Erst schießen, dann reden

Von Johannes Halder |
Am 26. Mai 2007 jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag des Schauspielers John Wayne, der das Genre des Western-Films geprägt hat wie kein zweiter. Die Galerien der Stadt Esslingen am Neckar zeigen aus diesem Anlass eine Ausstellung, die sich mit dem Mythos des Westerns in der Gegenwartskunst beschäftigt.
Natürlich wird geschossen in der Schau. Kaum haben wir den Eingang passiert, stehen wir schon in der Schusslinie eines Duells und gehen unwillkürlich in Deckung. Und natürlich zielt der Schweizer Künstler Roman Signer, der die Ballerei zwischen zwei Videomonitoren inszeniert hat, damit auf ein typisches Western-Klischee: "Erst schießen, dann reden."

Keiner hat dieses Klischee und den Western-Mythos so verkörpert wie John Wayne, der in fast 160 Filmen dessen Helden gemimt hat, als Cowboy, Sheriff oder Kavallerist. John Wayne, der Mann mit dem berühmten, raubtiergleichen Gang, war vieles: zäher Draufgänger und autoritäres Raubein, Idol und nationale Institution, Reizfigur und Superpatriot, Macho, Chauvinist und Antikommunist. Allerdings, sagt Kurator Andreas Bauer:

"Im echten Leben und zur Hochzeit der Cowboys in den 1880er Jahren waren Cowboys durchschnittlich 24 Jahre jung, und etwa ein Drittel waren Mexikaner oder zumindest nicht-weiß. Also insofern muss es sich bei John Wayne um etwas anderes als einen Cowboy handeln. Wir können von einer Legende sprechen."

Die Schau tut einiges, um die Legende zu demontieren. Privat taugte der Leinwandheld nicht mal zum Militär, und in seinen späten Streifen war der krebskranke Kettenraucher nur noch eine Karikatur, ein knarzig aufgedunsener Kunstledercowboy mit Toupet.

Kein Wunder also, dass die Künstler den Western-Mythos nicht verklären, sondern mehrheitlich dekonstruieren, politisieren oder parodieren.

Der Künstler Lori Hersberger hat einen Raum in eine schummerige Spelunke verwandelt, wo es zwischen Strohballen, Bildschirmen und Bierdosen zum medialen Showdown kommt mit einem ohrenbetäubenden Trommelfeuer aus einschlägigen Filmsequenzen.

Christian Vetter hat im Erdgeschoss die Kulissen einer miefigen Bretterbude gezimmert – eine müde Reminiszenz an die Romantik der Pionierzeit. Schaukelstuhl, Kaminfeuer, Fernseher und Satellitenschüssel sind die Requisiten. Auf der Mattscheibe läuft "The Searchers", 1956 von John Ford gedreht.

Pferde, Spurensuche, staubige Abenteuer, Hass auf die Indianer – es wird ja immer wieder die gleiche Geschichte erzählt.

"Es geht darum, dass Recht und Ordnung gebracht wird in neu gewonnenes Land. Es werden also Aufbrüche gewagt, es wird Land genommen, es wird Ordnung geschaffen, es obsiegt zumeist das Gute über das Böse. Es ist ein relativ einfacher Plot, aber man könnte es auch von der anderen Seite her bewerten: Es geht darum, dass die Romantik abgelöst wird durch den Kapitalismus. Denn dorthin, wo die Westerner ziehen, bringen sie auch Recht, Ordnung, Geld, Wasserrecht und den Kapitalismus."

So wird der Western in der Schau zu einem Abgesang auf Amerika, auf die Gewalt. Bruce Nauman lässt sich bei einer einstündigen Aktion beobachten, wie er seelenruhig die Pfosten setzt für einen kilometerlangen Zaun: Landnahme, Abgrenzung, Wildwest-Methode eben. Andere Künstler inszenieren sich, wie Richard Prince, als "Marlboro Man" in typischer Umgebung.

"Das ist auch ein Indiz dafür, wie weit letztendlich diese Prägung, die der Western zum Landschaftsbild geleistet hat, bis heute nachhält und selbst in der Werbung natürlich als Klischee wunderbar zu funktionieren scheint."

Den wilden Westen gibt es auch im deutschen Osten. Frappierend ist eine Fotoserie brandenburgischer Landschaften, die in ihrer Ödnis und Weite jederzeit als Setting für einen echten Western dienen könnten.

Frauen kommen in dieser Schau übrigens nicht vor, und wenn, dann nur so: als Karaoke-Sängerin in Asien.

"Eine Videoarbeit von Christoph Dettmeier, der auf Einladung des Goethe-Instituts in Singapur war und vom Leiter des Instituts mit den Worten begrüßt wurde: 'Hier finden Sie nichts zum Thema Western.' Und er kommt zurück mit einem zehnminütigen Western-Video, gedreht in Singapur, wunderbar, verführerisch, schön."

Zum Wiehern sind auch jene Western-Helden, die der Fotograf Peter Granser serienweise aufs Korn genommen hat, mitten in Deutschland: Möchtegern- und Freizeit-Cowboys. Da reitet etwa in einem Essener Vorort ein tapferer Mann die Straße entlang.

"Wir sehen in der Tat einen Frührentner, der mit der Frühverrentung sich entschieden hat, nur noch als Cowboy durch die Welt zu schreiten. Und er ist im Moment auf dem Weg zum Einkauf."

Ja, Cowboys sind komische Gestalten, und einsam sind sie auch. Der Lonesome Cowboy ist, und das mag paradox erscheinen, trotz allem Ethos letztlich eine asoziale Existenz. Er hat weder Frau noch Familie, und selbst seine Männerfreundschaften sind ohne Affektion. Er hat zwar ein nobles Herz, ist aber unfähig zur Kommunikation. "Don’t talk too much" – handeln, nicht reden, ist seine Devise und moralische Maxime. Und so schreitet er im Video von David Reed nach erfüllter Mission in die Wüste, die Silhouette einer tragischen Figur, und nimmt sein Pferd und seine Gefühle fest an die Zügel. Na gut, einen Whisky wird er sich vielleicht noch genehmigen, am Lagerfeuer, in der Prärie.

Service: "Brave Lonesome Cowboy – Der Mythos des Westerns in der Gegenwartskunst oder: John Wayne zum 100. Geburtstag" ist bis zum 17. Juni in den Städtischen Galerien Esslingen (Villa Merkel) zu sehen, danach im Kunstmuseum St. Gallen (Schweiz).