Erstes Festival für "Neuen Heimatfilm"

Kritischer Blick auf die Provinz

Filmszene aus Joseph Vilsmaiers „Herbstmilch“: Anna (DANA VAVROVA, l.) leidet sehr unter der eifersüchtigen Schwiegermutter (RENATE GROSSER).
Filmszene aus Joseph Vilsmaiers „Herbstmilch“: Anna (Dana Vavrova, l.) leidet sehr unter der eifersüchtigen Schwiegermutter (Renate Grosser). © imago/United Archives
Von Tobias Krone |
Heimatfilm – das bedeutet nicht zwingend Heile-Welt-Kitsch vor Alpenkulisse. Im "Neuen Heimatfilm" geht es auch schon mal um Inzest, Mord und Crystal Meth. Kulturschaffende in Bayern haben jetzt ein Festival gegründet, das sich diesem Genre widmet.
"Das Problem ist, man streitet mit dem Nachbarn über die Hängebirke, aber will Europäer sein", sagt die Kabarettistin Lisa Fitz. Das politische Dilemma der Heimat liegt ihrer Meinung nach im Alltag der Menschen begründet. Deshalb rezitiert die Kabarettistin hier gleich mal aus ihrem Programm:
"Wir sind keine Europäer, oder Weltbürger – also bitte! – wir sind Kleinbürger, besonders ab einem gewissen Alter. Schrebergärtner, Spießige, Schwaben, Sachsen, Bayern, Hessen, Kleingartler, Beamtenseelen – mit einem sehr regionalen Humor, der schon zwischen Sachsen und Niedersachsen nicht mehr funktioniert."

"Heimat" nicht den Rechten überlassen

Termin im Münchner Presseclub. Lisa Fitz und Freunde aus dem Kulturleben stellen die Biennale Bavaria International vor, ein Festival für den Neuen Heimatfilm, das 2019 an den Start geht. Um die Heimat, seit Jahrzehnten ein Kampfbegriff der Rechten, bemüht sich derzeit so gut wie jeder. Die bayerischen Grünen etwa, oder jüngst SPD-Mann Sigmar Gabriel in einem Spiegel-Interview. Für Lisa Fitz hat das durchaus seine Berechtigung:
"Wie behält man die eigene Identität? Wie viele Leute dürfen kommen, bevor man Angst hat, die eigene Identität zu verlieren? Wie darf diese Angst geäußert werden? Und welchen Fehler macht Frau Merkel, indem sie diese Angst ignoriert und damit die Leute nach rechts abdriften lässt. Das muss man sagen dürfen. Das muss gehört werden, das muss diskutiert werden."

Die Schattenseiten der Provinz

Die schonungslose Debatte um eine eigene Identität, in Zeiten von Globalisierung, in Zeiten der AfD. Seit den 70er-Jahren führt sie auch der so genannte Neue Heimatfilm: Ein Genre, das sich der Provinz, dem Kleinen widmet, ohne es zu verherrlichen. Der Münchner Fassbinder etwa thematisierte in seinem Film "Katzelmacher" den Umgang mit Gastarbeitern:
"Im Sommer nimmt er mich mit nach Griechenland."
"Und seine Frau?"
"Das macht nichts. In Griechenland ist alles anders."
Auch das Festival Biennale Bavaria fokussiert nicht nur das vergleichsweise gut gesättigte Heimatbewusstsein der Oberbayern, sondern auch Filme aus dem Ausland – bis hin zu Filmen, die das Schicksal von Heimatlosen, also Geflüchteten thematisieren. Für den Filmwissenschaftler Thomas Burnhauser liegt der Schwerpunkt des Neuen Heimatfilms weniger auf dem Thema Heimat, sondern mehr auf der Herangehensweise:
"Filme, die sich mit echten Menschen, mit ihrem Alltag, mit ihren Sorgen auseinandersetzen. Neorealismus war eines der Stichwörter. Und in dem Moment geht es um Verstehen und Verstanden-Werden."

Förderzusage vom Heimat- und Finanzminister

Verstanden werden will auch die bayerische Politik. Insofern ist es keine Überraschung, dass Heimat- und Finanzminister Markus Söder von der CSU auch schon eine Förderung zugesagt hat. Söder, der künftig in Bayern als Ministerpräsident regieren will, hat sich schon früher die volksnahen Genres zu Nutze gemacht. Etwa die Daily Soap "Dahoam is Dahoam", die jeden Vorabend seichte Geschichten aus dem Musterdorf Lansing ins Bayerischen Fernsehen bringt. Und bei der Söder einen Auftritt hatte:
"Eha, der Söder."
"Bleiben’s ruhig, ich beiß net. Grüß Gott.
"Grüß Gott. Brunner, Veronika."
"Sind Sie Metzgerin?"

Über derartige Heimatdarstellungen rümpft man bei den Festivalveranstaltern hinter vorgehaltener Hand die Nase. Denn man will andere Filme zeigen als Heimatkitsch. Auch die in Bayern sensationell erfolgreichen Klamaukkrimis des Kommissar Eberhofer bedürfen keiner großen Debatte. Eher Filme vom Format eines Franz Xaver Kroetz, in denen die junge Lisa Fitz mitspielte. Lisa Fitz erinnert sich:
"Der Wittiber vom Ludwig Thoma. Das war, wo ein Bauer die Magd – nicht vergewaltigt, aber so halb. Und die kriegt dann ein Kind und wird verstoßen. Das habe ich mit 24 gemacht."
Sozialkritik, gemischt mit Sarkasmus, das schwebt Lisa Fitz vor.
"Zum Heimatfilm gehört eben auch die Aufdeckung von Missbrauch, von Inzest, Fremdgehen... das Kleine, Hässliche, Menschliche, das überall passiert, das man aber immer den Politikern zuschiebt und sagt: Die sollen anständig sein. Aber die sind letztendlich genauso wie wir."
(mw)
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