Tag der Arbeit

Der 1. Mai und die Nazis

Der Mai-Feiertag wurde von den Nazis ideologisch missbraucht und pompös gefeiert – wie hier am 1. Mai 1937 in Berlin.
Der Mai-Feiertag wurde von den Nazis ideologisch missbraucht und pompös gefeiert – wie hier am 1. Mai 1937 in Berlin. © picture alliance / prisma / Schultz Reinhard
Die Nationalsozialisten erklärten den 1. Mai ab 1933 zum gesetzlichen Feiertag – dabei stammt er ursprünglich von ihrem Gegner, der organisierten Arbeiterschaft. Doch wie gelang es den Nazis, den „Tag der Arbeit“ für ihre Zwecke zu missbrauchen?
Als „Tag der Arbeit“ ist der 1. Mai heute eine Art Pflichttermin für Gewerkschaften und arbeitnehmernahe Parteien. In Deutschland ist das Datum aber auch eng mit den Nationalsozialisten verbunden. Ihnen gelang es damals, den Tag – der seine Ursprünge in der organisierten Arbeiterschaft hat – umzudeuten und für die Verbreitung ihrer völkischen Ideologie zu vereinnahmen.

Seit wann wird der 1. Mai von der Arbeiterbewegung gefeiert?

Offiziell gefeiert wird der 1. Mai international seit 1890. Die Gründe dafür liegen zu diesem Zeitpunkt vier Jahre zurück: Am 1. Mai 1886 forderten die Gewerkschaften in den USA eine Reduzierung der Arbeitszeit auf acht Stunden täglich. Größtenteils verliefen die Demonstrationen friedlich.
Auf dem Haymarket in Chicago kam es allerdings zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen Polizisten sowie Demonstranten starben. Später wurden sieben der mutmaßlich beteiligten Arbeiterführer verhaftet und zum Tode verurteilt. Vier wurden tatsächlich hingerichtet. Ihnen zum Andenken, so beschloss es der Internationale Sozialistische Arbeiterkongress in Paris, sollte ab 1890 der 1. Mai der internationale Kampftag der Arbeit werden.

Ursprung als "Moving Day"

Dass es 1886 in Chicago ausgerechnet am 1. Mai zu den blutigen Protesten kam, hat einen profanen Grund: In den USA war der 1. Mai damals der staatlich festgelegte „Moving Day“. An diesem Datum schlossen die Unternehmen neue Lieferverträge ab und handelten mit den Arbeitern neue Bedingungen aus. Da alte Arbeitsverhältnisse nicht selten dann endeten, mussten Arbeitnehmer oft umziehen. Deswegen trug der 1. Mai auch den Beinamen „Moving Day“.

Warum war den Nationalsozialisten der 1. Mai wichtig?

Die Nationalsozialisten verfolgten die Idee, die gesellschaftliche Kraft hinter dem 1. Mai umzulenken, um die Zustimmung zu ihrem Regime und ihrer Ideologie zu vergrößern. Gegenläufige Interessen mehrerer Gruppierungen – wie die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern – waren da nur störend.
Deswegen wollten die Nazis beide Seiten zusammenführen und zelebrierten den 1. Mai bereits 1933, im Jahr der Machtergreifung, als gigantische Inszenierung und insgesamt unter neuen Vorzeichen.
Seitdem verdrängten sie nach und nach dessen ursprüngliche Bedeutung als wichtigstem Festtag der internationalen Arbeiterschaft, wie das Deutsche Historische Museum herausarbeitet. Die inhaltliche Entfernung von den Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter macht sich auch in einer Umbenennung bemerkbar. Ab 1934 feierten die Nazis den 1. Mai unter dem Namen „Nationaler Feiertag des deutschen Volkes.“

Wie gelang es den Nazis, den 1. Mai zu vereinnahmen?

Grob gesagt: durch eine Mischung aus Gewalt, Zugeständnissen an die Bevölkerung sowie durch Massenpsychologie.
Großen Anteil an der Umdeutung des 1. Mai durch die Nationalsozialisten hatte die Deutsche Arbeitsfront (DAF). Zwar war sie die mit Abstand größte NS-Organisation, ist aber bis heute weitgehend unerforscht. Einen Tag nach den 1.-Mai-Feierlichkeiten unter den Nazis trat Robert Ley am 2. Mai 1933 sein Amt als Führer der neuen DAF an.

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Gewalt

Wohl mit dem Ziel, Andersdenkende aus dem Weg zu räumen, übernahm er in seiner ersten Amtshandlung die Büros der traditionsreichen deutschen Gewerkschaften (des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes ADGB), die am frühen Morgen von der SA und der Polizei besetzt worden waren. Noch am selben Tag wurden die Gewerkschaften verboten.
Gewalt gegen die Arbeiterbewegung hatten die Nazis allerdings schon zuvor ausgeübt, unmittelbar nach der Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933. Seitdem hatten Mitglieder der bis dahin fast unbekannten Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) in 160 Städten Gewerkschaftsbüros verwüstet und Funktionäre verprügelt. Mit brutaler Gewalt schalteten die Nazis so die Gewerkschaften aus, aber auch die ihnen nahestehenden Parteien SPD und KPD.

