In Braunschweig sind bald drei Millionen Mark Schulden aufgelaufen - Geld muss her, damit der Betrieb weitergehen kann. Mit einer „Schnapsidee“ könnte der klammen Eintracht geholfen werden. Für jährlich 100.000 D-Mark möchte der Kräuterlikörfabrikant Günter Mast Jägermeister-Werbung auf den Eintracht-Trikots platzieren.
Wir haben einen Vertrag mit Eintracht Braunschweig geschlossen und haben dann auf die Trikots der Spieler groß drauf gebracht den Hubertushirsch. Das hat den DFB auf die Palme gebracht und der hat dann den Schiedsrichtern die Anweisung erteilt, die Spiele nicht anzupfeifen, wenn die Mannschaft mit diesem Trikot auflaufen würde.
Der Deutsche Fußball-Bund wehrt sich vehement und strengt mehrere Gerichtsverfahren an. Doch der pfiffige Schnapshersteller unterläuft das Werbeverbot des DFB mit einem einfachen Trick.
„In Paragraf eins der Satzung von Eintracht Braunschweig war das verankert, da brauchten wir nur eine Satzungsänderung durchzuführen: Löwe raus, Hirsch rein.“
Hubertushirsch im Vereinswappen
Vorstandsetage und Vereinsmitglieder stimmen dafür, und auf dem Vereinswappen der Eintracht prangt fortan anstelle des Braunschweiger Löwen der Hubertushirsch von Jägermeister. Der DFB kann nur noch durch seine Schiedsrichter die Größe des Werbewappens kontrollieren. Das darf 14 Zentimeter nicht überschreiten.
Erstmals kommt das Maßband am Nachmittag des 24. März 1973 in der Fußball-Bundesliga zum Einsatz. Da tritt die Braunschweiger Eintracht mit dem Hirsch auf der Brust gegen den FC Schalke 04 an.
Spieler im Fokus der Medien
Für die Spieler ist es anfangs irritierend, ständig im Fokus der Medien zu stehen.
Der damalige Braunschweiger Rechtsaußen Klaus Gerwien erinnert sich.
„Man wurde so ein bisschen abgelenkt vom Fußball, aber im Grunde genommen haben wir uns da drüber amüsiert. Innerlich mussten wir etwas lächeln.“
Großes Medienecho
PR-Stratege Günter Mast ist hochzufrieden. Das „Jägermeister-Hallali“ hat landauf, landab ein großes Echo. Selbst die Hauptnachrichtensendungen im Fernsehen berichten von der Trikotwerbung.
Der damalige Jägermeisterchef Günter Mast stellt im April 1973 die Jägermeister-Trikotwerbung bei Eintracht Braunschweig vor.© dpa / picture alliance / Rust
„Ich habe mir damals von der Ausstrahlung eines Trikots für eine solch berühmte Marke wie Jägermeister gar nicht viel versprochen, sondern ich habe mir viel davon versprochen, diese Sache zu einem großen Gerede in Deutschland zu machen.“
Kritik aus der Kirche
Es gibt aber auch kritische Stimmen, etwa von der evangelischen Kirche.
Ihr damaliger Sportbeauftragter Martin Hörmann befürchtet nicht nur die Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit der Sportler, sondern auch die Abhängigkeit der Vereine und Verbände von Unternehmen.
Es ist die Frage nach einer Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit des Sports und des Sportlers insgesamt, etwa wenn auf einem Trikot für ein alkoholisches Produkt geworben wird und auf der anderen Seite der Sport die Parole der Gesundheit ausgibt - und es ist die Frage nach der Werbung als Werbung im moralischen Sinn, nur ein Stichwort zu diesem Komplex: möglicher Konsumterror.
Marketingexperten und Befürworter der Kommerzialisierung im Sport und insbesondere im Fußball feiern dagegen die Braunschweiger Werbung am Mann als Meilenstein.
Die historische Bedeutung
„Diese werbestrategische Innovation war eigentlich eine Revolution. Und alles, was danach in Sportwerbung, Trikotwerbung, Sportsponsoring geflossen ist, fußt eigentlich auf dieser kreativen Idee von Günter Mast.“
Sagt Michael Schaffrath, Leiter des Arbeitsbereiches Medien und Kommunikation an der Sportfakultät der TU München.
Sebastian Uhrich vom Institut für Sportökonomie und Sportmanagement an der Deutschen Sporthochschule Köln würdigt zwar auch die historische Bedeutung der ersten Trikotwerbung, nimmt aber aus heutiger Sicht eine etwas andere Einordnung vor.
Es ist ein Symbol, es ist so der Ausgangspunkt, aber es ist vom Volumen und von der Gesamtbedeutung im Vergleich zu dem, was in den nächsten Jahrzehnten dann passiert ist, marginal. Ich glaube, die Gesamtbewegung war einfach da, die war auch nicht aufzuhalten - und wenn’s nicht Braunschweig gewesen wäre, dann wär’s n anderer Club gewesen. Und wenn’s nicht die Trikotwerbung, dann wär es etwas anderes gewesen.
An Fußball spielende Litfaßsäulen hat man sich längst gewöhnt. Schon fünf Jahre nach dem erfolgreichen Start in Braunschweig machen alle Bundesligaklubs Produktwerbung auf den Trikots.
Einnahmen haben sich vervielfacht
Die Einnahmen der Vereine haben sich inzwischen vervielfacht. Ligakrösus VfL Wolfsburg nimmt heute 70 Millionen Euro pro Saison mit dem Trikotsponsoring ein.
Der VfL Wolfsburg erhält jährlich 70 Millionen Euro von seinem Trikotsponsor - so viel wie kein anderer Bundesligist (hier eine Szene aus dem Spiel gegen Bayern München im Februar 2023).© dpa / picture alliance / Revierfoto
Der FC Bayern folgt mit 45 Millionen, Dortmund und Leipzig mit jeweils 35 Millionen Euro. Schlusslichter sind Union Berlin und der VfL Bochum mit je 2,5 Millionen Euro.
An den gesamten Sponsoringeinnahmen macht die Trikotwerbung heute allerdings nur noch einen geringen einstelligen Prozentbetrag aus. Hier stehen mittlerweile die Gelder aus der Fernsehvermarktung an erster Stelle.