Erster Weltkrieg

"In Westeuropa werden diese Stimmen überhört"

Alida Bremer im Gespräch mit Katrin Heise |
Alida Bremer ist Mitherausgeberin von "Beton International", einer Sonderausgabe eines serbischen Kulturmagazins. In ihr beschäftigen sich zahlreiche Autoren aus Südosteuropa mit dem Jahr 1914 und was es ihnen bedeutet - oder auch nicht.
Katrin Heise: Beton – das Wort assoziiert ja fest gegossenes, schwer zu durchdringendes Material. „Beton International“ – so heißt eine Zeitung für Literatur und Gesellschaft, die in ihrer morgen erscheinenden ersten Ausgabe Autoren und Autorinnen aus Südosteuropa versammelt und ihre Sicht auf das Jahr 1914, den Kriegsausbruch und die Bedeutung bis heute eigentlich. „Beton International“ ist hervorgegangen aus einem serbischen Kulturmagazin, das sich „Beton“ nannte, auch in Anspielung an die Erzählung von Thomas Bernhard übrigens. Alida Bremer ist Literaturwissenschaftlerin und Mitherausgeberin. Ich begrüße Sie ganz herzlich. Schönen guten Tag!
Alida Bremer: Guten Tag.
Heise: Mit „Beton International“ zeigen Sie gerade die Grenzüberschreitungen, also das nicht fest gegossene der Autoren Südosteuropas. Welche Länder sind da eigentlich vertreten?
Bremer: Vertreten sind alle Länder, die aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangen sind, also jetzt von Westen beginnend Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, wo auch die Stadt Sarajewo, in der das Attentat stattgefunden hat, liegt, dann Serbien, Montenegro, Kosovo, Mazedonien. Und dazu haben wir, der Mitredakteur, der serbische Kollege Sascha Ilic und ich, haben noch Autoren aus Ungarn und Österreich eingeladen und wir haben noch einen Autor, der unter Pseudonym schreibt und aus einem deutschsprachigen Land kommt.
Heise: Ein wirklich breites Spektrum. – Sie haben den Eindruck – und das äußern Sie auch in Ihren einleitenden Worten -, dass in Westeuropa diese Stimmen aus diesen Ländern entweder überhört werden, oder in ein Muster gepresst werden. Inwiefern?
"Bestimmte politische Erwartungen"
Bremer: Genau. Da bin ich eigentlich als eine der Vermittlerinnen und Übersetzerinnen aus dem Kroatischen, Bosnischen und Serbischen auch ziemlich überzeugt. Es gibt bestimmte Erwartungen an Autoren und nach diesem Erwartungsmuster werden sie ausgewählt – Erwartungen, dass sie über Probleme auf dem Balkan berichten, oder dass sie sich klar antinationalistisch oder wie auch immer positionieren. Aber es sind bestimmte politische Erwartungen, seltener dann ästhetische und seltener politische, die über Balkan-Themen hinausgehen.
Heise: Über die aktuellen Balkan-Themen hinausgehen?
Bremer: Genau. Diese Autoren dürfen durchaus meinetwegen sich Gedanken über die Lage in der Ukraine machen, aber danach fragt sie kaum einer, obwohl sie sich diese Gedanken sicher machen. Neulich hat einer unserer Autoren aus der Zeitung, Andrej Nikolaidis, der montenegrinische Autor, zum Beispiel im „The Guardian“ in Großbritannien einen Vergleich zwischen Bosnien und der Ukraine gemacht. Das heißt, es ist auch möglich, sie danach zu fragen, aber das wird selten gemacht.
Heise: Sie haben sie jetzt eingeladen und gefragt nach dem Thema „1914 - Hundert Jahre danach“, so heißt das Heft auch. Sie schreiben: "Ein hoch umstrittenes, hoch symbolisches und hoch aktuelles Thema" auch gerade in diesen von Ihnen genannten Ländern. Warum hoch aktuell?
