"Von Reihe sieben bis neun Smartphones erwünscht"
Fünf große deutsche Bühnen haben zur ersten Twitter-Theater-Woche geladen. Theaterautorin Bianca Praetorius sieht darin eine "Experimentierphase" und sie erklärt, wie sie sich Twitter künftig bei Aufführungen vorstellen kann.
Liane von Billerbeck: Fünf große deutsche Bühnen wagen ein Experiment: Sie haben, jedes Theater an einem Tag, zur erster deutschen Twitter-Theaterwoche geladen. Mit dem Smartphone vor und sogar auf die Bühne – was bringt das? Vielleicht sogar ganz neue, ganz junge Zuschauer? Bevor ich darüber mit der jungen Theaterautorin Bianca Praetorius spreche, liefert Ihnen Sven Riglefs ein paar Eindrücke:
Beitrag
Über dieses Herantasten an ein für viele Theaterleute neues Medium will ich jetzt mit der jungen Theaterautorin Bianca Praetorius sprechen. Sie kennt sich beim Twittern aus und in der Theaterwelt als Schauspielerin und als Autorin, sie hat unter anderem Stücke für das Junge Deutsche Theater Berlin geschrieben. Frau Praetorius, ich grüße Sie!
Bianca Praetorius: Guten Morgen!
von Billerbeck: Twittern im Theater, auch in Ihrem Deutschen Theater – Top oder Flop?
Praetorius: Grundsätzlich eine wundervolle Entwicklung, deswegen erst mal Top, aber natürlich ist es noch auf einem Weg, das ist noch in den Babyschuhen.
von Billerbeck: Was wird denn da getwittert?
Praetorius: Da wird erst mal getwittert das Haus selber mit den üblichen Verdächtigen, das heißt, Twitter ist ein bisschen so wie eine Party: Wenn keiner kommt, dann wird es sehr einsam und sehr einbahnstraßenmäßig, und wenn ganz viele kommen, kann es ein großes Fest werden. Und damit kämpfen die, glaube ich, gerade.
Das bedeutet, wenn man sich anguckt, was passiert, dann sind es die Häuser selber mit den Dramaturgen und den PR-Leuten der anderen Häuser, die sich gegenwärtig interne Witze hin- und herschicken, was begrenzt spannend ist an manchen Stellen, aber der Versuch und die Aufgabe ist natürlich wunderbar und freut mich sehr.
von Billerbeck: Vieles, das, was Sie schildern, dass da die Theaterleute, die mitmachen bei dieser Twitter-Theaterwoche, also quasi untereinander kommunizieren, das könnte man ja auch per Telefon, per E-Mail oder auch via Homepage vermitteln, nur vielleicht nicht ganz so schnell, und deshalb mal mit René Pollesch gefragt: Wo liegt der Mehrwert von Twitter aus und im Theater?
Praetorius: Ja, ich glaube, das Problem ist, dass noch keiner richtig genau weiß – jetzt hat man dieses Werkzeug mit Twitter, was soll man da anfangen damit? Das heißt, wenn jetzt nur jemand Statusmeldungen in den Raum schmeißt und sagt, alles klar, bei uns gibt es jetzt gerade Linsensuppe zum Abendbrot, dann kann ich da gar nicht wirklich drauf eingehen und dann hat das auch tatsächlich keinen Mehrwert. Deswegen habe ich dieses Party-Beispiel gewählt: Wenn andere Leute kommen, also das heißt, wenn Zuschauer, wenn da jetzt 200 Zuschauer sind, die mitsprechen und die inhaltlich sich über das Stück unterhalten können, dann wird es spannend für beide Seiten, weil ich kriege mit als Zuschauer, was denken die anderen eigentlich über das, was ich da gesehen habe, was sehen die darin, und als Theater kriege ich mit, wie fanden es die Zuschauer eigentlich, weil normalerweise kommt ja das konkrete Wie-gefällt-es-Denen nur bei den Theatern an, wenn ich tatsächlich einen Zuschauerbrief schreibe oder ins Gästebuch was reintippe, ansonsten kriege ich das ja gar nicht mit, obwohl es mich ja interessieren würde als Theater.
von Billerbeck: Das klingt ja, wenn ich das höre, zunächst mal wie ein Albtraum: 200 Leute, die aus dem Theater twittern. Dann sitzen diese Menschen mit den erhellten Smartphone-Bildschirmen und Displays auch noch im Theatersaal und äußern sich von dort. Das ist ja fürchterlich.
