Erste Untersuchungen und Empfehlungen

Wie gefährlich ist Chorsingen in Coronazeiten?

05:23 Minuten
Der Chor der Berliner Domkantorei steht im Berliner Dom.
Die Berliner Domkantorei - hier eine Aufnahme vor der Coronazeit - hat nach einer Probe im März 2020 erfahren, wie sich der Coronavirus verbreiten kann. © Boris Streubel
Von Marcus Stäbler |
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Der Shutdown macht es Chören schwer bis unmöglich, gemeinsam zu proben. Zumal es Anlass zur Vermutung gibt, dass das Chorsingen ein Hotspot für die Verbreitung des Virus sein könne. Tests zeigen, worauf zu achten ist.
Am 9. März treffen sich die Mitglieder der Berliner Domkantorei zu ihrer wöchentlichen Probe. Rund 80 Sängerinnen und Sänger sitzen im 120 Quadratmeter großen Saal, sie proben für eine geplante Aufführung des Liverpool Oratorio von Paul McCartney unter Leitung von Kantor Tobias Brommann.
"Ich stand in angemessener Entfernung vor dem Chor, und auch die Korrepetitorin saß weiter weg am Klavier, also wir hatten schon relativ große Abstände."
Zweieinhalb Stunden läuft die Probe, niemand zeigt Symptome einer Erkrankung. Aber das ändert sich bald, wie der Kantor Tobias Brommann erzählt.
"Fünf Tage nach dieser Probe bekam ich eine Mail von einem Mitglied und darin stand: positiver Test."
Eine Nachricht mit Folgen. Brommann reagiert schnell und bittet alle Chormitglieder zu Hause zu bleiben, er alarmiert das Gesundheitsamt. Im Laufe der nächsten Tage stellt sich heraus: rund 60 der 80 Sängerinnen und Sänger sowie Brommann selbst und die Korrepetitorin bekommen Symptome in verschiedenen Verläufen.
"Von Geruchs- und Geschmacksverlust bis hin zu leider auch sehr schweren Fällen mit Krankenhausaufenthalten", sagt Brommann. Er selbst bewege sich irgendwo in der Mitte. Er hatte viele der Symptome. "Mein größtes Problem waren die Kopfschmerzen und vor allem: Es hat dreieinhalb Wochen gedauert, bis ich wieder auf dem Damm war."

Empfehlung: Abstand wahren

Mittlerweile sind zum Glück alle Infizierten wieder genesen. Doch die schlagartige Ausbreitung des Coronavirus in der Berliner Domkantorei - die inzwischen auch vom Robert Koch-Institut untersucht wird - gibt Anlass zur Sorge. Zumal es sich nicht um einen Einzelfall handelt.
In Amsterdam waren 102 von 130 Choristen nach einer Aufführung der Johannes-Passion Anfang März infiziert, vier davon sind verstorben. Auch in den USA hat es in der Nähe von Seattle zwei Todesfälle unter Choristen gegeben, obwohl dort bereits Abstands- und Hygieneregeln eingehalten wurden. Weitere Fälle mit teilweise schweren Erkrankungen sind auch aus Stade, aus Hohenberg und aus dem französischen Hombourg-Haut bekannt.
Diese Häufung ähnlicher Fälle wirft die Frage auf, ob Chorsingen in der gewohnten Form besonders riskant sein könnte – und welche Möglichkeiten es für die Sängerinnen und Sänger gibt, sich zu schützen. Für eine endgültige Antwort darauf ist es zum jetzigen Zeitpunkt zu früh – aber es gibt erste Untersuchungen, die sich damit beschäftigen.
Christian Kähler, Professor am Institut für Strömungsmechanik an der Universität der Bundeswehr in München, hat am Donnerstag Beobachtungen zur Ausbreitung von Tröpfchen und kleinen Schwebeteilchen beim Singen und beim Spielen von Blasinstrumenten veröffentlicht. Bereits am vergangenen Dienstag hatten die Bamberger Symphoniker einen ähnlichen Test durchgeführt, in Kooperation mit dem Freiburger Institut für Musikermedizin. Beide Versuche deuten an, dass sich die direkten Luftverwirbelungen beim Singen nur auf eine maximale Distanz von einem halben Meter vor dem Mund ausbreiten.
Als Reaktion auf diese ersten Versuche hat das Freiburger Institut für Musikermedizin seine Risikoeinschätzung angepasst. Nachdem das Institut noch am 25. April empfahl, auf Chorsingen vorerst zu verzichten, beschränkt sich die aktualisierte Version vom 6. Mai dazu auf den Rat, Abstand zu wahren.

Rolle des Einatmens und der Aerosole noch unklar

"Bei zwei Metern konnten wir in keiner der gemachten Messungen beim Singen oder Blasen Luftbewegungen sehen," sagt Professor Bernhard Richter vom Institut für Musikermedizin und empfiehlt deshalb einen Mindestabstand beim Singen und Spielen von zwei Metern. Die Forscher der Münchner Testreihe halten 1,5 Meter für ausreichend. Beide Untersuchungen beziehen ihre Aussagen allerdings nur auf eine Untersuchung im akuten Moment des Singens oder Spielens.
Welche Rolle das besonders tiefe Einatmen von Sängerinnen und Sängern womöglich für das Infektionsrisiko spielt, wird von den Testreihen nicht bedacht – und auch über die Frage, ob sich besonders kleine Schwebeteilchen, die so genannten Aerosole, im Laufe einer längeren Probe in einem geschlossenen Raum womöglich zu einer infektiösen Wolke verdichten könnten, haben wir noch keine gesicherten Erkenntnisse. Eine absolute Sicherheit gibt es nicht – aber zumindest erste Anhaltspunkte dafür, womit sich das Infektionsrisiko wirksam eingrenzen lässt.

Programmtipp: Die Sendung "Chormusik" um 0.05 Uhr in der Nacht auf Mittwoch, 13. Mai 2020, beschäftigt sich mit dem "Risiko Chorsingen".

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