Erste Frau an der Spitze der Comédie Française

Von Siegfried Forster · 02.08.2006
Als erste Frau leitet Muriel Mayette das altehrwürdige Staatsschauspielhaus Comédie Française. Die 42-jährige Schauspielerin aus dem Ensemble des Hauses wurde überraschend vom französischen Kulturminister berufen. Sie löst damit Marcel Bozonnet ab, dessen Entscheidung, ein Handke-Stück vom Spielplan zu nehmen, umstritten war.
Ungewöhnlich jung, weiblich und ehrgeizig ist sie, die erste Frau, die in der über 300-jährigen Geschichte des berühmtesten Theater Frankreichs die Comédie Française leiten wird. Was die äußeren Formen anbetrifft, so gibt sich Muriel Mayette jedoch progressiv-konservativ. Bei ihrem Titel verweigert sie die weibliche Form der Intendantin und besteht auf Frau Generalintendant, Madame l'administrateur:

"Ich ziehe die Anrede Madame l'administrateur vor. Denn darin ist das Männliche und Weibliche enthalten, einerseits die Aufgabe als Administrateur, andererseits die Person als Madame. Ich finde, das ist das Beste in Bezug auf die Gleichheit, das Männliche und Weibliche Seite an Seite."

Ihren Vorgänger Marcel Bozonnet traf ihre Nominierung wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Wenige Tage vor der Entscheidung hatte Bozonnet noch ein Projekt für eine weitere Amtszeit vorgelegt. Noch beim Theater-Festival in Avignon lag ihm die französische Theaterwelt zu Füßen. Als allmächtiger Generalintendant entschied er über Wohl und Wehe der Theaterstücke und Schauspieler an den drei Schauspielhäusern der Comédie Française. Damals hätte er sich nicht im Entferntesten träumen lassen, dass sich seine verbale Lanze gegen Handke einmal gegen ihn selbst richten könnte. Mit folgenden Worten hatte Bozonnet Handke in die Verbannung geschickt:

"In einem Theater empfängt man nicht irgendjemanden, sondern man empfängt Leute, die man schätzt, denen man die Hand schütteln kann. Jemanden in seinem Theater zu empfangen, sein Stück zu inszenieren, das ist ein Akt der Anerkennung, der Liebe. So funktioniert ein Theater."

Nun musste Bozonnet feststellen, wie die Comédie Française funktioniert, dass auch er inzwischen in Ungnade gefallen ist. Seine Nachfolgerin ist 42 Jahre alt, 21 Jahre hat sie davon als Schauspielerin und Regisseurin in den Reihen der Comédie Française verbracht, die Hälfte ihres Lebens. Über ihr Verhältnis zu ihrem geschassten Vorgänger Marcel Bozonnet äußert sie sich möglichst nicht, beschränkt sich auf einen kleinen Seitenhieb, dass er "immer alles beherrschen wollte", beschreibt sich als Kontrapunkt und gesteht ohne jegliches Zögern, dass sie keinerlei Absicht hatte, Generalintendant der Comédie Française zu werden:

"Ich hatte keinen solchen Plan. Der Kulturminister hat mich einberufen, um meine Meinung über die Comédie Française einzuholen. Ich war nicht die Einzige, er hat viele getroffen, darunter Schauspieler der Comédie Française. Anschließend hat er lange überlegt und mich ausgewählt. Ich glaube, weil er jemanden von innerhalb der Comédie Française haben wollte. Er wollte diesmal einen Handwerker aus dem eigenen Haus nominieren."

Fast noch wichtiger als die Nominierung scheint jedoch zu sein, dass Marcel Bozonnet gefeuert wurde. Seine umstrittene Entscheidung, nach pro-serbischen Äußerungen von Peter Handke ein Handke-Stück kurzfristig vom Spielplan zu nehmen, hat ihm nun offensichtlich das Genick gebrochen, auch wenn der Kulturminister jegliche Begründung bislang verweigerte und Muriel Mayette einen politischen Hintergrund oder Intrigen weit von sich weist:

"Überhaupt nicht. Es handelt sich um eine künstlerische Entscheidung für die Zukunft. Marcel Bozonnet hätte aus Altersgründen nur für drei Jahre erneut nominiert werden können. Seine künstlerische Bilanz ist eher positiv. Der Kulturminister hat ihm versprochen, bei seiner weiteren Karriere zu helfen, ihm zu helfen, weiter Regie führen zu können. Hinter meiner Nominierung steckt keinerlei Bestrafungsaktion."

Aber nicht nur Bozonnet selbst, sondern auch prominente Vertreter aus dem Theaterbereich sehen das vollkommen anders. Theaterwissenschaftler Georges Banu entrüstete sich, für wie naiv der Kulturminister hier offenbar alle verkaufen wolle. Florence Delay, Mitglied der altehrwürdigen Académie Française, gab bekannt, dass sie ab sofort ihre Lektüre-Tätigkeit für die Comédie Française einstellen werde. Und auch manche Mitglieder der Theatertruppe äußerten ihr Unverständnis über den trostlosen Abgang von Bozonnet.

Schauspieler Eric Genovèse ließ verlauten, dass es sich um eine "theaterinterne Abrechnung mit Bozonnet" handle. Andere geißelten in einem offenen Brief in der Weltzeitung Le Monde das "brutale, unerklärliche und ungerechtfertigte" Vorgehen des Kulturministers. Für Muriel Mayette ist die Rede von einer politischen Intrige lächerlich. Sie will diese Vergangenheit schnell hinter sich lassen und für Veränderungen sorgen:

"Mehr Tourneen. Ich möchte, dass die Comédie Française mehr in der Welt präsent ist, dass sie auch die großen Theatertruppen dieser Welt empfangen kann, um sie unserem Publikum präsentieren zu können. Und umgekehrt bei ihnen zu spielen. Ich möchte die Zahl der Schauspieler wieder erhöhen, wir waren einmal 80, heute sind wir noch knapp 60 (...) Es gibt ein schwieriges Gleichgewicht zu finden, damit genauso viele alte wie junge Schauspieler, traditionelle wie moderne in der Truppe sind, damit die Generationen sich kreuzen und die verschiedenen Theater-Schulen und -Stile sich begegnen und gegenseitig bereichern."
Renaud Donnedieu de Vabres, französischer Minister für Kultur und Kommunikation
Renaud Donnedieu de Vabres, französischer Minister für Kultur und Kommunikation© Ministère de la Culture et de la Communication