Praetorius: Ja, tatsächlich habe diese Reaktion öfter bekommen. Ich habe das ... So seit anderthalb Jahren ist das so ein bisschen auf meinem Schreibtisch, dass ich das gerne machen würde, und man bekommt immer alles zwischen einem vorsichtigen Kopfschütteln und einem Naserümpfen und eben diesem Bild eines Albtraums, oh nein, die ganzen Displays! Es ist erst mal so, dass ... Meine Generation oder ich empfinde es so, dass mein Smartphone fast wie eine dritte Hand ist.
von Billerbeck: Ein Körperteil.
"Ich will ja niemandem den Theaterbesuch kaputt machen"
Praetorius: Richtig, richtig! Das heißt, mein natürlicher Impuls, wenn mir Kontext fehlt, wenn ich irgendwas nachgucken will, dann ist mein natürlicher Impuls der Griff zum Telefon. Es bleibt mir nur im Theater verwehrt, das heißt, ich kriege blöde Blicke und Raunen von rechts und links, wenn ich es wage, das Telefon rauszuholen. Und das kann ich total respektieren.
Deswegen würde ich mir ... also würde ich vorschlagen, wie eine ... So von Reihe sieben bis neun, das sind dann Smartphone-erlaubte Reihen, so kann man da unter sich bleiben, und man stört keinen, weil ich will ja niemandem den Theaterbesuch kaputt machen, indem ich neben mir tippe, und gleichzeitig würde es aber auch nicht meine dritte Hand mir selbst berauben.
von Billerbeck: Nun ist ja das Gute am Theaterbesuch aber auch dieses Abgeschottet-Sein, dieses ... jetzt gar nicht sich gestört fühlen von den anderen Displays, aber so dieses ... sich konzentrieren auf einen Text, auf die Darsteller, auf das Bühnenbild, die Musik – das allein sind ja schon sehr viele Eindrücke, und das Nachdenken darüber, das Sacken-Lassen des Erlebten, das ist ja auch ein Prozess, es heißt ja nicht umsonst "nach"denken. Verstehen Sie, dass bestimmte Leute auch ins Theater gehen und nicht sofort kommunizieren wollen, nicht nur alte, auch junge?
Praetorius: Absolut, ich bin sogar ... Also ich glaube sogar, dass das das ist, warum Theater so besonders wertvoll jetzt ist, weil – ja, ich sehne mich nach einem Ort, wo es wirklich nur ... wo ich gezwungen bin, mich dorthin zu konzentrieren, wo ich wirklich abgeschottet bin. Deswegen wäre es auch für mich ein Albtraum, wenn in jeder Vorstellung alle Leute um mich herum ihr Smartphone auspacken würden.
Deswegen, da bin ich voll auf der Seite, deswegen glaube ich, es könnte hier so eine eigene Form geben, dass einmal im Monat eine Vorstellung stattfindet, wo man irgendwie ... von Reihe sieben bis neun Smartphones erwünscht und erlaubt sind, und dann hätte das einen Riesen-Mehrwert, weil ich dann eben mitbekomme, was die anderen eben darüber so denken. Und das macht dieses Wir-Gefühl des Publikums ... überhaupt erst mal da, weil sonst gehe ich aus der Vorstellung raus und, na ja, denke das oder das dazu, aber das bleibt dann bei mir, in meinem Kopf, und das ist das, was es an Mehrwert bringen könnte, das, wenn ich das irgendwie durchsichtig und transparent machen könnte.
von Billerbeck: Den Vorschlag werden jetzt viele Theaterleute gehört haben, "Reihe sieben bis neun für Twitterer freihalten" sehe ich schon auf der Liste, auf der To-do-Liste der Chefdramaturgen. Nun haben Sie, Bianca Praetorius, selbst schon mal so ein Twitter-Theaterprojekt versucht. Ich habe mir das auf Youtube angeguckt, das war bei der re:publica, also beim Kongress der Netzgemeinde. Da haben Sie Schauspieler spielen lassen und das Publikum im Saal – alles sehr netzaffine Menschen – aufgefordert, zu twittern, worauf dann die Schauspieler auf der Bühne reagieren sollten. Das ist gründlich schiefgegangen. Woran lag es?
