Der Schriftsteller Stefan Zweig über...
... den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand
Franz Ferdinand fehlte gerade das, was in Österreich für eine rechte Popularität unermeßlich wichtig war: Persönliche Liebenswürdigkeit, menschlicher Charme und Umgänglichkeit der Formen. Ich hatte ihn oft im Theater beobachtet. Da saß er in seiner Loge, mächtig und breit, mit kalten, starren Augen, ohne einen einzigen freundlichen Blick auf das Publikum zu richten oder die Künstler durch herzlichen Beifall zu ermutigen. Nie sah man ihn lächeln, keine Photographie zeigte ihn in aufgelockerter Haltung. Er hatte keinen Sinn für Musik, keinen Sinn für Humor, und ebenso unfreundlich blickte seine Frau. Um diese beiden stand eine eisige Luft.
... den Wandel in der öffentlichen Meinung
Wien begann bereits den tragischen Vorfall zu vergessen. Nach ungefähr einer Woche begannen plötzlich Plänkeleien in den Zeitungen, deren Crescendo zu gleichzeitig war, um ganz zufällig zu sein. Die serbische Regierung wurde des Einverständnisses beschuldigt, und es wurde mit halben Worten angedeutet, daß Österreich diesen Mord seines – angeblich so geliebten - Thronfolgers nicht ungesühnt lassen dürfe. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich irgendeine Aktion publizistisch vorbereite. Aber niemand dachte an Krieg. Weder Banken noch Geschäftsleute und Privatleute änderten ihre Dispositionen. Was ging es uns an, dieses ewige Geplänkel mit Serbien, das, wie wir alle wußten, im Grunde nur über ein paar Handelsverträge wegen serbischen Schweineexports entstanden war?
(Quelle: Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. S. 249 ff)
Die Schüsse von Sarajevo und die Folgen
Von den Schüssen von Sarajevo bis zur Kriegserklärung: Der Themenabend betrachtet den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Experten im Studio sind Annika Mombauer, William Mulligan und Gregor Mayer. Peter Lange, Chefredakteur von Deutschlandradio Kultur, über die fünf Wochen, die die Weltgeschichte veränderten.
Sven Crefeld: Dieser Themenabend beschäftigt sich mit der unmittelbaren Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs. Was macht diese fünf Wochen vom Attentat in Sarajevo bis zur Kriegserklärung so interessant?
Peter Lange: Ich sehe darin die Chance, bei dieser zeitlich begrenzten Phase in die Tiefe zu gehen und auszuleuchten, was damals passiert ist und wie die Leute, die damals gelebt haben, es wahrgenommen haben. Das Überraschende ist, wenn man so querbeet geht bei den Zeitzeugen, Memoiren und Tagebüchern, dass bis wenige Tage vor Kriegsbeginn niemand geglaubt hat, dass der Krieg wirklich beginnt; dass sich das sehr schnell wandelt und, als der Krieg beginnt, auch ganz viele gleich begeistert mitmachen. Für viele war es eine Art Erweckungserlebnis, das kommt in vielen Quellen klar zum Ausdruck. Zum ersten Mal haben die Deutschen so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl, das sie so seit 1870/71 nie gehabt haben, sie waren vielfach fraktioniert und zerstritten. Es war jetzt das erste Mal, dass wildfremde Leute über alle Stände und Klassen hinweg sich fokussiert in einer Sache einig waren. Das war "das Augusterlebnis". Man findet es im Nachhinein in vielen Erinnerungsbänden als das Beherrschende, was sie damals bewegt hat. Es gibt zum Beispiel die Memoiren von Carl Zuckmayer "Als wär's ein Stück von mir". Der hat noch im Urlaub, im Juli, als 17-Jähriger Antikriegsgedichte verfasst, und beobachtet an sich selbst, wie er dann in Mainz von dieser Stimmung mitgerissen wird und ihm plötzlich völlig klar ist: Er macht gerne mit, das ist gar keine Frage. Eine Art von Massenpsychose, was auch immer. Es kippt genau in diesen Tagen.
