Erstaunliche Bewusstseinserweiterungen
Auf dem Münchner Oktoberfest wird gefeiert und viel getrunken. Passend zur Wiesn ist im Trikont-Verlag ein Hörbuch erschienen, das sich dem Rausch widmet - mit Liedern, kurzen Lesungen, Sketchen und historischen O-Tönen.
Der Rausch ist ein ganz besonderer Zustand. Wer ihn nicht kennt, dem entgeht so einiges: unverhoffte Glücksgefühle, erstaunliche Bewusstseinserweiterungen, ungeahnte Einsichten, in das, was die Welt im Innersten zusammenhält, seltsame Schwebezustände, Schwindel, Koordinationsschwierigkeiten, Angstattacken, Aggressionsschübe, eigen und fremde, Übelkeit bis zum Erbrechen, komaartiger Tiefschlaf, hämmernde Kopfschmerzen, Schweißausbrüche, dumpfe, dunkle Gefühle, die die Seele und den Geist befallen.
Ein Hörbuch über den Rausch müsste im Idealfall all das abbilden, die hellen und die dunklen Seiten. Weil dieses hier aus München stammt und noch dazu in der Reihe "Stimmen Bayerns" erschienen ist, widmet es sich vor allem einem Rauschmittel:
Musik Zwirbeldirn:
"Nur a Bier will i ham."
Und wie überall, gibt es auch beim Rausch ein erstes Mal. Erzählt vom fränkischen Dichter Fitzgerald Kusz:
"Wie ich zum ersten Mal so besoffen war, dass ich nicht mehr gewusst habe, wer ich bin, da habe ich mich schon geniert, wie sie erzählt haben, was ich alles angestellt habe. Da sieht man erst, was in einem steckt. Aber beim zweiten Mal hat mir das nichts mehr ausgemacht."
Der Rausch - "da sieht man erst, was in einem steckt". Nicht nur Gutes. Und deshalb kommt auch das Bedrohliche am kollektiven bayerischen Biertrinken nicht zu kurz. Wer von außen kommt, erschaudert vor den Einheimischen, so wie der amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe, der Mitte der 20er-Jahre das Oktoberfest besuchte:
"Die Halle erdröhnte von ihrer Stimmgewalt, und sie erschütterte von ihren mächtigen Leibern, und als sie sich so hin und her wiegten, schien es mir, dass nichts auf Erden ihnen widerstehen konnte, dass sie zerschmettern mussten, worauf immer sie trafen, ich begriff jetzt, warum andere Völker sie so sehr fürchtet, unversehens wurde ich selbst von einer tödlichen Furcht vor ihnen gepackt, die mir das Herz gefror."
Ein zeitloses Dokument, auch heute kann man sich fürchten vor der enthemmten und enthemmenden Bierseligkeit – bis man selbst eintaucht und mitgerissen wird.
Thomas Wolfe, Oktoberfest: "Im nu waren auch wir alle eingehakt, im Takt schunkelnd, schwankend, singend, im Gleichklang mit dem Geschmetter dieser gewaltigen Stimmen, schunkelnd, schwankend und singend, indes die Kapelle ‚Ein Prosit’ spielte. Und nun gab es keine Fremdheit mehr, es gab keine Barrieren mehr, wir tranken und schwatzten und aßen zusammen, ich lehrte Liter um Liter des kalten und berauschenden Bieres, seine Nebel stiegen mir zu Kopf. Ich war euphorisch und glücklich."
Ein Text von großer Wahrhaftigkeit. Genauso wie die Tagebucheinträge des vergessenen Schwabinger Dichters Walter Rufer:
"Der Himmel ist blau, ich auch. 1. Januar, Kater."
Und fünf Tage später.
Walter Rufer, Tagebuch: "6. Januar, um zehn erwacht und gedacht, dass ich dies und jenes wollte, eigentlich um acht erwachen sollte, über des Lebens Sinn nachgedacht, um zwölf zum zweiten Mal erwacht.
7. Januar, nachmittags Bier getrunken und dann in Gedanken versunken, ich weiß nicht wie tief, oder ob ich schlief. 8. Januar, wieder eine Nacht durchgemacht."
Nicht alle Stücke auf dem Hörbuch können da mithalten. So manches ist dann doch nur ein Kratzen an der Oberfläche des Rausches, ohne die Untiefen wirklich auszuloten. Nette Unterhaltung.
Musik Isarspatzen, "Getränkekarte":
"Der Wein ist für so Leute, die besoffen die Wahrheit sagen.
Die Milch für kleine Babys, die noch keinen Wein vertragen."
Der Rausch hat oft etwas Selbstzerstörerisches, schöner und erstrebenswerter sind dann doch die friedvollen Augenblicke, weit vor dem Vollrausch, wie sie der Krimi-Schriftsteller Friedrich Ani beschreibt:
"Nirgendwo sonst ist dieses Leuchten so klar, so überirdisch. Es ist, als käme es direkt aus den Glaskrügen."
Er preist, ganz zu Recht, den Biergarten auf dem Viktualienmarkt, mitten in der Stadt. Magische Momente sind hier möglich, trotz des Trubels außen rum.
Friedrich Ani: "Das Beieinandersein an einem langen Tisch. Aus der Zeit gespült von einer lichtdurchfluteten Maß Bier, offen für jedweden Fremden, jedwedes Sprechen, jedwedes Schweigen."
