Hans Herbert Grimm: Schlump. Geschichten und Abenteuer aus dem Leben des unbekannten Musketiers Emil Schulz, genannt "Schlump" von ihm selbst erzählt
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014
352 Seiten, 19,99 Euro
Schabernack gegen die Obrigkeit
1928 hat Hans Herbert Grimm einen Roman über den Ersten Weltkrieg geschrieben. Er blieb vergessen, bis der Literaturkritiker Volker Weidermann ihn wiederentdeckte, acht Jahrzehnte später: ein moderner Schelmenroman.
In diesem Roman von der gar nicht lustigen Westfront des Ersten Weltkriegs wird viel und gern schallend gelacht. Beim Lesen auch, dann allerdings manchmal erschrocken, aber meistens einfach erleichtert: Wunderbar, ein deutscher Schriftsteller, der Grauen mit Komik konterkariert. Für seinen "Schlump" von 1928 gilt, was Tucholsky an Arnold Zweigs ein Jahr zuvor erschienenem Roman "Der Streit um den Sergeanten Grischa" bejubelt hatte: Er enthält nicht "einen Esslöffel voll 'Deutschland, Deutschland über alles'".
Stattdessen nimmt er ganz ungeniert die europäische Schelmentradition in Dienst. In einer Sprache ohne Scheu vor den "niederen" Realitäten, ohne Drang zum hohen Ton. Modern, oft in kurzen atemlosen Sätzen, ab und zu märchenhaft, zart, auch lautmalend.
Dieser "Schlump" ist eine gewagte und gelungene Mischung aus Simplicissimus'scher Drastik, schwejkscher Schlawinerschläue und Gil-Blas'scher Sozialsatire, verlegt in eine Landschaft aus Kriegs(un)wesen und Heimatszenerie. Emil Schulz heißt er, aber seit ihn ein Schutzmann bei einem Kinderstreich erwischt und: "Du Schlump!" gebrüllt hatte, nennen ihn alle so. "Vielleicht dachte er an Lumpen und Spitzbuben und an andere Kerle, die mit Sch anfangen." Mit siebzehn zieht Schlump in den Krieg, gegen den Willen der Eltern und trotz seiner Flamme Johanna.
Geld, Zigaretten und Schnaps
In Frankreich macht er erst mal Karriere. Er ist Rekrut, hat aber das "Einjährige", den Realschulabschluss, müsste also doch genug Französisch können, um drei Dörfer zu verwalten. In der Tat versteht er seine neuen "Untertanen" besser als seine Holsteinisch sprechenden Vorgänger. Nicht weil Kompanie damals noch mit g geschrieben wird und der Tross noch der frankophone Train ist. Schlump hat keine Ader für Chauvinismus, treibt seit je Schabernack gegen alles Obrigkeitliche und pflegt den Überlebenspragmatismus der Landstörzerin Courage. Geld, Zigaretten und Schnaps sind wichtig. Ach ja, und Mädchen natürlich. Der heimatlichen wie der heiligen Johanna zum Trotz.
Doch plötzlich ist Schluss mit der Etappe bei den "Franzeks". Er muss an die Front, zu den "Tommies", es wird blutig und dreckig. Die Schützengraben- und Lazarett-Szenen sind von der angelsächsisch-makabren Groteske, die wir Heutigen an "Black Adder" lieben. Bittere Galle gegen das Heldengetöse in einem Land, dem Zweig, Renn, Remarque als "Gesinnungslumpen" galten. Hans Herbert Grimm, der Autor des "Schlump", verschwieg seinen Namen. Sein Buch verbrannte trotzdem 1933 auf den Scheiterhaufen "wider den undeutschen Geist".
So wie die von Hašek und den paar anderen Deutschen, die endlich, ein Jahrzehnt später, explizit gegen den Krieg schrieben. Grimm selbst hat zwar die Nazizeit überlebt, aber nicht den Argwohn der neuen Herren seiner thüringischen Heimat. 1950 brachte er sich um. Sein Roman blieb vergessen, bis Volker Weidermann ihn wiederentdeckte, acht Jahrzehnte später. Wer weiß, was hätte werden können aus der zweiten deutschen Nachkriegsliteratur, wenn ihn nach 1945 jemand vermisst und gesucht hätte. Die Gruppe 47, zum Beispiel.