Die Geige aus dem Schützengraben
Aus einer Zigarrenkiste hat vor rund 100 Jahren der Soldat Oskar Thiele an der Westfront eine Geige gebaut. In Dresden wird demnächst das außergewöhnliche Modell aus dem Schützengraben ausgestellt.
In seinem Büro im Militärhistorischen Museum in Dresden zeigt Gerhard Bauer seinen neuen Schatz. Ein absoluter Glücksfall sei die Geige, die das Museum vor einigen Wochen bekommen hat, schwärmt der Militärhistoriker. Überreicht in einem eigens angefertigten hölzernen Kasten. Der hat wie jeder Geigenkasten eine Aufhängung für den Bogen und ein Fach für Ersatzsaiten und das Kolofonium. Er ist aber kleiner und ungepolstert.
Beim Auspacken fällt sofort die ungewöhnliche Form des Instruments auf: Statt der typischen geschwungenen Form ist der Geigenkörper hier: eckig.
"Tatsächlich besteht diese Geige aus einem Zigarrenkasten, der als besondere Anfügungen dann einen Geigenhals bekommen hat, eine geschnitzte Schnecke, Wirbel, mit denen man die Drähte, beziehungsweise die Saiten spannen kann."
Die Geige lässt sich immer noch spielen
1915 hat ein deutscher Soldat die Geige gebaut, an der Westfront, im französischen Ort Saint Souplet in der Champagne. An der relativ groben Form erkennt man, dass die Schnecke mit einem Taschenmesser hergestellt wurde. Der Steg ist aus mehreren Teilen zusammengesetzt. Das aufgesetzte Griffbrett aber ist aus einem Stück und passgenau zurechtgeschliffen. Lackiert, wie sonst bei Geigen üblich, ist es nicht.
Der soldatische Geigenbauer, Oskar Thiele aus Sachsen, musste improvisieren. Umso beachtlicher, dass sich über hundert Jahre später die Geige immer noch spielen lässt. Jan Kindler, Leiter des Museumsmarketings und Hobby-Musiker holt dafür den Bogen aus seinem eigenen Geigen-Kasten. Das Original von 1915, ein einfacher Stock, ist derzeit nicht bespannt:
"Zunächst sollte ich ein wenig einstimmen. Wir versuchen, den Druck auf den Geigenboden möglichst gering zu halten. Weil wir nicht wissen, wie stabil die Zigarrenkiste gebaut ist, damit uns da nichts wegbricht."
Reporter: "Das sind aber handelsübliche Saiten?"
"Das sind jetzt normale Stahlsaiten, die sind aber sicher aus einer späteren Zeit."
"Überraschend gut für eine Zigarrenkiste"
Stimmen lassen sich nur zwei der vier Saiten. Dann setzt Kindler das Instrument an den Hals – so gut es geht ohne Schulter- und Kinnstütze.
"Dann gehen immer die Katzen nach Hause."
"Also es kommen Töne raus, und es klingt eigentlich überraschend gut für eine Zigarrenkiste. wenn ich jetzt noch besser spielen könnte, würde es auch besser klingen."
Trost, Unterhaltung, Aufmunterung angesichts der Grausamkeiten und des stets präsenten Todes: Musik hat für Soldaten immer eine Rolle gespielt. Neben der Stimme sei die Mundharmonika im Ersten Weltkrieg das wichtigste Instrument der Soldaten gewesen, sagt Militärhistoriker Gerhard Bauer. Je nach Kriegslage seien aber auch selbstgebaute Instrumente sehr beliebt gewesen. Und insbesondere zu Kriegsbeginn an der relativ statischen Westfront hätten Soldaten aller Armeen Instrumente hergestellt: Geigen, aber etwa auch Marschpauken aus einfachsten Mitte.
Den Krieg haben die fragilen Instrumente oft nicht überdauert. Weil sie zerstört wurden – oder im Eifer des Gefechts weggeworfen. Mit welcher Musik Oskar Thiele und seine Kameraden damals Ablenkung sucht, sei so genau nicht überliefert.
"Das müsste man mal nachschauen, was sozusagen 1915 in der Hitparade präsent war. Das einzige was ich weiß, aber das ist nicht unbedingt anzunehmen, dass man das auf so einem Instrument gespielt hat. Also das populärste Lied deutscher Soldaten, das sie auch gesungen haben, ohne dass es befohlen wurde. Das war die Wacht am Rhein ."
"Allerdings würde ich vermuten, dass mit so einem Instrument noch was Leichteres gespielt worden ist."
Wenig bekannt über Oskar Thiele
Auch über den Instrumentenbauer selbst ist wenig bekannt. Oskar Thiele überlebte den Weltkrieg, schenkte die Geige später einem Musiker des Dessauer Landestheaters. Als der 1986 starb, kam die Geige zu dem Mann, der sie nun dem Museum vermacht hat. Hundert Jahre später ein so gut erhaltenes Exemplar vermacht zu bekommen, sei ein großes Glück, sagt Militärhistoriker Bauer.
Möglichst bald soll die Geige als Beispiel für den soldatischen Alltag in die Dauerausstellung am Militärhistorischen Museum aufgenommen werden. Wird sie auch gespielt werden? Es gelte der Grundsatz, das Ausstellungsstück so originalgetreu wie möglich zu präsentieren.
"Wenn die Restauratoren sagen, dass die Saiten, die jetzt drauf sind, sind ohnehin mal in den 1950er oder 70er Jahren draufgekommen, das ist auch egal, ob wir jetzt neue aufziehen oder das Gewinde wieder erneuern, sodass sie dann auch gestimmt werden kann, dann können wir das machen. Ich würde es schon für interessant halten, wen wir dieses Instrument spielbar haben und dann zu einem Anlass, zu einer Ausstellung, in der Musik im Ersten Weltkrieg Thema ist, dann vielleicht einen Geiger animieren, hier mal historische Stücke drauf zu spielen."