"Da müssen wir dran bleiben"
Viel ist zu tun: Den Rahmen, den Papst Franziskus mit seiner Umwelt-Enzyklika "Laudato Si" gesteckt hat, haben die deutschen katholischen Bischöfe in ihrer Herbst-Vollversammlung erneut thematisiert. Mit teils ernüchternden Ergebnissen.
Philipp Gessler: Anfang des 13. Jahrhunderts dichtete der heilige Franz von Assisi seinen Sonnengesang, "Laudato si‘", das erste Naturgedicht, das wir überhaupt kennen – wunderschön. "Laudato si‘" hat Papst Franziskus auch seine Umwelt-Enzyklika genannt, die vor zweieinhalb Jahren veröffentlicht wurde. Damals ging ein Raunen durch die Welt: Denn noch nie hatte ein Papst so klar und deutlich alle Menschen der Erde zur Rettung des blauen Planeten, "unseres gemeinsamen Hauses", wie es in der Enzyklika heißt, aufgefordert. Er gab damit zugleich der wenige Wochen später in Paris stattfindenden Klimakonferenz, die historisch werden sollte, einen Impuls – manche sagen: einen entscheidenden.
Klimawandel unübersehbar
Die deutschen katholischen Bischöfe haben sich in dieser zu Ende gehenden Woche auf ihrer Herbst-Vollversammlung in Fulda erneut mit "Laudato si‘" beschäftigt – aus gegebenem Anlass. Denn die Folgen des Klimawandels sind unübersehbar. Erinnert sei etwa an die Mega-Hurrikans, die die Karibik und die Südküste der USA kürzlich verwüstet haben. Ich habe mit Ludwig Schick über dieses Menschheitsproblem gesprochen. Der Erzbischof von Bamberg ist, als Beauftragter der Bischofskonferenz für die Belange der Weltkirche, schon seit Jahren auf seinen Reisen vor allem in den Süden der Welt mit den Folgen des Klimawandels für Mensch und Umwelt konfrontiert. Meine erste Frage an ihn war, ob sich die Relecture, das Wiederlesen der Enzyklika "Laudato si‘" für ihn gelohnt habe.
Ludwig Schick: Eine Relecture von "Laudato si‘" lohnt sich auf alle Fälle und ist sogar notwendig. In "Laudato si‘" hat Papst Franziskus viele, viele Anregungen gegeben, die nicht erfüllt sind. Einiges haben wir auf die Wege gebracht, aber vieles ist zu tun. Und da müssen wir dranbleiben.
Gessler: Was ist denn zum Beispiel nicht erfüllt worden?
Schick: Nicht erfüllt worden ist zum Beispiel, dass der Klimaschutz wirklich vorangekommen ist. Nicht erfüllt ist, dass wir vieles ökologisch umgerüstet haben, was Gebäude angeht. Es ist auch nicht erfüllt, dass der Artenschutz gewährleistet ist oder gefördert wird. Viele, viele Themen, die in dieser sehr praktischen Enzyklika genannt sind, da bleibt viel, viel Luft nach oben. Und es ist wichtig, dass wir in diesem Punkt oder in diesen Punkten vorankommen.
Gessler: Gab es denn auch neue Erkenntnisse, wenn so ein Text zweieinhalb Jahre liegt, dass man vielleicht ihn mit anderen Augen liest?
Schick: Wir befinden uns zurzeit auch in einer schwierigeren Situation als noch vor zweieinhalb Jahren. Vor zweieinhalb Jahren hatten wir Paris vor uns und Paris hat einen großen Schub gegeben, vielleicht auch durch die Enzyklika von Papst Franziskus. Aber im Augenblick treten einige aus aus dem Paris-Abkommen, andere erfüllen die Verpflichtungen nicht. Ich denke, es ist wichtig, einen großen Schub zu machen. Und was unsere Gesamtweltebene angeht, wir werden im Augenblick enger. Die Frage des Populismus ist nicht nur eine Frage in Amerika oder in Nordkorea, sondern ist auch hier eine Frage. Und wir als Christen haben ja immer die weltweite Gemeinschaft, die katholische, die allumfassende Gemeinschaft vor Augen. Ich denke, gegen diese Herzverengung müssen wir sehen, dass das Herz weit bleibt füreinander.