Sven Crefeld: Welche zeitgenössischen Dokumente sind in der Sendung zu hören?
Peter Lange: Mit Tonaufnahmen ist es schwierig, denn das Radio war ja noch nicht erfunden. Das Tonband auch nicht, es gab nur diese Sprechautomaten, die Trichtermaschinen. Es gibt ganz wenige fast unschöne Dinge, die später nachgestellt worden sind. Es gibt nur wenige archivierte Zeitzeugen-Stimmen, die in früheren Jubiläumssendungen versteckt sind. Man muss dazu wissen, dass der Zeitzeuge in der alten Tradition von Wissenschaft nichts galt; man hat nur die Politikerstimmen gebraucht und haben wollen. Ordinary people waren damals nicht gefragt, deshalb sind sie auch kaum archiviert. Wir haben sehr viele Memoirenbände durchgeschaut von Prominenten, die sich erinnert haben, auch Tagebücher, und sind da auf einige Sachen gestoßen, die ganz interessant sind und auch diese generelle These, von der ich gerade sprach, bestätigen. Man hat den Mord an dem österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Deutschland eher beiläufig zur Kenntnis genommen: "Ach ja, da wird es jetzt vielleicht eine Militäraktion gegen Serbien geben, mehr sicherlich nicht." Das entgleitet dann im Laufe des Juli, die Diplomatie geht auf Hochtouren, aber sie kriegen es von diesem Gleis nicht mehr herunter. Zur politischen Geschichte gehört eben auch, dass in Deutschland die Militärs festgelegt haben, wie die Dinge zu laufen haben, und dass sie den Zeitkorridor bestimmt haben - das, was zu passieren hat. Sie hatten schon seit langem darüber nachgedacht, wie man aus einer von ihnen so gesehenen Einkreisung von Osten und von Westen wieder herauskommt, und aus diesen Zwängen haben sich die Politiker auch nicht mehr lösen können.
Der Juli 1914 - Diplomatie, Militär und der Weg in den Krieg
Sven Crefeld: Drei Gesprächspartner werden in der Sendung befragt. Wer sind Ihre Gäste?
Peter Lange: Gregor Mayer ist ein Journalist mit Sitz in Belgrad, der hauptsächlich für österreichische Medien arbeitet. Er hat ein Buch über den Attentäter Gavrilo Princip verfasst. Mayer rekonstruiert mit dessen persönlicher Geschichte die ganze Vorgeschichte auf dem Balkan und macht begreiflich, wie es dazu gekommen ist. Dann haben wir Annika Mombauer, eine jüngere und sehr profilierte Historikerin, die in Bristol arbeitet. Und drittens William Mulligan, der ein Buch über die Vorgeschichte des Krieges vor allem in Deutschland geschrieben hat. Mit diesen Gästen wollen wir bestimmte Facetten abdecken: den Balkan, Großbritannien, Deutschland, Frankreich. Wir wollen nachvollziehbar machen, was damals passiert ist - mit den Mitteln, die wir haben, und losgelöst von der Historikerdebatte, wer schuld am Ausbruch des Krieges war. Heute ist allgemein klar, es geht nicht um Schuld im eigentlichen Sinne, sondern um die Verantwortung der beteiligten Regierungen. Und da scheint nach wie vor Konsens zu bestehen, dass Deutschland und Österreich in besonderer Weise verantwortlich waren. Das ist jetzt so oft erörtert worden, dass es in unserem Themenabend nicht im Vordergrund stehen soll. Außerdem haben wir noch vier Jahre bis 2018, da werden wir uns noch öfter mit dem Ersten Weltkrieg befassen.
Sven Crefeld: Auslandskorrespondenten von Deutschlandradio Kultur beschreiben in der Sendung die heutige Sicht auf den Ersten Weltkrieg in anderen europäischen Ländern. Welche sind das?
