Salome nach Oscar Wilde
Inszenierung von Ersan Mondtag am Gorki Theater Berlin
Weniger Erotik, mehr Menschenhass
Oscar Wilde erkannte 1893, was in dem Stoff der Salome steckt. Aus der misogynen biblischen Randnotiz machte er ein somnambules Stück über eine am Abgrund taumelnde Gesellschaft. Ersan Mondtag sucht nun in seiner Inszenierung die aktuelle Zuspitzung.
Ein echtes Ersan-Mondtag-Bild ist das, groß und stark und irrsinnig: Umgeben von einem Halbkreis aus betont künstlich aussehenden Säulen erhebt sich, nackt und nachdenklich, eine gigantische, lebensechte Staue von Benny Claessens. Und darauf, der ebenfalls nackte Benny Claessens selbst, winzig fast und tieftraurig. Ein zur Ruhe gekommener Derwisch, der sich selbst verloren hat und die riesigen künstlichen Gliedmaßen seines Abbilds streichelt.
"Du armer Leib", sagt er, bevor er sich seinen eigenen Kopf auf dem Silbertablett servieren lässt. Der jüngst bei der Kritikerumfrage der "Theater heute" zum Schauspieler des Jahres gekürte Extrem-Performer ist "Salome" an diesem Abend im Maxim Gorki Theater Berlin, jene biblische Königstochter, deren erotische Annäherungsversuche von keinem geringeren als Johannes dem Täufer abgewiesen werden.
Tiefer Pessimismus
Bei Ersan Mondtag und in der Textfassung von Thomaspeter Goergen ist alles etwas anders, auch wenn die Oscar Wilde‘sche Fassung immer noch hier und da durchschimmert. Wenig erotische Besessenheit, mehr Menschenhass und tiefer Pessimismus über den Zustand der Gesamtmenschheit ist das, was hier durchexerziert wird.
Johannes der Täufer wird dabei gleich von einem ganzen Chor verkörpert, von eigentümlichen männlichen Hexen, deren übergroße Nasen antisemitische Klischees wachrufen könnten – was jedoch gleich wieder ironisch aufgefangen und auf der Bühne zum Thema gemacht wird. Denn zum Glück bricht die israelische Schauspielerin Orit Nahmias als Hofnarr ins düstere Geschehen und punktiert den Abend mit ätzendem, sehr willkommenem Humor.
Zu viel im theatralen Topf
Bunt und düster ist diese Welt, wie immer bei Mondtag, aufgehellt nur mit knallbunten Kostümen und einem Benny Claessens, dessen spielerische Anarchie auffällig gedämpft bleibt. Diese Salome verweigert sich, deutet auch ihren Schleiertanz bloß an, hat eigentlich im Grunde die Nase von Anfang an voll.
Trotzdem wird zu viel in den theatralen Topf geworfen: Geschichte und Gegenwart, Osten und Westen, Israel und Palästina, Bibel und Boulevard. Nicht nur bleibt all das diffus und inhaltlich verdunkelt. Jede Provokation, jede gesellschaftskritische Anklage, jedes tragische Ausgreifen wird auch noch rasch wieder der Lächerlichkeit preisgegeben.
Am Ende nützt es nichts, Johannes, dem Täufer, den Kopf abzuschlagen. Salome fordert das eigene Haupt, und Orit Nahmias und der großnasige Chor verkünden süffisant und böse, dass nur das Verschwinden der gesamten Menschheit diesen Planeten retten könnte.
Ein Schluss, der bitter sein könnte, und doch, wie fast der ganze Abend, hauptsächlich schal und kraftlos wirkt – ein ungetanzter Tanz.