Gessler: Der Papst hat die Dekarbonisierung gefordert. Der Weihbischof Uhl hatte schon Probleme, das auszusprechen, als Umweltbischof. Die Welt ist weit davon entfernt, dass sie tatsächlich auf die fossilen Energien verzichten kann. Das ist ein Generationenprojekt, oder?
Schick: Ja, und das hängt mit vielen Fragen der Wirtschaft zusammen, mit Arbeitsplätzen zusammen. Aber wir müssen trotzdem die Dekarbonisierung voranbringen, weil wir wissen, dass durch die Kohlekraftwerke und überhaupt durch Kohle und die fossilen Brennstoffe die Umwelt sehr geschädigt wird. Wir werden das nicht von heute auf morgen durchsetzen können, aber das Ziel muss bleiben und auch möglichst bald erfüllt werden.
Gessler: Der Papst hat auch in "Laudato si‘" den Lebensstil des Konsumismus kritisiert und gefordert, das muss man ändern. Das ist aber wahrscheinlich gerade ein relativ schwerer Schritt, weil das in das alltägliche Leben der ganz normalen Menschen eingreift, oder?
Andere Werte
Schick: Ja. Wenn wir natürlich kommen und sagen, wir nehmen dir das weg und du musst auf das verzichten und jenes, dann ist das schwer, den Menschen beizubringen. Aber gerade wir als Christen, wir können sagen: Indem du jetzt dich so verhältst, was auch Verzicht mit sich bringt, wirst du eigentlich reicher im Leben. Zum Beispiel, dass man durch Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel, Fleisch, sage ich jetzt mal, das ja durch die Produktion eben umweltbelastend ist, und du ernährst dich anders, hast du ein besseres Leben als mit Fleisch. Das muss aber in die Köpfe und letztlich auch in die Herzen. Oder indem man sagt: Wenn du andere Mobilitäten jetzt für dich in Anspruch nimmst, zum Beispiel Zug fahren, hast du weniger Stress. Du kannst dich besser mit anderen unterhalten, du kannst die Zeit viel besser nutzen. Wir brauchen zunächst einmal ein Umdenken in all diesen Dingen, und dann wird es schon vorangehen, ich bin überzeugt, wenn wir das so rüberbringen: Indem du andere Werte dir erwirbst, kannst du ganz gut auf jenes und dieses verzichten.
Gessler: Der Papst hat sogar in "Laudato si‘" gesagt, es müsste eine Wachstumsverlangsamung im Norden der Welt geben. Das greift ja das kapitalistische Prinzip, unser Weltwirtschaftssystem frontal an. Ist auch wieder ein unglaubliches Ziel. Ist das irgendwie durchzusetzen?
Schick: Inzwischen sind auch etliche Politiker schon aufgewacht, die sagen: Ständig auf Wachstum setzen, das zerstört eigentlich alle unsere Ressourcen. Und wenn wir das Gemeinwohl weltweit haben wollen und auch in Zukunft haben wollen, dann bleibt uns gar nichts anderes übrig, als auf dieses ständige Wirtschaftswachstum zu verzichten. Aber auch da, indem wir auf Wirtschaftswachstum verzichten, können wir andere lebenswerte Qualitäten uns erwerben, zum Beispiel wenn wir kulturell uns mehr vernetzen und kulturell wachsen, in der Gemeinschaft miteinander wachsen. Das gibt einen anderen Wachstumsbegriff, gibt auch ein anderes Wachstum, was uns dann möglich macht, auch auf Wirtschaftswachstum zu verzichten.
"Diese Wirtschaft tötet"
Gessler: Beim Papst kommt ja immer wieder starke Kapitalismuskritik vor. Berühmt ist sein Satz: Diese Wirtschaft tötet. Er hat auch in "Laudato si‘" die internationale Finanzwirtschaft besonders kritisiert, dieses Finanzsystem sollte gebrochen werden, sollte verändert werden. Jetzt gab es ja schon erste Ansätze, die internationale Finanzwirtschaft nach dem Crash vor ein paar Jahren etwas einzuhegen, aber selbst die sind versickert. Das macht nicht sehr viel Hoffnung, oder?
