Erzählerische Denkspiele
Der im vergangenen Juni gestorbene Robert Gernhardt war nicht nur ein außerordentlich formbewusster, sondern auch ein sehr gewitzter Autor. Diese Qualität beweist sich nicht nur in den inhaltlichen Pointen, sondern auch im formalen Clou seines letzten Erzählbandes. "Denken wir uns" - so lautet der Titel des Buches, und mit diesen Worten beginnt auch jede der 26 Erzählungen.
Erzählungen? Nein, es sind eigentlich ganz verschiedene Textsorten, die hier zusammenkommen. Neben geradezu klassischen Novellen und Kurzgeschichten sind es Glossen und leichtfüßige philosophische Betrachtungen, kabarettistische Dramolette und satirische Beiträge. Das alles hat Gernhardt hier gewitzt im neu konstituierten Genre des erzählerischen "Denkspiels" zusammengeführt.
Unwahrscheinlich, dass er diese Texte vorab als "Denkspiele" entworfen und geschrieben hat, als ginge es ihm nur darum, falsche Authentizitätsansprüche ans Erzählen abzuwehren. Immerhin darf sich der Autor im Denkspiel freizügig über die Grenzen des Hier und Jetzt hinwegsetzen, ein Jüngstes Gericht veranstalten oder den Teufel als einen berlinernden Herrn namens von Übel höchstpersönlich auftreten lassen.
Und nicht zuletzt lässt sich das Material, das Gernhardt beim Zusammenstellen seines letzten Geschichtenbandes zur Verfügung stand, auf diese Weise gegen nicht immer unangebrachte Zweifel an der Dichte und Gediegenheit absichern: "Ist ja nur ein Denkspiel!" Da kommt es mehr auf Konstellationen, skizzenhaft umgesetzte Einfälle und veranschaulichte Ideen als auf die durchgearbeitete erzählerische Textur an.
Das Verhältnis von Kunst und Leben ist die Grundkonstellation der meisten Stücke des Bandes. Da werden etwa die Gemeinheiten eines kirchlichen Auftraggebers abgewehrt, wie in der wunderbaren, im Pseudo-Renaissancestil gehaltenen Künstlernovelle "Pennellino". Einem Maler, der ein Madonnenbildnis restaurieren soll, wird von einem betrügerischen Prior der Pinsel entwendet (wer will, mag es freudianisch deuten), aber der schöne Zufall treibt ihm ein Hündchen zu, mit dessen buschigem Schwanz sich ebenso gut malen lässt. Probleme mit unduldsamen Mäzenen schildert unter anderem das (ein wenig ins Alberne abrutschende) Kurzdrama "Der erste Jagdtag".
Wenn die ergreifende mittelhochdeutsche Altersklage eines Walther von der Vogelweide ("Owê war sint verswunden alliu mîniu jâr!") mit den Psycho-Floskeln eines heutigen Senioren-Animateurs konfrontiert wird, ist das vordergründig eine Satire gegen das Bemühen, die Verzweiflung über die Nichtigkeit des Lebens mit Placebo-Optimismus abzufangen. Bei tieferem Hinhören wird wiederum die epochenübergreifende Dissonanz zwischen Kunst und Leben vernehmbar.
Sie ist auch das Thema einer historischen Miniatur über Jan Vermeer. Dessen Arbeit an der Staffelei wird durch die hereinwirbelnde Gattin Catharina unterbrochen, die hier ganz im Sinne Thomas Mannscher Antithesen für das profane Leben und seine Störfrequenzen zu stehen hat.
Bei aller Heiterkeit - der künstlerische Arbeits- und Verarbeitungszwang kann eine bedrängende und quälende Triebkraft sein. In "Verbrannte Erde", dem längsten Text des Bandes (auch einem der schönsten) bekommt der Dichter Norbert Gamsbart, Gernhardts autobiographisches Alter Ego, im toskanischen Refugium Besuch von einem Kenner und Herausgeber seiner Werke. Der Dichter ist bedrückt, denn Norbert-Gamsbart-Land ist abgebrannt, was heißt: jeden Busch und jedes Tier, jede Taverne und jedes Panorama der Umgebung hat der Autor bereits ins Gedicht gebannt. Fahrlässig hat er die Ressourcen des Ortes vor der Zeit verbraucht. Ein komischer Text über ein ernstes Thema: die den Künstler begleitende Angst vor der Unproduktivität.
Immer wieder ist in diesem Buch von Malern, Musikern und Dichtern die Rede, aber auch von einem kleinen Jungen, der beim Kinderkarneval während des Zweiten Weltkriegs mit dem gewagten Kostüm "Feind hört mit" Furore macht. Im Mittelpunkt zu stehen - danach gieren die Kunst-Figuren Gernhardts, wie diese archetypische Szene einmal mehr beweist. Eine Schwundform davon sind die Erzählwettbewerbe in geselliger (Altherren-)Runde, die in mehreren Stücken des Bandes den Rahmen für Anekdotisches abgeben. Das ist nicht immer grandios, das eine oder andere Mal sogar etwas läppisch.
Nein, dieses letzte Buch des Autors ist kein "dem Tode abgerungenes Meisterwerk". Solche Pathosformeln verfehlen Robert Gernhardts Arbeit. Vielmehr hat er sich noch als Sterbender seine Leichtigkeit bewahrt - dieser Band jedenfalls, der Grundthemen des Lebenswerkes variiert, gibt noch einmal beeindruckend von ihr Auskunft. Am Ende steht das Statement eines achtundsechzigjährigen Schriftstellers:
"Ich sehe keinen Grund unzufrieden zu sein. Ich habe eine von mir geliebte Frau, einen von vielen geachteten Beruf und eine von allen gefürchtete Krankheit - mehr kann vom Leben eigentlich nicht erwarten."
