Yury und Sonya Winterberg: Kleine Hände im Großen Krieg. Kinderschicksale im Ersten Weltkrieg
Aufbau Verlag Berlin, März 2014
368 Seiten, 22,99 Euro, als E-Book 17,99 Euro
Mit ihren jungen Augen
Das Buch "Kleine Hände im Großen Krieg" von Yury und Sonya Winterberg versammelt Tagebuchaufzeichnungen, in denen Kinder und Jugendlichen von ihren Gefühlen und Erlebnissen während des Ersten Weltkriegs erzählen. Eine eindringliche Annäherung an das Thema.
Kinder und Krieg – das kann wohl nie eine leicht verdauliche Lektüre sein. Und doch gelingt es dem Autorenpaar Sonya und Yury Winterberg, Schicksale so zu schildern, dass man ihr Buch kaum noch aus der Hand legen mag.
Ein Grund dafür ist seine Vielfalt: Es geht um völlig unterschiedliche Erlebnisse zahlreicher Kinder und Jugendlicher ab 1914. Vom Flüchtlingskind bis hin zu Kindersoldaten, vom Zarensohn bis hin zur Bauerntochter. Darunter auch spätere Prominente wie Anais Nin oder Marlene Dietrich.
100 Jahre nach seinem Ausbruch ist der Erste Weltkrieg zwar in einer wahren Bücherflut gründlich analysiert, aufgearbeitet und neu interpretiert worden. Die Winterbergs bieten nun aber noch mal eine ganz eigene Perspektive.
Ein Grund dafür ist seine Vielfalt: Es geht um völlig unterschiedliche Erlebnisse zahlreicher Kinder und Jugendlicher ab 1914. Vom Flüchtlingskind bis hin zu Kindersoldaten, vom Zarensohn bis hin zur Bauerntochter. Darunter auch spätere Prominente wie Anais Nin oder Marlene Dietrich.
100 Jahre nach seinem Ausbruch ist der Erste Weltkrieg zwar in einer wahren Bücherflut gründlich analysiert, aufgearbeitet und neu interpretiert worden. Die Winterbergs bieten nun aber noch mal eine ganz eigene Perspektive.
Unvorbereitet ins Grauen
Sie ordnen Einzelschicksale in den gesellschaftlichen Kontext ein. Etwa bei den Heranwachsenden, die freiwillig in den Krieg zogen – weil sie sich der Kriegspropaganda in Presse und Schulen, der euphorischen Stimmung in der Gesellschaft nicht entziehen konnten.
Wie der vierzehnjährige Brite Victor Silvester, der sich heimlich zur Rekrutierungsstelle schleicht und für 18 Jahre alt ausgibt. Nach einer knappen Grundausbildung wird er, der später als Komponist bekannt wird, nach Frankreich an die Front geschickt, völlig unvorbereitet auf das Grauen, das er dort erleben wird.
"Kaum angekommen, seine Einheit bezieht Stellung, explodiert eine Granate über ihm. Sie erwischt den Zugführer."
'Er war der erste Mensch, den ich sterben sah. Beide Beine waren weggeschossen, sein ganzes Gesicht und sein Körper von Splittern durchsiebt.
Der Anblick drehte mir den Magen um. Mir war übel, und ich hatte schreckliche Angst, aber noch mehr Angst hatte ich, dass man mir das anmerkte.' "
Wie der vierzehnjährige Brite Victor Silvester, der sich heimlich zur Rekrutierungsstelle schleicht und für 18 Jahre alt ausgibt. Nach einer knappen Grundausbildung wird er, der später als Komponist bekannt wird, nach Frankreich an die Front geschickt, völlig unvorbereitet auf das Grauen, das er dort erleben wird.
"Kaum angekommen, seine Einheit bezieht Stellung, explodiert eine Granate über ihm. Sie erwischt den Zugführer."
'Er war der erste Mensch, den ich sterben sah. Beide Beine waren weggeschossen, sein ganzes Gesicht und sein Körper von Splittern durchsiebt.