Bremer: Hoch aktuell ist wegen der Unruhen in Bosnien und Herzegowina, die in den letzten Wochen eigentlich stattgefunden haben. Die wurden überdeckt natürlich in der Medienberichterstattung wegen der Ereignisse in der Ukraine logischerweise. Aber in Bosnien und Herzegowina hat sich viel bewegt in den letzten Wochen oder im letzten Monat und wir wissen, dass ja bei dem letzten Krieg in Bosnien und Herzegowina ähnliche problematische Konstellationen im Spiel waren wie damals beim Attentat von Sarajewo, und die sind wieder auf bestimmte Art hochgekommen, wobei diesmal die Hoffnung, dass die Prozesse vernünftiger, weiser geworden sind, daraus geschöpft werden kann, dass es diesmal um klare soziale Unruhen geht und nicht nationale.
Heise: Aber welche Parallelen sehen Sie? Die nationalen?
Erinnerung außerhalb der staatlichen Erinnerung
Bremer: Ja, die Parallelen sind national und Parallele sind auch in der Mächtekonstellation. Das Dayton-Abkommen ist nicht nur aus dem Volk hervorgegangen, sondern es ist ein Friedensabkommen, das die Großmächte ausgehandelt haben und von dem sie auch schlecht weg lassen, weg lassen können. Aber dieses Friedensabkommen ist zugleich eine große Bremse für diese sozialen Probleme wiederum.
Heise: Wenn Sie sagen, dass die Stimmen aus Südosteuropa auch gerade zu diesem Thema hier im Westen nicht gehört werden, heißt das aber, dass die Debatte darum oder das sich erinnern, dieses Gedenkjahr 1914 dort genauso debattiert wird?
Bremer: Es wird debattiert. In fast allen Ländern gibt es auch, dann aber mit ganz anderen Prämissen, Kommissionen, die sich mit dem Thema, mit dem Gedenkjahr beschäftigen, und dann eben unabhängige Intellektuelle außerhalb der staatlichen Erinnerung, die sich auch mit dem Thema beschäftigen. Das wollten wir auch mit unserer Nummer zeigen. Es ist eigentlich für uns eine Selbstverständlichkeit zu fragen - das Attentat hat sich ja in Sarajewo ereignet -, was denkt man zunächst mal in Sarajewo darüber, und dann, was denken die Nachbarländer, die natürlich auf bestimmte Art und Weise die Folgen von diesem Attentat und vom Beginn des Krieges ja bis heute spüren.
Heise: „1914 – Hundert Jahre danach“, ausgeleuchtet von Autoren aus Südosteuropa. Alida Bremer hat die unterschiedlichsten Stimmen zusammengestellt. - Frau Bremer, welche Prämissen werden denn gesetzt? Sie haben eben von Kommissionen gesprochen, die andere Prämissen setzen.
Bremer: Unsere Idee war bei dieser Zeitung – und diejenigen, die morgen die Zeitung in den Händen halten werden; sie wird der „taz“ beiliegen: Einerseits haben wir eine Ästhetik benutzt, dankbarerweise, die eine Underground-Gruppe aus Belgrad für uns gemacht hat, sowohl unser Logo wie auch Illustrationen. Das ist eine Underground-Comic-Kultur gewesen und daraus kommt diese Gruppe, die unsere Zeitung gestaltet hat. Uns geht es darum, dass wir eine ästhetische und politisch-kritische Antwort geben, so dass wir eine Pluralität sowohl der Gattungen wie auch Stile wie auch Themen in der Zeitung haben. Die Autoren waren sehr frei darüber, wie sie auf die Frage von uns, von Sascha Ilic und von mir antworteten: Was bedeutet für Dich heute das Attentat von Sarajewo? Das war unsere Fragestellung. Die waren völlig frei, wie sie damit umgehen.
Heise: Was bedeutet denn zum Beispiel genau eine Antwort aus Sarajewo?
Bremer: Aus Sarajewo gab es mehrere Antworten. Wir haben mehrere Autoren gefragt. Zum Beispiel ein Autor, Faruk Sehic, antwortet in einer relativ wütenden Geste, dass ihn dieses Thema gar nicht interessiert, denn er war im Krieg involviert, er war ein Soldat im letzten Krieg und für ihn ist sein Krieg das einzige Jahr 1914, wie er schreibt. Das ist für ihn dieses Jahr und er beschreibt dann die Konstellationen, die im letzten Krieg am wirken waren, und vergleicht sie mit jenen damals 1914. – Eine Autorin aus Sarajewo beschreibt wiederum, wie die Familienerinnerung an dieses Attentat aussah. Es gab eine staatlich verordnete Erinnerung, nach der die Attentäter Helden waren. Das war die jugoslawische offizielle Erinnerung, dass die Attentäter Helden sind. Und es gab eine familiäre Erinnerung. In Familien wurde dann verschieden geflüstert: war er ein Held oder ein Terrorist.
