Cornelia von Schelling & Andrea Stickel (Hg.): "Die Hoffnung im Gepäck - Begegnungen mit Geflüchteten"
Allitera Verlag, München
172 S., Hardcover, 14.90 Euro
Flüchtlinge berichten von ihrem Leben
Für den Erzählband "Die Hoffnung im Gepäck" haben sich 18 Autorinnen und Autoren mit Flüchtlingen getroffen, um ihre Geschichten aufzuzeichnen. Wir haben die Schriftstellerin Lilian Loke und ihre Protagonistin getroffen, die Schlimmes erlebt hat, aber die Hoffnung nicht aufgibt.
"Aus etwas Schlechtem entsteht immer auch etwas Gutes... Ich habe viel Böses erlebt, aber hier in Deutschland ist mir und meinen Kindern auch viel Gutes passiert."
Ein Münchner Stadtviertel rechts der Isar. Knarzende Dielen im Treppenhaus, 3. Stock, Altbau. Mit der Schriftstellerin Lilian Loke besuche ich eine Frau, geflüchtet aus Sierra Leone. Aber: Sie möchte anonym bleiben. Nennen wir sie "die Protagonistin". Denn Lilian Loke hat aus ihrem Leben eine Erzählung gemacht.
"Was kann ich euch anbieten? Tee oder Wasser?"
"Für mich war das sehr intensiv"
Die dunkle Hautfarbe, das strahlende Weiß der Augen, die gekräuselte Kurzhaarfrisur - eine junge Frau aus Westafrika. Um den Hals trägt sie ein dünnes Kettchen mit einem türkisfarbenen Herz in der gleichen Farbe wie ihr Nagellack. Vor ein paar Wochen saß die Münchner Schriftstellerin Lilian Loke schon mal hier in diesem Wohnzimmer auf der Couch.
"Mir war sehr wichtig, dass ich die Stimme meiner Protagonistin so klar wie möglich aufzeichne. Für mich war das sehr intensiv, das aufzuschreiben, weil ich mich natürlich sehr eingefühlt habe in die Geschichte. Es war sehr schwer und eine große Herausforderung."
Autor: "Als du dann die Geschichte gelesen hast, wie war das für dich?"
Protagonistin: "Das macht mich traurig, aber nicht so wie damals als ich nach Deutschland gekommen bin. Als ich vor sieben Jahren hier angekommen bin, immer wenn ich an meine Vergangenheit denke, sah ich alles wie einen Film."
"Sie haben einige Kinder im Bus erschossen"
Ein Film, für den wir gute Nerven brauchen, aufgeschrieben als Lebensgeschichte einer jungen Frau, 1986 in Sierra Leone geboren, als Kind von Rebellen entführt. Nach dem Ende des Bürgerkriegs kehrt sie in ihr Heimatdorf zurück - und wird verstoßen und verjagt. Ihr gelingt die Flucht nach Deutschland. Sie gerät an die falschen Leute - wird zur Prostitution gezwungen. Doch sie kann sich befreien und wird von Refugio aufgefangen - einem Beratungs- und Betreuungszentrum für Flüchtlinge in München.
"Ja, es ist so mit diesem Sicksal, Schicksal. Es ist so. Aber... Es kommt immer..."
Ist es ein freudscher Versprecher, wenn aus dem Schicksal ein "Sicksal" wird? "Sick", das englische Wort für krank. Auf losen DIN-A4-Seiten hat die Protagonistin vor unserem Besuch eine ihrer schmerzhaften Erfahrungen selbst in Worte gefasst.
Protagonistin: "Kann ich das vorlesen?"
Lilian Loke: "Möchtest du einen Teil daraus vorlesen?"
Protagonistin: "Während des Bürgerkriegs in meinem Land war ich ein Opfer und ein Zeitzeuge. Am 25. April 1997 haben Rebellen meinen Schulbus attackiert. Ich war elf Jahre alt und die Frau neben mir hat versucht, mich mit ihrem Körper zu schützen. Sie wurde mit einer Maschinenpistole erschossen und starb. Sie haben einige Kinder im Bus erschossen. Die anderen Jungen und Mädchen haben sie mitgenommen. Von diesem Tag an musste ich einige Jahre bei den Rebellen leben. Und sie missbrauchten mich..."
"Es ist wichtig, niemals die Hoffnung aufzugeben"
Die Protagonistin erzählt, wie sie im Alter von elf Jahren in die Hände der Rebellen gerät, wie sie andere Kinder sterben sieht, wie sie vergewaltigt wird. Die Pausen, das Vibrieren in der Stimme - man möchte keine Bilder dazu sehen. Die Schriftstellerin Lilian Loke hat dieses Geschichte für das Buch "Die Hoffnung im Gepäck" niedergeschrieben.
Lilian Loke liest das Ende ihres Textes:
"Ich habe ein neues Leben angefangen hier in Deutschland. Das Leben ist voller höhen und Tiefen, aber es ist wichtig, niemals die Hoffnung aufzugeben. Ich zähle nicht die Tiefen, die liegen hinter mir. Ich bin zufrieden, denn ich habe so viel geschafft. Ich habe es so weit geschafft. Manchmal sage ich zu mir, wenn ich mir einen neuen Namen geben könnte, dann würde ich mich Amstrong nennen. Weil ich stark bin. Ich wollte meine Geschichte erzählen, um anderen Frauen in der ganzen Welt Mut zu machen. Um ihnen zu sagen: Es ist nicht alles verloren."
Louis Armstrong "What a wonderful world": Amstrong, I am strong, ich bin stark.
Autor: "Vielen Dank, dass ich da sein durfte."
Protagonistin: "Bitte. Ich bringe euch runter..."
Autor: "Soll ich zu machen?"