Haruki Murakami: Von Männern, die keine Frauen haben
Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe
Dumont Verlag, Köln 2014
255 Seiten, 19,99 Euro
Die zwei Schreibhände Murakamis
Leben und Tod, Liebe und Eifersucht. Nach seinen Romanen schreibt der japanische Autor Haruki Murakami nun über große Themen in kurzen Geschichten, die die Welt in männlich und weiblich teilen - teils meisterlich, teils aber auch grundbanal.
Jetzt ist es schon wieder nicht passiert. Obwohl die Wetten abermals gut standen. Japans Literaturstar Haruki Murakami hat auch in diesem Jahr nicht den Nobelpreis bekommen. Weshalb er überhaupt so hoch gehandelt wird, ist so klar wie mysteriös, ganz nach Leserschaft, die sich in zwei deutliche Lager spaltet. Denn den einen ist der 65-Jährige ein Produzent seitenstarken Humbugs, dabei intellektuell so fordernd wie ein Sudoku-Rätsel. Den anderen ist er Meister der Verquickung ost-westlicher Mythen und Seismograf menschlicher Unschärferelationen. Nun: Auch der neue Erzählband löst dieses Paradox nicht auf.
Ausschließlich männliche Protagonisten
Die ausschließlich männlichen Protagonisten der sieben Erzählungen sind jene "Männer, die keine Frauen haben", und es doch mit so einigen Frauen haben, um sich letztendlich über deren Absenz zu definieren. Wie der Schönheitschirurg Dr. Tokai, der die Kunst der Liaison Dangereuse mit verheirateten Damen beherrscht, sportliches Hobby und hygienische Maßnahme zugleich, bevor er sich versehentlich ernsthaft verliebt und am ältesten Thema der Menschheit stirbt: Er verzehrt sich vor Liebe zur Unerreichbaren. Auch die Männer der anderen Geschichten haben es nicht geschafft, ein Immunsystem gegen ihre Leidenschaft zu entwickeln: Der Barbesitzer Kino etwa, der in eine Odyssee gerät, nachdem er seine Frau mit dem Kollegen beim Liebesakt erwischt hat, oder der psychisch kranke Habara, dessen Zugehfrau nicht nur den Kühlschrank befüllt, sondern ihn auch von ihren Liebesdiensten und Plaudereien abhängig macht.
Die beiden eindrucksvollsten Erzählungen bilden den Rahmen des Buches. "Drive my car" berichtet von einem verwitweten Schauspieler, der Jahre nach dem Tod seiner Frau noch immer darüber nachdenkt, weshalb sie ihn fortwährend betrogen hat, obwohl die Ehe eine gute und freundliche war. Antworten findet er keine, doch plötzlich ergibt sich eine kleine Möglichkeit der Rache an ihrem letzten Liebhaber. Diese Auftakterzählung ist gelinde gesagt atemberaubend: Bis in die Personage und die Wortwahl hinein (wir lesen vom "süßen Mädchen") erinnert sie an die psychologischen Versuchsaufstellungen Arthur Schnitzlers und ist auf der Texthöhe der vom Autor immer wieder beschworenen Literatengeister wie Kafka oder Hemingway. Ebenso kunstvoll gibt sich die titelgebende letzte Erzählung des Bandes, in der ein Icherzähler durch einen nächtlichen Anruf vom Suizid seiner ehemaligen Liebe unterrichtet wird. Die Reflexion über eine permanente erotische Suche beginnt, ein philosophisch argumentierendes und anrührendes Requiem, wobei sich sogar etwas Neues in die Murakamische Erzählstimme mischt: nämlich Humor. Ein Meisterwerk.
Viel Meterware zwischen zwei Meisterwerken
Dieser Erzählband, mit dem Murakami sich nach zwei extrem unterschiedlichen Romanen (der enervierend verquatschten Trilogie "1Q84" und dem großartig transzendenten Werk "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki") wieder der kurzen Form annimmt, liest sich so bipolar, wie der Autor stets wahrgenommen wird. Zwischen der ersten und der letzten Erzählung findet sich viel Meterware. Es begegnen sich Seelen, die sich selber nicht verstehen, die notorischen Orte der Weltbefragung sind Jazzbars und Junggesellenbuden, Schnellimbisse und immer wieder das Bett, in dem die Protagonisten schlaflos die eigene Existenz abhorchen.
Murakami habe zwei Schreibhände, die voneinander nichts wissen, so fasste es ein Kritiker mal – und diesem Bild wird auch der neue Erzählband wieder gerecht, der handwerklich auseinanderbricht und dabei inhaltlich mit Dualitäten und doppelten Böden hantiert, an der Grenze zwischen Diesseits und Jenseits kratzt und die Welt in weiblich und männlich teilt. In diejenigen Menschen, die zu zweit sind, und in die, die einsam sind. Wer nicht an die dunkle Seite des Mondes glaubt, sollte die Finger davon lassen.