Musik Krinoline Blaskapelle, "Ein Prosit":
"Eins, zwei, drei."
Besprochen von Georg Gruber
Der Rausch. Eine einzigartige Enzyklopädie der bayerischen Seele
(Erschienen in der Reihe "Stimmen Bayerns")
Mit Fitzgerald Kusz, Walter Rufer, Friedrich Ani u. a.
Trikont, München 2012, 1 CD, 16,99 Euro
Ein Hörbuch über den Rausch müsste im Idealfall all das abbilden, die hellen und die dunklen Seiten. Weil dieses hier aus München stammt und noch dazu in der Reihe "Stimmen Bayerns" erschienen ist, widmet es sich vor allem einem Rauschmittel:
Musik Zwirbeldirn:
"Nur a Bier will i ham."
Und wie überall, gibt es auch beim Rausch ein erstes Mal. Erzählt vom fränkischen Dichter Fitzgerald Kusz:
"Wie ich zum ersten Mal so besoffen war, dass ich nicht mehr gewusst habe, wer ich bin, da habe ich mich schon geniert, wie sie erzählt haben, was ich alles angestellt habe. Da sieht man erst, was in einem steckt. Aber beim zweiten Mal hat mir das nichts mehr ausgemacht."
Der Rausch - "da sieht man erst, was in einem steckt". Nicht nur Gutes. Und deshalb kommt auch das Bedrohliche am kollektiven bayerischen Biertrinken nicht zu kurz. Wer von außen kommt, erschaudert vor den Einheimischen, so wie der amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe, der Mitte der 20er-Jahre das Oktoberfest besuchte:
"Die Halle erdröhnte von ihrer Stimmgewalt, und sie erschütterte von ihren mächtigen Leibern, und als sie sich so hin und her wiegten, schien es mir, dass nichts auf Erden ihnen widerstehen konnte, dass sie zerschmettern mussten, worauf immer sie trafen, ich begriff jetzt, warum andere Völker sie so sehr fürchtet, unversehens wurde ich selbst von einer tödlichen Furcht vor ihnen gepackt, die mir das Herz gefror."
Ein zeitloses Dokument, auch heute kann man sich fürchten vor der enthemmten und enthemmenden Bierseligkeit – bis man selbst eintaucht und mitgerissen wird.
Thomas Wolfe, Oktoberfest: "Im nu waren auch wir alle eingehakt, im Takt schunkelnd, schwankend, singend, im Gleichklang mit dem Geschmetter dieser gewaltigen Stimmen, schunkelnd, schwankend und singend, indes die Kapelle ‚Ein Prosit’ spielte. Und nun gab es keine Fremdheit mehr, es gab keine Barrieren mehr, wir tranken und schwatzten und aßen zusammen, ich lehrte Liter um Liter des kalten und berauschenden Bieres, seine Nebel stiegen mir zu Kopf. Ich war euphorisch und glücklich."
Ein Text von großer Wahrhaftigkeit. Genauso wie die Tagebucheinträge des vergessenen Schwabinger Dichters Walter Rufer:
"Der Himmel ist blau, ich auch. 1. Januar, Kater."
Und fünf Tage später.
Walter Rufer, Tagebuch: "6. Januar, um zehn erwacht und gedacht, dass ich dies und jenes wollte, eigentlich um acht erwachen sollte, über des Lebens Sinn nachgedacht, um zwölf zum zweiten Mal erwacht.
7. Januar, nachmittags Bier getrunken und dann in Gedanken versunken, ich weiß nicht wie tief, oder ob ich schlief. 8. Januar, wieder eine Nacht durchgemacht."
Nicht alle Stücke auf dem Hörbuch können da mithalten. So manches ist dann doch nur ein Kratzen an der Oberfläche des Rausches, ohne die Untiefen wirklich auszuloten. Nette Unterhaltung.
Musik Isarspatzen, "Getränkekarte":
"Der Wein ist für so Leute, die besoffen die Wahrheit sagen.
Die Milch für kleine Babys, die noch keinen Wein vertragen."
Der Rausch hat oft etwas Selbstzerstörerisches, schöner und erstrebenswerter sind dann doch die friedvollen Augenblicke, weit vor dem Vollrausch, wie sie der Krimi-Schriftsteller Friedrich Ani beschreibt:
"Nirgendwo sonst ist dieses Leuchten so klar, so überirdisch. Es ist, als käme es direkt aus den Glaskrügen."
Er preist, ganz zu Recht, den Biergarten auf dem Viktualienmarkt, mitten in der Stadt. Magische Momente sind hier möglich, trotz des Trubels außen rum.
Friedrich Ani: "Das Beieinandersein an einem langen Tisch. Aus der Zeit gespült von einer lichtdurchfluteten Maß Bier, offen für jedweden Fremden, jedwedes Sprechen, jedwedes Schweigen."
Musik Krinoline Blaskapelle, "Ein Prosit":
"Eins, zwei, drei."
Besprochen von Georg Gruber
Der Rausch. Eine einzigartige Enzyklopädie der bayerischen Seele
(Erschienen in der Reihe "Stimmen Bayerns")
Mit Fitzgerald Kusz, Walter Rufer, Friedrich Ani u. a.
Trikont, München 2012, 1 CD, 16,99 Euro