Heise: Wenn Sie die ganzen Antworten, die Sie erhalten haben, überblicken, was hat Sie besonders überrascht oder aber auch besonders überzeugt?
Ein verheerender Rückblick
Bremer: Besonders überzeugt haben mich Analysen von Yvar Nassaiko. Sie hat eine Analyse geschrieben im Hinblick auf die heutige Situation, 100 Jahre Entwicklung in Europa an bestimmten politischen und national-politischen Themen, die eine ziemlich nüchterne Bilanz dann auch ergibt, dass die Sache nach dem Zerfall der multiethnischen, multinationalen, österreich-ungarischen Monarchie nicht unbedingt immer besser, sondern in diesen Fragen immer schlechter wurde. Dann der Text von Sascha Ilic. Der hat beschrieben, wie die serbischen Sozialdemokraten unter der Führung von Dimitrije Tutsovic, einem sozialdemokratischen Denker, alles versucht haben, um den Krieg zu verhindern, aber von niemandem gehört wurden, weder in Serbien, noch in der internationalen Sozialdemokratie. Das finde ich sehr interessant, weil wenn heute die westeuropäischen Historiker und viele andere Historiker darüber sprechen, dann streiten sie darüber, wie groß die serbische Schuld dabei war – beim Attentat war sie eindeutig, aber wie insgesamt der Wille zum Krieg in Serbien groß war -, und kommen zum Schluss, auch dass der ziemlich groß war, und niemand erwähnt die Tatsache, dass es eine wichtige sozialdemokratische Opposition gegeben hat, die aber von niemandem gehört wurde.
Heise: Sie haben Anfangs den Autor aus Sarajewo erwähnt, der sagt, 1914, das ist überhaupt nicht mein Thema, oder der es aus heutiger Sicht ganz anders betrachtet, der die heutigen, die modernen als seinen Krieg betrachtet. Als Sie insgesamt anfragten, brannte das Thema 1914 dennoch auf den Nägeln, oder ist es tatsächlich so, dass man eigentlich sagt, auf heute wollen wir das so nicht übertragen?
Bremer: Viele sagen, wir wollen es nicht direkt übertragen. Das war nicht nur bei diesem Autor, sondern bei mehreren. Und viele sagen ziemlich resigniert, mein Gott, dieser Rückblick 100 Jahre zurück sieht ziemlich verheerend aus eigentlich, weil es kommt zur „ewigen Wiederholung des gleichen“, aber bestimmte Dinge wiederholen sich, bestimmte Machtkonstellationen, Machtverhältnisse, bestimmte Antworten auf Fragen, und das wirkt ziemlich ernüchternd. Wir glauben alle, dass es Fortschritt gibt, und dann sehen wir ständig, dass es keine Fortschritte gibt, sondern immer wieder Rückschritte, und das haben diese Autoren in der Region Südosteuropa sehr stark gespürt, an eigener Haut sozusagen, und zu dieser Erkenntnis kommen einige. Andere wiederum bestehen darauf – und das sind sehr gute serbische Autoren, Svetislav Basara, einer der wichtigsten zeitgenössischen Autoren, hat seinen ganzen Text in unserer Zeitung dem Autor Sevien und seiner „Reise am Ende der Nacht“ gewidmet und gesagt, das was in Westeuropa im Ersten Weltkrieg passierte, war nicht unbedingt besser als das, was bei uns passierte. Einige wollen diese Exklusivität des Balkans auf jeden Fall abstreiten, und da finde ich, die haben auch recht natürlich dabei.
Heise: Alida Bremer, sie ist Mitherausgeberin der Ausgabe „Beton International“ zum Ersten Weltkrieg und sie ist Projektleiterin von „Traduki“. Das ist ein Übersetzungsnetzwerk für Literatur aus dem ehemaligen Jugoslawien, Rumänien und Bulgarien. Danke schön, Frau Bremer!
Bremer: Danke Ihnen auch.
Heise: Morgen liegt „Beton International“ der „taz“ bei und die Ausgabe spielt mehrfach auf der Leipziger Buchmesse eine Rolle.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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