Peter Lange: Es geht um die Hauptbeteiligten, wir bekommen Beiträge aus Frankreich, England, Russland, Österreich und Serbien. Wir haben – was selten vorkommt – auch die Türkei hinzugenommen, weil mit dem Ersten Weltkrieg der Zerfall des Osmanischen Reiches verbunden ist. Die Türken haben in der Ecke mit Griechenland und Bulgarien auch ihre Rolle gespielt. Sie haben den Briten, Neuseeländern und Australiern eine schwere Niederlage zugefügt, woran die sich nun wiederum in diesem Jahr erinnern. Es war eben ein Welt-Krieg im wortwörtlichen Sinne. Uns geht es darum, blitzlichthaft kurz aufscheinen zu lassen, wie der Kriegsbeginn heute in diesen damals beteiligten Ländern gesehen wird.
Das "Augusterlebnis" - die Stimmung in der Bevölkerung und die Rolle der Intellektuellen
Sven Crefeld: Haben alle Beteiligten gar nicht kommen sehen, dass dieser Krieg Millionen von Toten bringen würde?
Peter Lange: Es hat Leute gegeben, die vor 1914 vor so etwas gewarnt haben. Die wurden nicht sonderlich ernst genommen. Natürlich sagt man heute: Hätten die Verantwortlichen gewusst, was sie auslösen, dann hätten sie es nicht getan. Aber ich finde, das gehört zu den Kernelementen von Kriegen schlechthin dazu: das Moment der Entgrenzung. Man hat ständig die Kriegsführung modernisiert in der Absicht, den Krieg zu verkürzen, und hat ihn de facto dadurch verlängert. Man sieht in den vier Jahren des Weltkriegs eine Industrialisierung und Rationalisierung der Kriegsführung. Sogar die Demografie fand einen Einfluss in die Planungen: Man hat ausgerechnet, wann der Gegner seinen letzten Jahrgang an jungen Leuten verheizt, und danach ist er natürlich geschwächt. Es gab erstmals eine Kriegsopferversorgung. Die wirtschaftlichen Folgen waren immens, die alte Ordnung Europas wurde zerstört. Natürlich würde jeder, den man heute fragen würde, sagen: Hätten wir das gewusst, hätten wir's nicht gemacht. Aber wir wissen ungefähr seit dem Krieg in Troja, wie das mit der Entgrenzung von Kriegen ist.
Sven Crefeld: Geht es im "Themenabend" auch um die oft unrühmliche Rolle der Intellektuellen und Künstler?
Peter Lange: Ja. Es gab in Wien ein Kriegspressequartier, in dem alle Schriftsteller von Rang und Namen beteiligt waren – darunter auch Leute, von denen man es nicht vermutet. Stefan Zweig zum Beispiel oder Franz Werfel. Sie haben sich dorthin gemeldet, weil sie nicht an die Front wollten, oder für die auch gar nicht tauglich waren. Manche waren aus Überzeugung dabei. In diesem Kriegspressequartier wurde Propaganda gemacht mit allen damals verfügbaren Medien: Zeitungsartikel, Fotos, Filme, Plakate. Die Intellektuellen haben eine spezielle Rolle gespielt. Teils aus Überzeugung, teils, weil sie dachten: naja, irgendwie mitmachen. Es gab auch diejenigen, die tagsüber solche Artikel geschrieben haben und zu Hause arbeiteten sie heimlich an einem Antikriegsroman. Diese Widersprüche sind auch vorhanden, das ist ein breites Feld. Die Spreu trennt sich vom Weizen ungefähr ab 1915, als die ersten merken: So heroisch ist das alles nicht, es dauert viel länger, es ist kein Feldzug alter Art, der in zwei Monaten zu Ende ist, und es ist ein einziges Gemetzel.
