Roman Ehrlich: Urwaldgäste
Dumont-Verlag, Köln
268 Seiten, 19,99 EUR
Roman Ehrlich seziert die Gegenwart
Der Autor Roman Ehrlich ist erst knapp 30 Jahre alt. Sein erster Roman erntete viel Lob, nun erscheint "Urwaldgäste", ein Band mit Erzählungen. Im Mittelpunkt stehen absurde Szenen der Gegenwart, etwa eine Quiz-Kandidatin, die ehrlich und ernsthaft auf die Smalltalk-Fragen eines Moderators antwortet.
Seit seinem Debüt mit dem Roman "Das kalte Jahr" von 2013 gilt der 1983 geborene Roman Ehrlich als einer der auffälligsten jungen Autoren. So stößt sein jetzt nachgeschobener Erzählungsband „Urwaldgäste" erneut auf großes Interesse: Was ist dran an den Sehnsuchtsmotiven dieses Autors, an den Begebenheiten, die sich in karger, entlegener Landschaft zutragen und die seinen Roman sehr suggestiv wirken ließen? Man merkt den zehn Erzählungen des neuen Buches an, dass die charakteristische Spannung von Sehnsucht und kühler, nüchterner Atmosphäre hier weiterwirkt; da ist ein Autor zu erkennen, der an einem ganz spezifischen Stil arbeitet. Die Agentur für "Alternative Realitäten", die in der zentralen Geschichte des Bandes im Mittelpunkt steht, scheint ein Synonym für die Schreibhaltung von Roman Ehrlich zu sein.
Erzähler sitzt einsam vor der Kaffeemaschine
Die Erzählung mit dem beiläufig berichtenden Titel "Dinge, die sich im Rahmen meiner temporären Anstellung bei der Grinello Clean Solutions ereigneten" wirkt wie eine Versuchsanordnung, hier führt der Autor seine Instrumente vor. Was diese Firma genau treibt, bleibt ebenso unklar wie der Grund, wofür der Ich-Erzähler eigentlich genau über eine Annonce des Internetportals des Studentenwerks angestellt worden ist. Der mysteriöse "Aquionic Transformer", den die Firma vertreibt, hat irgendetwas mit Rohrleitungen zu tun, aber das wirkt viel zu banal für diese technisch auf den neuesten Stand gebrachte Bürolandschaft, in der der Erzähler meist einsam vor seiner Kaffeemaschine und sinnlosen Computertabellen sitzt, und die potenziellen Kunden, die er pro forma abtelefonieren soll, scheinen nur ein Vorwand zu sein.
Was sich wie ein Sinnbild für die absurde Atmosphäre eines zeitgenössischen Angestelltendaseins ausnimmt, wird dann aber erweitert durch eine groteske Erzählmaschinerie. Eine der angerufenen Personen beginnt auf die harmlose Frage "Wie geht's" auf einmal ganz konkret zu erzählen, und dabei ergeben sich mehrere Spiegelungen: Die Frau erzählt eine irreal anmutende Geschichte, die ihr jemand anders erzählt, der wiederum von jemandem erzählt, der ihm seinerseits etwas Unglaubliches erzählt hat. Und all diese Erzählschichtungen führt der Autor chirurgisch klar sezierend vor.
Entfremdende Gegenwartswelt
Eine ähnliche Dynamik ergibt sich bei der Kandidatin, die in einem Fernsehquiz auftritt: Die Kandidatin antwortet ernsthaft auf die Smalltalk-Frage des Showmasters, und plötzlich scheinen für einen Moment die Fernsehgesetze aufgehoben. In einer anderen Geschichte beginnt ein Mann mitten in einem Vorstellungsgespräch von einem Schulfreund aus der fünften Klasse zu sprechen. Roman Ehrlich gestaltet irreale, phantastische Einsprengsel in einer gespenstisch leerlaufenden und entfremdenden Gegenwartswelt. Noch sind dies meist klug komponierte und durchdacht ausgeführte Fingerübungen, aber hier hat einer seine sorgsam entwickelte Software voll im Griff. Diese Erzählungen sprechen mitten aus der Gegenwart heraus.