Veronique Bizot: Die Heimsucher
Erzählungen
Aus dem Französischen von
Tobias Scheffel und Claudia Steinitz
Steidl Verlag, Göttingen 2015
304 Seiten, 22 Euro
Wahnwelten missglückter Menschenleben
Veronique Bizot erzählt in "Die Heimsucher" mit bizarrem Humor von vereinsamten Exzentrikern, dramatisch ineinander verstrickten Beziehungen und absonderlichen Ereignissen. Teilweise fehlt den Erzählungen die gesellschaftliche Brisanz. Trotzdem ist die Lektüre der Volten und eigenwilligen Bilder ein Genuss.
Eine Frau verlässt ihren Mann drei Wochen nach der Hochzeit, weil sie ihn so leidenschaftlich liebt, dass die Verlustangst ihr den Atem nimmt. Sie muss gehen, um sich zu retten. Ein Mann steht jeden Abend auf der Bühne eines großen Theaters und erzählt unter johlendem Applaus von dem Gewaltverbrechen, das er begangen hat und das ihm niemand glauben will. Dabei hat er tatsächlich eine Frau erstochen. Doch eingesperrt wurde aus Versehen sein Nachbar, der eigentlich der Schauspieler ist und nun im Gefängnis dahinsiecht, während der Mörder unter seinem Namen traurig auf der Bühne triumphiert. Denn er weiß: Solange sein Nachbar gefangen in der Zelle sitzt, steht er als Gefangener auf der Bühne.
Ein Ehepaar stellt sich in einer Sprechkabine seinem erhofften zukünftigen Kind vor. Ich sieze es lieber, sagt die Frau, so lange es noch nicht existiert. Und dann erzählt das Paar dem potenziellen Sohn – eine Tochter kommt nicht in Frage – von einer sehr großen Erbschaft, dem leeren Leben, protzigen Hausbauplänen und entpuppt sich als psychisch zerrüttetes Gruselpaar, das kein vernünftiges Kind sich je als Eltern aussuchen würde.
Blitzgrelle Fantasie
Veronique Bizot, in Frankreich mehrfach preisgekrönte Schriftstellerin, hat einen bizarren Humor, um es milde zu sagen. 1958 in Paris geboren, hat sie zunächst als Journalistin gearbeitet, bevor sie sich erfolgreich der Schriftstellerei zuwandte und mit scharfsinnigem Witz von mehr oder weniger missglückten Menschenleben erzählt. Erzählungen, die einen überraschen, auch amüsieren und einem Bewunderung einflößen für die blitzgrelle Fantasie der Autorin. Geschichten, die in Luxushotels spielen, in schicken Wohnungen oder einst luxuriösen Anwesen, auf denen verarmte Erben in morbider Einöde dahindämmern.
Immer wieder gibt es eine Frau zwischen zwei Männern, durch Hass oder manipulative Fürsorge ineinander verstrickte Geschwister, vereinsamte Exzentriker. Einmal erzählen auch Tote von einer herrlich absonderlichen Beerdigung und ihrer Angst vor der grässlichen Person, die nun zu ihnen hinunter kommt. Es wird munter gemordet, selbstgemordet und gestorben in diesen Erzählungen.
Im sicheren Abstand des Lesers
Es ist nicht der Wahnsinn der Normalität, wie ihn Alice Munro so unnachahmlich aufzeigt, der Bizot interessiert. Es sind nicht die kleinen Dinge des kleinen Alltags, die in den Abgrund führen. Bizot tischt groß auf. Und bleibt doch hin und wieder in enger Kühle gefangen. Dann fehlt die menschliche Nähe, und es fehlt auch die gesellschaftliche, die politische Brisanz, wie man sie kennt aus den großartig grotesken Geschichten von George Saunders.
Und doch sind diese Erzählungen ein Genuss. Weil Bizot Volten schlägt und eigenwillige Bilder findet. Da gibt es den Kahn, der an einer Kette hängt, die zu kurz ist, um vom Hotel zur Badeplattform zu gelangen. Natürlich ereignen sich hier Schrecklichkeiten. Bizot schreibt in manchmal halbseitenlangen Sätzen, treibt uns voran, hinein in die Wahnwelten ihrer Figuren, in denen wir uns staunend und im sicheren Abstand des Lesers aufhalten können.