Die rätselhafte Ikone der 60er
Model, Sängerin, Schauspielerin: Nico war alles und vor allem Ikone der Pop-Kultur. Bis heute gibt sie Rätsel auf. Tobias Lehmkuhl hat ein einfühlsames Porträt verfasst: "Je mehr ich mich mit ihr beschäftigte, desto faszinierender fand ich sie."
Eigentlich hieß sie Christa Päffgen. Geboren 1938, wuchs sie als Kind im zerstörten Deutschland auf. Ein Modefotograf entdeckte sie als junges Mädchen und machte sie zu "Nico". Sie wurde Model, Schauspielerin, Sängerin, Muse von Andy Warhol. Vielen ist sie heutzutage vor allem als Sängerin der legendären Band The Velvet Underground bekannt.
Nico wurde eine Ikone ihrer Zeit, eine Kunstfigur, die sich selbst immer wieder neu erfand und es mit Realität und Fiktion, was den eigenen Lebenslauf anging, nicht immer so ernst nahm. "Mit dem faktischen über Nico ist es tatsächlich etwas schwierig. Sie hat immer sehr widersprüchliche und auch hanebüchene Geschichten über ihre eigene Geschichte erzählt", sagt Tobias Lehmkuhl. In seiner Biografie über Nico legt er deswegen den Fokus auch nicht auf Daten:
"Sie war natürlich eine sehr wichtige Person der Zeitgeschichte. Sie hat bei Fellini mitgespielt, sie war in der Factory von Andy Warhol. Sie hat mit allen bekannten Menschen der 60er-Jahre Kontakt gehabt, deswegen ging es mir vor allem darum, sie in der Zeit darzustellen. Mir kam es jetzt nicht darauf an das letzte Datum zu sichern, sondern ich wollte ihren Lebenslauf darstellen als ungewöhnlichen Lebenslauf einer Frau, einer Deutschen. Ein internationaler Lebenslauf in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren."
"Biografie eines Rätsels" hat Lehmkuhl sein Buch über Nico genannt. Um sich Nico zu nähern, muss man einsehen, dass es nicht die eine Nico gibt, sondern es sich um eine Frau handelt, die ganz verschiedene Seiten hatte:
"Da gibt es einmal ihre ganz kindliche Seite, ihre mädchenhaftes Giggeln, was immer beschrieben wurde, ihre Unbefangenheit und Neugierde. Und auf der anderen Seite wurde sie immer als unterkühlte, eiskalte Statur wahrgenommen. Andy Warhol sagte mal, sie sei wie die Gallionsfigur eines Wikinger-Schiffes. Sie hatte diese verschiedenen Seiten und ihren enorm starken Willen. Und das hat mich vor allem an ihr fasziniert: Ihre Eigenständigkeit, ihre Selbstständigkeit und dass sie sich niemals für irgendeinen Mainstream verbogen hat. Und dass sie sich auch niemals von Männern hat unterkriegen lassen. Sie hat immer ihr eigenes Ding gemacht. Im Grunde könnte sie eine Vorreiterin der feministischen Bewegung sein. Sie hat sich allerdings nicht für Politik und die Rolle der Frau interessiert."
Ungewöhnliche Frau, ungewöhnliche Musik
Manch ein Biograf wird der Person überdrüssig, mit der er sich monate-, manchmal jahrelang beschäftig. Bei Tobias Lehmkuhl war das nicht so, im Gegenteil:
"Je mehr ich mich mit ihr beschäftigte, desto faszinierender fand ich sie. Tatsächlich mochte ich sie am Ende des Buches viel lieber als am Anfang. Weil ich sie bewundert habe, für das sie getan hat."
Allerdings hatte sie auch ihre dunklen Seiten. Viele Jahre ihres Lebens war sie drogensüchtig. Auch diese Phase gehörte zu ihr.
Nico hatte eine künstlerische Vision von sich, die sie konsequent umsetzte und immer wieder mit neuem experimentierte:
"Es gibt einmal diese Debütplatte von ihr "Chelsea Girls", die ist noch relativ konventionell. Aber man spürt dann noch Ansätze von dem, was ich dann die eigentliche Debütplatte nennen würde, "The Marble Index". Das ist ihre erste eigene Scheibe, die sie mit Hilfe von John Cale gemacht hat. Und das klingt total ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher als Velvet Underground. Das klingt auch heute noch ungewöhnlich. Das ist so eine Art Kammerpop."
Nico starb im Juli 1988, vor 30 Jahren, nach einem Unfall auf Ibizia. In diesem Jahr wäre sie 80 Jahre alt geworden.
Tobias Lehmkuhl: "Nico - Biografie eine Rätsels"
Rowohlt-Verlag 2018, 24 Euro