Praetorius: Richtig, das ist gründlich schiefgegangen. Das lag daran, dass ich zu viel wollte, das heißt, ich wollte, das getwittert wird aus dem Publikum, und dass gleichzeitig, so meine Vorstellung im Mai, die Schauspieler auf das reagieren können, was passiert, und dass dadurch ein tatsächlicher Diskurs stattfindet. Was passiert ist, ist, dass es eine Dauer ... , eine Feedbackschleife gab, das heißt, es ist weder eine Dramaturgie entstanden, es gab keine Geschichte, weil das beide Seiten überfordert hat, das heißt, die Schauspieler haben die ganze Zeit darauf gewartet, was dort getwittert wird, und es hat keinen Mehrwert tatsächlich, es dreht sich um sich selbst.
von Billerbeck: Was haben Sie aus diesem Scheitern gelernt?
Praetorius: Dass das genau zu viel ist, weil damit ist es nämlich Mitmach-Theater und Impro-Theater und hat es ganz wenig künstlerischen Mehrwert. Das heißt, eine sogenannte Twitterwall, was eine Projektion von all den gesammelten, getwitterten Nachrichten ist zum Mitlesen, ist erst mal was ganz Tolles, und ich habe damals gedacht: Super-Idee, lass uns die doch auf die Bühne packen und währenddessen das Ganze begleiten.
Und jetzt habe ich gelernt: Das ist ein Schritt zu viel. Das heißt, die Twitterwall darf da nicht sein und es darf nur abgeschottet von dem eigentlichen Vorstellungsstück laufen und dann kann es gut werden.
"Was wurde denn während des Stückes gesagt?"
von Billerbeck: Aber mit Verlaub, Frau Praetorius: Nicht jeder hat sofort geniale Gedanken. Manchmal muss man ja auch erst mal denken, um Gedanken zu haben. Also nur, dass man sofort reagieren kann, heißt ja auch nicht, dass es gleich toll ist, was da rauskommt.
Praetorius: Das ist richtig, aber zum Beispiel im Verlauf eines Stückes ... Am Anfang denke ich vielleicht, hach, das ist ja toll, in der Mitte langweile ich mich, dann verstehe ich was nicht, und wenn ich jetzt am Ende gefragt werde, wie war es, dann habe ich vielleicht zwei Sätze und dann mache ich (…), Daumen hoch, Daumen runter.
Und das ist so schade, weil alles das, was dazwischen an Zwischentönen in meinem eigenen Gefühlshaushalt passiert ist, ist wie nie geschehen. Und durch das Mitteilen davon habe ich als Zuschauer, der meinetwegen noch nicht im Stück war, die Möglichkeit, im Nachhinein nachzulesen: Wie ist eigentlich der dramaturgische Verlauf, wenn ich mir das angucke? Wie fühlt sich das währenddessen eigentlich an, in dem "Hamlet" an der Schaubühne zu sein?
von Billerbeck: Das heißt, sie sammeln quasi im Laufe der Vorstellung via Twitter die Gefühle, die Eindrücke, die sie hatten, liefern die dann am Ende ab und hebeln damit quasi die offizielle Theaterkritik aus?
Praetorius: Das wäre natürlich besonders spannend, wenn das passieren würde, weil es wie eine, das könnte man nennen crowd-gesorcte Theaterkritik, dass man sich das eben statt der normalen, klassischen Kritik sich angucken kann im Vorhinein: Wie ist denn der Hashtag-Verlauf, also was wurde denn während des Stückes gesagt?
Und, ja, das wäre eine Möglichkeit von den vielen Möglichkeiten, die es gibt. Also wir sind ja ganz am Anfang dieser Entwicklung, das heißt, es ist noch ganz viel möglich, was man damit machen kann, und jetzt sind wir in der Experimentierphase, deswegen darf das ja auch ruhig noch scheitern und ...
von Billerbeck: ... ausprobiert werden.
Praetorius: Richtig, richtig!
von Billerbeck: Bianca Praetorius war das, die Theaterautorin, über die noch bis morgen laufende Twitter-Theaterwoche und die Möglichkeiten, die fünf große deutsche Bühnen gerade ausprobieren. Ich danke Ihnen!
Praetorius: Sehr gerne!
von Billerbeck: Und wenn Sie mitmachen wollen, der Hashtag lautet #TTW13, wenn Sie twittern wollen über die Theater-Twitterwoche an diesen Bühnen von München bis Hamburg.
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