Schick: Das macht nicht sehr viel Hoffnung, da haben Sie recht, was wir in den letzten Jahren erlebt haben. Ich sage aber noch einmal: Auf allen Ebenen hat sich der Egoismus verstärkt. Aber ich denke, wenn auch die Relecture von "Laudato si‘", aber auch von anderen Texten noch einmal erfolgt, dass man dann vielleicht zu einem vernünftigen Umgang mit Kapital, mit menschlichen Ressourcen, mit Naturressourcen hinkommt, dass man dann auch ein anderes Wirtschafssystem doch implantiert, was menschenfreundlicher ist und was nachhaltig ist und was zukunftsträchtig ist und nicht zukunftszerstörend.
Gessler: Muss insgesamt die katholische Kirche noch kapitalismuskritischer werden?
Gelobt und zu den Akten gelegt?
Schick: Die katholische Kirche muss zumindest auf die Problematik dieses Turbokapitalismus aufmerksam machen und muss das auch für ihre eigenen Verhaltensweisen, auch was ihr eigenes Kapital angeht, beispielhaft vollziehen. Da ist natürlich die katholische Kirche weltweit aufgestellt ein Global Player und mit über einer Milliarde Katholiken auch ganz verschieden. Die Fragen des Geldes, des Besitzes, des Kapitalismus, die wir hier haben und in Amerika haben, haben fast alle Länder und Diözesen in Afrika, in Lateinamerika überhaupt nicht. Aber es bleibt eine Forderung von "Laudato si‘" an uns und wir müssen ihr entsprechen.
Gessler: Das habe ich nicht ganz verstanden, was meinen Sie? Dass es da verschiedene Arten von Kapitalismuskritik gibt oder wie?
Schick: Nein, dass es verschiedene Länder gibt, die völlig anders aufgestellt sind, die überhaupt kein Kapital haben und von daher die ganzen Fragen keine Rolle spielen, auch nicht spielen können.
Gessler: Manchmal hat man ja den Eindruck, dass "Laudato si‘" gerade am Anfang vor der Pariser Klimakonferenz so gelobt wurde, dass es fast totgelobt wurde und man jetzt sagt: Okay, wir haben es gelobt, legen wir es zu den Akten!
Verbal übertriebenes Agieren
Schick: "Laudato si‘" kann man nicht zu den Akten legen, das ist eigentlich ein zeitloser Aufruf und eine zeitlose auch Inspiration, wie wir mit Schöpfung umgehen müssen. Die Schöpfung bleibt, solange diese Weltzeit besteht, die Schöpfung muss bewahrt werden für uns heute, für unsere nachfolgenden Generationen. Und "Laudato si‘" gibt eigentlich Verhaltensregeln, die immer gültig sind, wie wir mit der Schöpfung umgehen sollen, damit sie eben das gemeinsame Haus der ganzen Menschheit bleibt. "Laudato si‘" ist zeitlos und muss immer wieder ins Bewusstsein gebracht werden.
Gessler: Nun hat ja die Trump-Administration in den USA angekündigt – es ist noch nicht ganz klar, weil es da ja auch wieder widersprüchliche Aussagen gibt –, aber sie wird wahrscheinlich austreten aus dem Pariser Klima-Abkommen. Muss da nicht auch die katholische Kirche, egal jetzt ob vor allem in Amerika oder eben weltweit, noch klarer protestieren?
Schick: Die Kirche muss klar protestieren, aber wie ich die Situation in Amerika sehe … Amerika ist trotzdem sehr föderalistisch aufgestellt und es gibt etliche Regionen, die den Ausstieg nicht mitmachen, sondern die sogar die Forderungen von Paris noch verstärken für sich und ihre Region. Und da machen auch die Bischöfe mit. Ich sehe bei Trump ein kräftemeierisches und verbal übertriebenes Agieren, aber ich bin der Überzeugung: Das wird nicht Paris ad acta legen, auch nicht für die Vereinigten Staaten.
