig attraktiven DarstellerInnen, die die Trailer auf der Homepage erikalust.com zeigen, dürfte selbst die Porno-Chefbekämpferin Alice Schwarzer nichts einzuwenden haben –Sex scheint hier eher Anlass und Atmosphäre, nicht das Zentrum des Geschehens zu sein.
Ganz ähnlich tickt Erika Lusts autobiografisch angehauchter Roman. Auf der einen Seite pinselt er genretypisch Wunschfantasien aus, in denen Sex nur eine Rolle neben anderem Begehrenswertem wie Statuserhöhung, Konsum und vor allem: dem Begehrtwerden spielt. Natürlich sieht die hochtalentierte Nora extrem sexy aus, natürlich werden vor jedem sexuellen Aufeinandertreffen ausführlich Outfits und Aufbretzelsessions beschrieben, natürlich trifft Nora prompt sowohl einen steinreichen Erben, der für ihre steile Regie-Karriere die Weichen stellt, als auch einen geheimnisvollen Kameramann, mit dem sie die leidenschaftliche Restaurantklo-Affaire beginnt.
Trotzdem unterscheidet sich "Nächte in Barcelona" signifikant von dem Frauenpornobuch-Megaerfolg der letzten Jahre, von E. L. James "Fitfty Shades of Grey": Hier trifft Nora nicht auf den Mann ihres Lebens (sieht man von Hendrik ab, ihrem freilich schwulen Freund). Sie unterwirft sich sexuell zudem niemandem, auch nicht spielerisch – in der einzigen SM-Szene des Buches schlüpft sie in die Rolle der Domina – und muss keinen traumatisierten Partner liebestherapeutisch heilen.
Lusts Roman dagegen appelliert an die Generation Instagram
Nora bleibt trotz ihres reichen Lovers finanziell und beruflich autonom und ist gegen Ende sogar, man glaubt es kaum, ein Mensch mit Unlustgefühlen, Arbeitsroutinen und Skrupeln – der allerdings, so viel Unterkomplexität muss schon sein, nach nur "48-stündiger Trauerphase" schnurstracks ein neues Leben in New York beginnen kann.
Erstaunlich reibungslos und etwas fade mäandert "Nächte in Bacelona" zwischen feministisch motivierter Autonomie auf der einen und bohèmehaft angeschrägtem Konsumentinnentraum auf der anderen Seite. Der Akt selbst macht da keine Ausnahme: Einerseits bleibt Nora stets Herrin der nie allzu unkonventionellen Lage. Andererseits stellt genau das den Sex auch in eine Reihe mit anderen Konsumentscheidungen und Freizeitbeschäftigungen – was ihn, etwa als Tabubruch oder Grenzüberschreitung, gründlich entmystifiziert.
Ob die Käuferinnen sich daran stören werden? Die israelische Soziologin Eva Illouz hat den immensen Erfolg der "Fifty Shades of Grey"-Trilogie (samt zahlreicher Nachahmer) mit der Entlastung zu erklären versucht, die eine freiwillige Verpflichtung auf sich auflösende klassische Geschlechterrollen verschaffen kann. Lusts Roman dagegen appelliert an die starken Egos der Generation Instagram, die ihr Leben selbstverständlich als begehrenswert inszenieren – und im Extremfall zur Ekstase nur noch einen Spiegel brauchen.
Erika Lust: Nächte in Barcelona
Aus dem Spanischen von Christian Sönnichsen
Heyne Verlag, München 2014
335 Seiten, 9,99 Euro