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Robert Gernhardt: "Denken wir uns"
S. Fischer 2007.
240 S., 18,90 Euro
Unwahrscheinlich, dass er diese Texte vorab als "Denkspiele" entworfen und geschrieben hat, als ginge es ihm nur darum, falsche Authentizitätsansprüche ans Erzählen abzuwehren. Immerhin darf sich der Autor im Denkspiel freizügig über die Grenzen des Hier und Jetzt hinwegsetzen, ein Jüngstes Gericht veranstalten oder den Teufel als einen berlinernden Herrn namens von Übel höchstpersönlich auftreten lassen.
Und nicht zuletzt lässt sich das Material, das Gernhardt beim Zusammenstellen seines letzten Geschichtenbandes zur Verfügung stand, auf diese Weise gegen nicht immer unangebrachte Zweifel an der Dichte und Gediegenheit absichern: "Ist ja nur ein Denkspiel!" Da kommt es mehr auf Konstellationen, skizzenhaft umgesetzte Einfälle und veranschaulichte Ideen als auf die durchgearbeitete erzählerische Textur an.
Das Verhältnis von Kunst und Leben ist die Grundkonstellation der meisten Stücke des Bandes. Da werden etwa die Gemeinheiten eines kirchlichen Auftraggebers abgewehrt, wie in der wunderbaren, im Pseudo-Renaissancestil gehaltenen Künstlernovelle "Pennellino". Einem Maler, der ein Madonnenbildnis restaurieren soll, wird von einem betrügerischen Prior der Pinsel entwendet (wer will, mag es freudianisch deuten), aber der schöne Zufall treibt ihm ein Hündchen zu, mit dessen buschigem Schwanz sich ebenso gut malen lässt. Probleme mit unduldsamen Mäzenen schildert unter anderem das (ein wenig ins Alberne abrutschende) Kurzdrama "Der erste Jagdtag".
Wenn die ergreifende mittelhochdeutsche Altersklage eines Walther von der Vogelweide ("Owê war sint verswunden alliu mîniu jâr!") mit den Psycho-Floskeln eines heutigen Senioren-Animateurs konfrontiert wird, ist das vordergründig eine Satire gegen das Bemühen, die Verzweiflung über die Nichtigkeit des Lebens mit Placebo-Optimismus abzufangen. Bei tieferem Hinhören wird wiederum die epochenübergreifende Dissonanz zwischen Kunst und Leben vernehmbar.
Sie ist auch das Thema einer historischen Miniatur über Jan Vermeer. Dessen Arbeit an der Staffelei wird durch die hereinwirbelnde Gattin Catharina unterbrochen, die hier ganz im Sinne Thomas Mannscher Antithesen für das profane Leben und seine Störfrequenzen zu stehen hat.
Bei aller Heiterkeit - der künstlerische Arbeits- und Verarbeitungszwang kann eine bedrängende und quälende Triebkraft sein. In "Verbrannte Erde", dem längsten Text des Bandes (auch einem der schönsten) bekommt der Dichter Norbert Gamsbart, Gernhardts autobiographisches Alter Ego, im toskanischen Refugium Besuch von einem Kenner und Herausgeber seiner Werke. Der Dichter ist bedrückt, denn Norbert-Gamsbart-Land ist abgebrannt, was heißt: jeden Busch und jedes Tier, jede Taverne und jedes Panorama der Umgebung hat der Autor bereits ins Gedicht gebannt. Fahrlässig hat er die Ressourcen des Ortes vor der Zeit verbraucht. Ein komischer Text über ein ernstes Thema: die den Künstler begleitende Angst vor der Unproduktivität.
Immer wieder ist in diesem Buch von Malern, Musikern und Dichtern die Rede, aber auch von einem kleinen Jungen, der beim Kinderkarneval während des Zweiten Weltkriegs mit dem gewagten Kostüm "Feind hört mit" Furore macht. Im Mittelpunkt zu stehen - danach gieren die Kunst-Figuren Gernhardts, wie diese archetypische Szene einmal mehr beweist. Eine Schwundform davon sind die Erzählwettbewerbe in geselliger (Altherren-)Runde, die in mehreren Stücken des Bandes den Rahmen für Anekdotisches abgeben. Das ist nicht immer grandios, das eine oder andere Mal sogar etwas läppisch.
Nein, dieses letzte Buch des Autors ist kein "dem Tode abgerungenes Meisterwerk". Solche Pathosformeln verfehlen Robert Gernhardts Arbeit. Vielmehr hat er sich noch als Sterbender seine Leichtigkeit bewahrt - dieser Band jedenfalls, der Grundthemen des Lebenswerkes variiert, gibt noch einmal beeindruckend von ihr Auskunft. Am Ende steht das Statement eines achtundsechzigjährigen Schriftstellers:
"Ich sehe keinen Grund unzufrieden zu sein. Ich habe eine von mir geliebte Frau, einen von vielen geachteten Beruf und eine von allen gefürchtete Krankheit - mehr kann vom Leben eigentlich nicht erwarten."
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Robert Gernhardt: "Denken wir uns"
S. Fischer 2007.
240 S., 18,90 Euro