Zugeständnisse an die Bevölkerung

Ausgerechnet die Nazis erfüllten am 1. Mai 1933 die alte Forderung der Arbeiterbewegung, diesen Tag zum gesetzlichen Feiertag zu machen - natürlich mit dem Kalkül, diese Zielgruppe für den Nationalsozialismus zu gewinnen. Gleichzeitig versprach Hitlers Regime den seit der Weltwirtschaftskrise durch Lohnkürzungen und Massenarbeitslosigkeit demoralisierten Arbeitern, ihre Würde wiederherzustellen – im Rahmen eines, wie sie es nannten, nationalen Sozialismus.
Dass die Nazis die Arbeiterbewegung aber mit mehr köderten als nur mit schmeichelhaften Reden, betont auch der Historiker Götz Aly: „Zum Beispiel die Kündigungsschutzgesetze, die wir heute noch haben und die relativ hart sind jedenfalls für Arbeitgeber, die haben wir eben nicht aus der Weimarer Republik, die haben wir von Hitler. Genau dasselbe gilt übrigens für die Mieterschutzgesetze. Und das sind Maßnahmen gewesen, die den Widerstand in der Arbeiterschaft zumindest neutralisiert haben.“
Dadurch glaubten viele Arbeiter, im nationalsozialistischen Staat wieder einen starken Partner an ihrer Seite zu haben. 

Massenpsychologie: Stärkung des Wir-Gefühls

Eine weitere Strategie der Nazis war es, das Konfliktpotenzial zu minimieren, das der 1. Mai vor der Vereinnahmung mit sich brachte. Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie weiteren Untergruppen sollten erst gar nicht mehr aufkommen. Deswegen lautete die Grundformel der nationalsozialistischen Arbeitsauffassung: Arbeit ist ein Dienst an der Volksgemeinschaft.
Zur Volksgemeinschaft sollten ab Mai 1933 unterschiedslos alle gehören, die arbeiten, sofern sie nicht – wie vor allem Juden – aus rassistischen Motiven ausgeschlossen wurden.
„Damit mitgemeint sind auch Angestellte, das sind auch Unternehmer und auch Arbeiter. Alle, die den Dienst an der Volksgemeinschaft leisten. Und das versucht die Deutsche Arbeitsfront als Institution zu werden: Eine Organisation, die alle, die den Dienst an der Volksgemeinschaft leisten, gemeinsam vertritt“, sagt der Historiker Nikolas Lelle.
NS-Kundgebung zum 1. Mai 1936 am Alten Museum im Berliner Lustgarten.
NS-Kundgebung zum 1. Mai 1936 am Alten Museum im Berliner Lustgarten.© picture-alliance
Pompös inszenierte Mai-Feierlichkeiten sollten den Weg zum freudetaumelnden Wir-Gefühl zusätzlich stärken. Wie sehr die Nazis auf die Arbeiterinnen und Arbeiter für die Umsetzung ihrer Ideologie setzten, verdeutlicht auch ein Zitat des DAF-Führers Robert Ley:
„Es gilt von heute ab, den deutschen Arbeiter in seiner Gesamtheit zu gewinnen (…) aus dem Arbeiter jenen Herrenmenschen zu züchten, der er zum Wohle unseres Volkes sein muss.“

Welche Bedeutung hat der 1. Mai heute?

Auch wenn immer wieder Stimmen aufkommen, nach denen der 1. Mai mehr und mehr zu einem reinen Ausflugs- und Familientag verkommt, steht das Datum seit dem Ende der Nazizeit wieder im Zeichen der Belange der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Auf Kundgebungen und Demonstrationen platzieren Gewerkschaften traditionell ihre Botschaften für gute Arbeitsbedingungen und eine gerechtere Gesellschaft. Sie wenden sich damit gegen Forderungen der Arbeitgeberseite nach gesetzlichen Beschränkungen.
Mit Gründung beider Deutschlands – der Bundesrepublik und der DDR – 1949 wurde der 1. Mai ab 1950 in beiden Staaten wieder gesetzlicher Feiertag und ist es auch geblieben.
Doch die Spuren der Umdeutung des 1. Mai durch die Nazis waren nicht sofort nach Ende des NS-Regimes wieder verflogen, wie auch der Historiker Rüdiger Hachtmann betont: „Der Erwartungshorizont der breiten Arbeitnehmerschichten sowohl in der DDR wie in der BRD war natürlich sehr stark durchs Dritte Reich geprägt.“
Zumindest in der Bundesrepublik machten die Gewerkschaften von ihrem wiedererlangten Streikrecht anfangs nur sehr zurückhaltend Gebrauch. Lieber verständigten sie sich in informellen Gremien wie der „Konzertierten Aktion“ mit den Unternehmern auf eine Politik der Sozialpartnerschaft. So erreichten sie im Wirtschaftswunder, was die DAF nur versprochen, aber nie eingelöst hatte: relativ konfliktfreie Arbeitsbeziehungen und – vor allem – langfristigen Wohlstand für alle.

jma
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