Protest hat verschiedene Quellen und Ursachen
Gessler: Ich würde noch gern, weil Sie ja sozusagen der Weltkirche-Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz sind, auf einen Punkt kommen, der uns in dieser Woche besonders beschäftigt. Wir haben jetzt eine Fraktion von ungefähr 90, sagen wir mal, Islam-, Ausländerfeinden und Rassisten im Bundestag sitzen. Wie soll man denn damit umgehen?
Schick: Ich glaube, man muss zunächst einmal die eigene Überzeugung klar und auch überzeugend zum Ausdruck bringen, auch diesem Gegenüber. Für uns sind alle Menschen gleich, weil alle Menschen Kinder Gottes sind, Geschwister untereinander. Und wir haben vom christlichen Standpunkt her vor allen Dingen auch uns um die Notleidenden zu kümmern, um die Fremden zu kümmern, um Menschen, die keine Heimat haben. Das ist unsere Aufgabe und das müssen wir auch gegenüber Abgeordneten, die da anders denken, zum Ausdruck bringen.
Ich bin ein optimistischer, hoffnungsvoller Mensch und ich sage: Die Wahrheit wird sich auch durchsetzen, das Gute wird sich durchsetzen. Indem wir auch in einen echten Dialog eintreten, hoffe ich, dass wir auch überzeugen können und Abgeordnete, die jetzt anders denken, doch auf ein menschenfreundliches Denken und Handeln bringen, und vor allem auch die Wähler, die aus Protest – und der Protest hat verschiedene Quellen und Ursachen –, dass die wieder anders denken und doch auch zu einer Auffassung zurückkehren, die menschenfreundlich ist und wo man sich gegenseitig akzeptiert und toleriert.
Gessler: Nun kann man natürlich argumentieren: Mit Rassisten reden wir nicht. Aber das ist nicht die Argumentation der Bischofskonferenz?
"Man muss mit jedem reden"
Schick: Nein, und ist vor allen Dingen nicht meine. Man muss mit jedem reden. Wir haben ein Menschenbild, das uns eigentlich davon überzeugt, dass mit jedem Menschen zu reden ist. Denn jeder Mensch ist nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffen, jeder Mensch hat die Sensibilität für das Gute. Wir müssen manches, was sich da über das Gute des Menschen gelegt hat aufgrund von Erfahrungen oder Ängsten, was immer da geschehen ist, das kann man wegbringen, mit einem Dialog, mit gutem Beispiel, und dann doch zu einem Umgang miteinander kommen, der uns allen zu leben hilft und wo eben der Gemeinsinn und das Gemeinwohl doch die tragende Basis werden.
Gessler: Aber Sie halten nach wie vor die AfD für unwählbar.
Schick: Ich würde sie nicht wählen. Und ich kann jedem sagen: Richtet euch nach dem, was wir jetzt im Grundgesetz haben. Wer Christ ist, der soll sich eben von seinen christlichen Maßstäben leiten lassen und dann seine politischen Entscheidungen treffen, auch seine Wahlentscheidung. Das kann ich den Menschen immer wieder sagen, das haben wir auch ökumenisch jetzt vor der Wahl gesagt. Jeder soll wählen und jeder soll nach seinem Gewissen wählen und jeder soll auch die christlichen Maßstäbe, die wir eben vom Menschen haben, von Gesellschaft haben, bei seiner Wahlentscheidung mit berücksichtigen und dann entsprechend seine Stimme abgeben.
Was sind die Maßstäbe?
Gessler: Aber der Satz: "Ein Christ sollte die AfD nicht wählen", dieser Satz geht Ihnen nicht über die Lippen?
Schick: Ich möchte niemandem vorschreiben, wie er wählt. Aber ich möchte mit jedem reden, was die Maßstäbe für die Wahl sind.
Gessler: Und diese Maßstäbe widersprechen der Wahl von der AfD?
Schick: Also, christliche Maßstäbe sind: Jeder Mensch muss toleriert werden, egal welche Religion, egal welche Rasse. Wenn eine Partei diesen christlichen Vorgaben nicht entspricht, dann ist sie nicht wählbar.
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