Der Traum von opulenten Filmbildern
Mit dem Stück "Tyrannis" wurde Ersan Mondtag zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Der 29-jährige Regisseur und Filmfreak sagt über sein Stück: "Nicht der Fremde bringt die Gefahr, sondern es ist die Projektion auf den Fremden, die dazu führt, dass die im Haus durchdrehen."
Ersan Mondtag möchte das Interview nicht unter den Augen der Kollegen in der Kantine des Schauspiels Frankfurt am Main führen. Vielleicht ein bisschen Schüchternheit des 29 Jahre alten, schmalen Regisseurs, der in Berlin geboren wurde. Ersan Mondtag wählt einen einsamen Platz im geschlossenen Schauspielfoyer. Der Blick fällt durch die breite Glasfront auf die Hochhauskulisse des Frankfurter Bankenviertels. Ein schöner Anklang an US-Filmästhetik, sagt der Regisseur:
"Ich glaube, wir sind tatsächlich sehr stark geprägt von amerikanischen Filmbildern, Ästhetik und auch Formen. Und es ist total witzig, wenn man die dann überprüft, wenn man vor Ort ist, also wenn man wirklich auf dem Times Square steht oder in den ganzen berühmten Motiven aus New Yorker Independent-Filmen, aus Cassavetes-Filmen oder auch von Woody Allen. Man kennt ja diese Straßengänge und diese Spaziergänge und sucht sie dann natürlich und das ist ganz toll."
Im ersten Augenblick ist es eine Überraschung: Ich bin mit einem angesagten jungen Schauspiel-Regisseur verabredet und treffe auf einen absoluten Filmfreak. Gerade hat Ersan Mondtag mit der Einladung zum Berliner Theatertreffen den ersten Höhepunkt seiner Karriere als Theaterregisseur erreicht - doch er träumt davon, opulente Filmbilder zu erschaffen:
"Wenn ich tatsächlich irgendwann mal tatsächlich professionell Filme machen würde, würde man wahrscheinlich sagen: Okay, das ist der Theatermacher! Das interessiert mich auch am Film, ich würde jetzt kein Beziehungsdrama erzählen und durch irgendwelche Berliner Straßen laufen. Sondern ich würde Bildwelten schaffen, ich würde Straßen erfinden wollen, wo man alles nochmal neu überdenken muss. Was für eine Farbe hat denn der Fußboden? Und vielleicht sind die ganzen Häuser in der Straße schwarz? Und die Fenster sind rot und die Laternen sind grün. Und das ist dann die Straße, in der ich gerne einen Film drehen wollen würde. Ich würde gerne alles gestalten, in dem Film."
Als ich sage, dass dies für mich irgendwie neo-expressionistisch klingt, ist Ersan Mondtag spontan einverstanden und erzählt von einem aktuellen Besuch im Frankfurter Städel-Museum auf der Suche nach Werken von Max Beckmann:
"Da gibt es leider nicht viele. Da gibt es nur so ein paar Frankfurter Arbeiten. Aber es ist einfach eine ganz tolle Farblichkeit, eine ganz tolle Komposition. Und auch bei Kirchner dieses Drückende. Da ist irgendwas auch mit der Zeit verbunden, die Überforderung, die zu der Zeit des Expressionismus stattfand nicht nur für die Künstler, für alle Leute mit der Welt, mit Europa, diese ganzen Konflikte. In einer ähnlichen, noch gesteigerten Form erleben wir auch heute die Konflikte auf der Welt."
Verfremdung des Trivialen
So bewirbt das Staatstheater Kassel "Tyrannis", jenes Stück, mit dem Ersan Mondtag jetzt zum wichtigen Berliner Theatertreffen eingeladen worden ist: Zur dramatischen Musik ist eine Fotofolge von Wohn- und Schlafräumen eines kleinbürgerlichen Hauses zu sehen. Im Text dazu heißt es: Die Räume sind "nicht realistisch – eher cineastisch, mit Lynchs surrealen Verfremdungen des Trivialen, Hitchcocks Farbkompositionen, Kubricks Lichtregie". Da ist sie wieder, Ersan Mondtags Filmleidenschaft. Im Stück geht es um die Irritationen, die die Ankunft eines Flüchtlings in diesem Haus auslöst:
"Die Arbeit ist halt zu der Zeit entstanden, als die Flüchtlingsfrage Oberhand gewann. Und folgerichtig geht es da um das Eindringen des Fremden in einen sehr geschützten, routinierten Raum. Für mich stellt sich am Ende, wenn ich dieses Stück anschaue, einfach nur die Frage: Was ist denn eigentlich das Problem? Wovor haben diese Menschen Angst, die da in diesem Haus leben? Nicht der Fremde bringt die Gefahr, sondern es ist die Projektion auf den Fremden, die dazu führt, dass die im Haus durchdrehen."
Mit Blick auf die glitzernden Hochhausfassaden des Finanzkapitalismus von Frankfurt am Main will ich von Ersan Mondtag wissen, ob das Theater hierzulande wirklich gerade wieder politischer wird, wie es einige Beobachter wahrzunehmen glauben:
"Es gibt auf jeden Fall in der Rezeption und in der Außenwirkung eine sogenannte Politisierung des Theaters. Im Betrieb selbst, ich habe jetzt in den letzten Jahren in einige Theaterbetriebe Einblick bekommen, habe ich das nicht so gemerkt. Ich sehe das bei Künstlern, ich sehe das in der Dramaturgie teilweise. Ich weiß nicht, ob insgesamt der Betrieb als Ganzes politisierter ist. Auf jeden Fall rennen hier nicht Leute rum und diskutieren brennend über Konflikte, sondern es geht tatsächlich um einen Scheinwerfer, der umgebaut werden muss. Das ist dann halt Theateralltag."
Dass er nun mit einem Stück aus der Kasseler Theaterprovinz zum renommierten Berliner Theatertreffen eingeladen wird, ermutigt Ersan Mondtag am Schluss unseres Gespräches zu einem künstlerischen Appell Richtung Kassel – diesmal nicht an das Theater, sondern an Adam Szymczyk, den künstlerischen Leiter der documenta 2017:
"Ich habe diverse Ideen, die ich auf einer documenta realisieren könnte. Soll er mich mal einladen!"