Erst morden, dann Bonbons essen
Wenn die Rebellen auf Befehl ihrer Anführer ein Dorf überfallen, foltern und vergewaltigen sie, verbrennen ihre Gefangenen und vierteilen sie bei lebendigem Leib. Zurück bleiben nicht nur blutüberströmte Leichen und verkohlte Brandstätten, sondern auch die Papiere von Keksen und Bonbons. Sie stammen aus den geplünderten Dorfläden.
Viele der Rebellen können ihnen nach getanem Mordwerk nicht widerstehen. Die Süßigkeiten verwandeln sie im Handumdrehen in Kinder, die sie in Wirklichkeit auch sind – oft noch nicht einmal zehn Jahre alt. Über den seit vielen Jahren in Uganda tobenden, bis heute andauernden Partisanenkrieg hat der polnische Reportageautor Wojciech Jagielski ein in seiner Heimat viel beachtetes Buch geschrieben. Unter dem Titel "Wanderer der Nacht" ist es auf deutsch im Transit Verlag erschienen.
Es geht um die Verbrechen der Lord’s Resistance Army, einer Rebellengruppe unter der Führung von Joseph Kony, der sich selbst als politischer Befreier, Geisterbeschwörer und christlicher Heilslehrer sieht, der dabei vor allem seine eigene Bevölkerungsgruppe der Acholi im Norden Ugandas terrorisiert und überdies die Regierung bekämpft.
Kony lässt Minderjährige verschleppen, gliedert sie in seine Armee ein und zwingt sie dazu, die von ihm erdachten Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung auszuführen. Kinder im Alter von sieben, acht oder neun Jahren erweisen sich, sind sie erst einmal ihren familiären Bindungen entrissen und mit Gewalt umerzogen worden, als geradezu perfekte Tötungsmaschinen.
Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Resozialisierungszentrum in der Kleinstadt Gulu. Dort vertraut ein ehemaliger Kämpfer, der nicht einmal dreizehnjährige Samuel, dem europäischen Journalisten seine Kriegsverbrecherkarriere an. Der Autor, dessen Interesse an dem verwaisten Jungen von journalistischer Neugier gespeist wird, entwickelt zunehmend Schuldgefühle angesichts einer Welt, die er nicht ändern kann und will.
Fast alle Charaktere wirken ambivalent, egal ob es sich um Militärs der Regierung handelt, ehemalige Rebellen, einheimische Journalisten oder Resozialisierungshelfer. Das gilt auch für den der westlichen Demokratie insgesamt zugeneigten Yoweri Kaguta Museveni, der zum Zeitpunkt der Reportage gerade erfolgreich seine Wiederwahl zum Staatspräsidenten betreibt.
Die Schilderung seiner persönlichen Erlebnisse kontrastiert Jagielski durch Ausflüge in die Geschichte Ugandas seit der Kolonialzeit. Auch Milton Obote und Idi Amin, die Gewaltherrscher der Vergangenheit, erscheinen dabei als vielschichtige Persönlichkeiten.
Jagielski, Jahrgang 1960, ein Schüler des legendären Ryszard Kapuściński, setzt in seiner Reportage – gleich seinem Lehrer – gezielt literarische Mittel ein. Durch eine ausgesuchte Bildsprache erweckt er die Landschaften und Wetterlagen Afrikas zu eigenem Leben.
Einige zentrale Figuren, darunter den Kindersoldaten Samuel, hat er aus mehreren Vorbildern zusammengefügt. Ansonsten reklamiert der Autor für sein Werk Wirklichkeitstreue. Mit den "Wanderern der Nacht", bringt Wojciech Jagielski den europäischen Lesern die Tragödie der Kindersoldaten in Uganda nahe und zeichnet ein Bild des zeitgenössischen Afrika, das den Leser nicht loslässt.
Wojciech Jagielski: "Wanderer der Nacht"
Eine Reportage, aus dem Polnischen von Lisa Palmes
Transit Verlag, 289 Seiten, 18,80 Euro
Besprochen von Martin Sander
Es geht um die Verbrechen der Lord’s Resistance Army, einer Rebellengruppe unter der Führung von Joseph Kony, der sich selbst als politischer Befreier, Geisterbeschwörer und christlicher Heilslehrer sieht, der dabei vor allem seine eigene Bevölkerungsgruppe der Acholi im Norden Ugandas terrorisiert und überdies die Regierung bekämpft.
Kony lässt Minderjährige verschleppen, gliedert sie in seine Armee ein und zwingt sie dazu, die von ihm erdachten Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung auszuführen. Kinder im Alter von sieben, acht oder neun Jahren erweisen sich, sind sie erst einmal ihren familiären Bindungen entrissen und mit Gewalt umerzogen worden, als geradezu perfekte Tötungsmaschinen.
Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Resozialisierungszentrum in der Kleinstadt Gulu. Dort vertraut ein ehemaliger Kämpfer, der nicht einmal dreizehnjährige Samuel, dem europäischen Journalisten seine Kriegsverbrecherkarriere an. Der Autor, dessen Interesse an dem verwaisten Jungen von journalistischer Neugier gespeist wird, entwickelt zunehmend Schuldgefühle angesichts einer Welt, die er nicht ändern kann und will.
Fast alle Charaktere wirken ambivalent, egal ob es sich um Militärs der Regierung handelt, ehemalige Rebellen, einheimische Journalisten oder Resozialisierungshelfer. Das gilt auch für den der westlichen Demokratie insgesamt zugeneigten Yoweri Kaguta Museveni, der zum Zeitpunkt der Reportage gerade erfolgreich seine Wiederwahl zum Staatspräsidenten betreibt.
Die Schilderung seiner persönlichen Erlebnisse kontrastiert Jagielski durch Ausflüge in die Geschichte Ugandas seit der Kolonialzeit. Auch Milton Obote und Idi Amin, die Gewaltherrscher der Vergangenheit, erscheinen dabei als vielschichtige Persönlichkeiten.
Jagielski, Jahrgang 1960, ein Schüler des legendären Ryszard Kapuściński, setzt in seiner Reportage – gleich seinem Lehrer – gezielt literarische Mittel ein. Durch eine ausgesuchte Bildsprache erweckt er die Landschaften und Wetterlagen Afrikas zu eigenem Leben.
Einige zentrale Figuren, darunter den Kindersoldaten Samuel, hat er aus mehreren Vorbildern zusammengefügt. Ansonsten reklamiert der Autor für sein Werk Wirklichkeitstreue. Mit den "Wanderern der Nacht", bringt Wojciech Jagielski den europäischen Lesern die Tragödie der Kindersoldaten in Uganda nahe und zeichnet ein Bild des zeitgenössischen Afrika, das den Leser nicht loslässt.
Wojciech Jagielski: "Wanderer der Nacht"
Eine Reportage, aus dem Polnischen von Lisa Palmes
Transit Verlag, 289 Seiten, 18,80 Euro
Besprochen von Martin Sander