Die herbeigesehnte Katastrophe
Viele ahnten, dass ein "Weltenbrand" bevorstand, doch sie wollten es nicht wahrhaben: Die Kriegserklärung kam für sie wie ein Donnerschlag. Dabei kündigte sich der Krieg durchaus an. Guillaume Paoli hat es nachgezeichnet.
„Unsere politische Ansicht hatte nicht ausgereicht, die Notwendigkeit der europäischen Katastrophe zu erkennen“ schreibt Thomas Mann 1914 – und betont, dass sie – diese Katastrophe des Ersten Weltkrieges - dennoch „auf irgend eine Weise ersehnt“ war – aus dem Wissen heraus, „dass es so mit der Welt, mit unserer Welt nicht mehr weitergehe.“ Eine seltsam ambivalente Aussage.
Sie entspricht einer damals – im Vorfeld des Ersten Weltkrieges - weit verbreiteten Stimmung, einer immer drückender werdenden Atmosphäre. Jeder wußte, dass „ein Weltenbrand“ bevorstand, viele fürchteten ihn – und niemand schien wirklich daran glauben zu wollen. Die Unzufriedenheit mit der Gegenwart stand im Vordergrund – und zwar aus so gegensätzlichen Gründen, dass sich daran heute ein grundlegender kultureller Konflikt ablesen läßt. Für die einen war das Leben festgefahren in überkommenen Schablonen. Ausbruch hieß ihre Hoffnung. Und diejenigen, die die Dekadenz der Gegenwart kritisierten, nachdem erstmals die schädlichen Nebenwirkungen des Fortschritts offenbar wurden, wollten diesem Leben ebenfalls mit Feuer und Schwert zu Leibe zu rücken.
„Läuterung durch Feuer“ hieß eine der Heilserwartungen. Was da in der Luft lag, läßt sich aus einer Vielzahl von Texten destillieren. Sie machen deutlich, dass die Kriegserklärung im August 1914 eben nicht als der Donnerschlag kam, als der sie immer beschrieben wird. Das Wetterleuchten voller nervöser Blitze war längst im Gang. Guillaume Paoli hat eine Vielzahl von Zeugnissen dazu zusammengetragen.
Manuskript zur Sendung als PDF und im barrierefreien Textformat
„Nervositäten. Vorahnung und Überdruss: Die Dämmerung zum Ersten Weltkrieg“
Es sprechen: Frank Arnold, Günther Harder, Manuel Harder, Birgit Unterweger, Katrin Schumacher und Cordelia Wege
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Dramaturgische Beratung: Katrin Schumacher
Ton: Martin Eichberg
Redaktion: Barbara Wahlster