Gesprächsgäste beim Themenabend am 28. Juni:
Annika Mombauer, Historikerin
"Die Verantwortung (...) ist vorrangig in Wien und Berlin zu finden." Das ist die klare Meinung der Historikerin Annika Mombauer zur Frage des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges. Sie ist Senior Lecturer an der Geschichtsfakultät der Open University in Milton Keynes in Großbritannien und Mitherausgeberin von "1914-1918 Online", einer internationalen Online-Enzyklopädie zum Ersten Weltkrieg. Mit der Frage der Entstehung des Krieges hat sie sich intensiv auseinandergesetzt, zuletzt in Ihrem Buch "Die Julikrise. Europas Weg in den Esten Weltkrieg" (C. H. Beck).
"Die Verantwortung (...) ist vorrangig in Wien und Berlin zu finden." Das ist die klare Meinung der Historikerin Annika Mombauer zur Frage des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges. Sie ist Senior Lecturer an der Geschichtsfakultät der Open University in Milton Keynes in Großbritannien und Mitherausgeberin von "1914-1918 Online", einer internationalen Online-Enzyklopädie zum Ersten Weltkrieg. Mit der Frage der Entstehung des Krieges hat sie sich intensiv auseinandergesetzt, zuletzt in Ihrem Buch "Die Julikrise. Europas Weg in den Esten Weltkrieg" (C. H. Beck).
William Mulligan, Historiker
Kriege, die nie ausbrachen - das ist zurzeit das Thema des Historikers William Mulligan. Er untersucht als Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin die vielen diplomatischen Krisen der europäischen Großmächtepolitik vor 1914 und warum hier ein ums andere Mal die gewalttätige Auseinandersetzung abgewendet werden konnte. William Mulligan hat in seinem Buch "The orgins oft he first world war" aber auch schon den Ausbruch des Ersten Weltkrieges selbst analysiert. Mulligan lehrt am University College Dublin.
Kriege, die nie ausbrachen - das ist zurzeit das Thema des Historikers William Mulligan. Er untersucht als Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin die vielen diplomatischen Krisen der europäischen Großmächtepolitik vor 1914 und warum hier ein ums andere Mal die gewalttätige Auseinandersetzung abgewendet werden konnte. William Mulligan hat in seinem Buch "The orgins oft he first world war" aber auch schon den Ausbruch des Ersten Weltkrieges selbst analysiert. Mulligan lehrt am University College Dublin.
Gregor Mayer, Buchautor und Journalist
Was wollte Gavrilo Princip, der Attentäter von Sarajevo? Dieser Frage geht der Journalist Gregor Mayer in seinem Buch "Verschwörung in Sarajevo. Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip" nach. Dabei untersucht er auch, wie die Tat von Princip bis heute auf unterschiedlichsten Wegen instrumentalisiert werden konnte. Gregor Mayer lebt in Belgrad und Budapest. Er berichtet für die Deutsche Presseagentur, "Profil" und "Der Standard" seit über 20 Jahren aus den Ländern Mittel- und Südosteuropas. In zahlreichen Reportagen beschrieb er die Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo. Seit 2005 ist er dpa-Sonderkorrespondent u.a. für den Nahen Osten.
Was wollte Gavrilo Princip, der Attentäter von Sarajevo? Dieser Frage geht der Journalist Gregor Mayer in seinem Buch "Verschwörung in Sarajevo. Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip" nach. Dabei untersucht er auch, wie die Tat von Princip bis heute auf unterschiedlichsten Wegen instrumentalisiert werden konnte. Gregor Mayer lebt in Belgrad und Budapest. Er berichtet für die Deutsche Presseagentur, "Profil" und "Der Standard" seit über 20 Jahren aus den Ländern Mittel- und Südosteuropas. In zahlreichen Reportagen beschrieb er die Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo. Seit 2005 ist er dpa-Sonderkorrespondent u.a. für den Nahen Osten.