Der Anblick drehte mir den Magen um. Mir war übel, und ich hatte schreckliche Angst, aber noch mehr Angst hatte ich, dass man mir das anmerkte.' "
Fehlende Autoritäten
Auch die Daheimgebliebenen werden mit den Folgen des Krieges konfrontiert – selbst dann, wenn sich unter Verwandten und Bekannten noch keine Opfer finden. Pädagogen werden einberufen und der Unterricht an den Schulen fällt aus.
"Die verbliebenen Lehrer werden mehr und mehr durch Kriegsveteranen ergänzt, denen Gliedmaßen fehlen oder die blind sind, sowie durch Senioren und weibliche Lehrkräfte.
Ihnen allen ist gemeinsam, dass es ihnen kaum gelingt, sich als Autoritäten gegenüber den Kindern zu behaupten. So bleiben die Jungen zunehmend sich selbst überlassen."
"Die verbliebenen Lehrer werden mehr und mehr durch Kriegsveteranen ergänzt, denen Gliedmaßen fehlen oder die blind sind, sowie durch Senioren und weibliche Lehrkräfte.
Ihnen allen ist gemeinsam, dass es ihnen kaum gelingt, sich als Autoritäten gegenüber den Kindern zu behaupten. So bleiben die Jungen zunehmend sich selbst überlassen."
Die anfängliche Begeisterung weicht mehr und mehr Angst und Schrecken. Die Kinder seien nicht nur älter geworden, schreiben die Autoren, sondern auch erfahrener, misstrauischer – und verlorener.
"Der Krieg dringt in alle Winkel der Seele. Er zerstört nicht nur Städte und blühendes Land; er zerstört nicht nur das Leben und die Gesundheit unzähliger junger Soldaten. Er zerstört ebenso Familien, Beziehungen, Intimität.
Und er verändert die Moralvorstellungen. Wer morgen schon tot sein kann, möchte wenigstens nicht ungeküsst sterben."
Und er verändert die Moralvorstellungen. Wer morgen schon tot sein kann, möchte wenigstens nicht ungeküsst sterben."
Schwierige Quellenlage
Sonya und Yury Winterberg haben zwei Dutzend Tagebücher aus den Kriegsjahren ausgewertet, Aufzeichnungen von Kindern und Jugendlichen, die prinzipiell ein großes Geschenk sind: Nie zuvor in der Geschichte waren derart viele Kinder aus allen Schichten des Lesens und Schreibens mächtig, nie zuvor konnten sie ihre Erlebnisse und Gefühle für die Nachwelt sichern.
Die Autoren sind sich allerdings darüber im Klaren, dass viele Quellen nur mit Vorsicht zu verwenden sind. Die Tagebücher seien oftmals in späteren Jahren abgeschrieben, Lücken oder vermeintliche Fehler dabei stillschweigend ergänzt oder verbessert worden.
So wie in den Erinnerungen der Schriftstellerin Elfriede Kuhr, die erstmals 1982 publiziert wurden. Vermeintlich schrieb sie am 24. Mai 1915 über einen Kampfeinsatz mit Gelbgas. Tatsächlich wurde Gelbkreuz, ein hautschädigendes Senfgas, erst rund zwei Jahre später eingesetzt.
Eine wissenschaftliche Abhandlung ist das Buch nicht und will es auch nicht sein. Dafür aber eins, dass sich dem Thema sehr eindringlich nähert.
Die Autoren sind sich allerdings darüber im Klaren, dass viele Quellen nur mit Vorsicht zu verwenden sind. Die Tagebücher seien oftmals in späteren Jahren abgeschrieben, Lücken oder vermeintliche Fehler dabei stillschweigend ergänzt oder verbessert worden.
So wie in den Erinnerungen der Schriftstellerin Elfriede Kuhr, die erstmals 1982 publiziert wurden. Vermeintlich schrieb sie am 24. Mai 1915 über einen Kampfeinsatz mit Gelbgas. Tatsächlich wurde Gelbkreuz, ein hautschädigendes Senfgas, erst rund zwei Jahre später eingesetzt.
Eine wissenschaftliche Abhandlung ist das Buch nicht und will es auch nicht sein. Dafür aber eins, dass sich dem Thema sehr eindringlich nähert.