Skandalgeschichten des Erzbistums Köln
1062 entführte der Kölner Erzbischof den kaiserlichen Thronerben, der nur knapp vor dem Ertrinken gerettet wurde - einer von zahlreichen Skandalen in der Geschichte des Erzbistums Köln. © picture alliance / akg-images
Geistliche Kidnapper und Prügeleien im Dom
10:40 Minuten
Bei allem Frust über den gegenwärtigen Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki: Dass die Kölner Oberhirten in Skandale verwickelt sind, ist nichts Neues. Die Skandalchronik fängt an mit Kidnapping per Schiff und reicht bis zu Pfändung und Verhaftung.
Keiner in Köln kennt ihn. Und keiner will ihn – den neuen Erzbischof. Er ist kein Kölner, sondern Schwabe und gilt, so wird gemunkelt, als arrogant, unbeherrscht und skrupellos.
In der Tat: Kaum ist der machtgierige Reichspolitiker Anno von Steußlingen im Amt, wird er diesem Ruf gerecht. So beschränkt er sich keineswegs nur auf sein geistliches Amt, sondern mischt kräftig in der Politik mit. Damit gerät er in Konflikt mit der Witwe Kaiser Heinrichs III.
Ein Erzbischof schnappt sich den Kaiser
Die ist im April des Jahres 1062 mit ihrem elfjährigen Sohn, dem späteren Heinrich IV., bei Erzbischof Anno zu Gast in der Pfalz Kaiserswerth. Nach einem gemeinsamen Festmahl lädt der Erzbischof den Thronerben ein, sein prächtiges Schiff, das auf dem Rhein ankert, zu besichtigen.
„Und dann hat er sich zu einem Schritt entschlossen, der unerhört war“, sagt Joachim Oepen vom Historischen Archiv des Erzbistums Köln: „Kaum ist der junge König auf dem Schiff, legt es ab. Und damit ist der junge König entführt. Hochdramatische Szene. Als der Junge das merkt, springt er in den Rhein und kann gerade noch vor dem Ertrinken gerettet werden.
In allen Darstellungen vom 11. Jahrhundert bis heute wird das, was der Anno da als Kindesentführung betrieben hat, als ‚Staatsstreich von Kaiserswerth‘ beschrieben. Drei Jahre lang bestimmte Anno die Reichspolitik ganz maßgeblich; dann wurde Heinrich IV. volljährig, und damit hatte sich die Bedeutung Annos in der Reichspolitik erledigt.“
Was ihn nicht davon abhält, zwölf Jahre später den nächsten Skandal auszulösen. Da möchte er einem in Köln weilenden Amtsbruder aus Münster eine bequeme Heimreise ermöglichen. Da gerade kein Schiff zur Verfügung steht, lässt er schlicht eines beschlagnahmen. Überhaupt scheinen Schiffe eine Art enthemmenden Effekt auf den Erzbischof zu haben.
Das beschlagnahmte Schiff gehört allerdings einen einflussreichen Kaufmann, erklärt Joachim Oepen: „Daraufhin ist der Sohn des Kaufmanns empört und schafft es, innerhalb von wenigen Stunden die gesamte Stadt in Aufruhr zu versetzen. Und es kommt dann dazu, dass eine wütende Volksmenge sich vor dem Bischofshof versammelt. Um Mitternacht gelingt es Anno, aus dem Dom zu fliehen.“ Nachdem er sich dort zuvor von den wütenden Aufständischen eine handfeste Tracht Prügel eingehandelt hat.
Von preußischen Truppen verhaftet
Etwas zivilisierter geht es bei einem anderen Skandal im Erzbistum zu. Der findet über 700 Jahre später statt. Diesmal ohne eine Schlägerei. Sie kommen in der früh anbrechenden Dunkelheit dieses trüben Novembertages. Vor dem Tor des von Kerzen erhellten erzbischöflichen Palais in der Kölner Gereonstraße halten sie die Pferde an, erzählt Joachim Oepen:
„Die Gereonstraße wird von preußischem Militär abgesperrt und der Erzbischof wird in seinem Palais aufgesucht – und zwar von einer ganz hochrangigen Kommission: der Oberpräsident der Rheinprovinz, der Kölner Regierungspräsident, der Kölner Oberbürgermeister. Der Erzbischof ist schon im Schlafrock. Der Oberpräsident präsentiert ihm dann eine Kabinettsordre des Königs und versucht, den Erzbischof zur Abdankung zu bewegen. Das verweigert der Erzbischof und daraufhin wird er kurzerhand verhaftet und abgeführt.“
Die Verhaftung und Festsetzung des Kölner Erzbischofs Clemens August Droste zu Vischering am 20. November 1837 ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Grund für diesen Schritt der preußischen Regierung ist die Weigerung des Kirchenmannes, sich den Berliner Anweisungen zur Priesterausbildung und zu den sogenannten Mischehen zu beugen.
Flucht in die Niederlande
Der Willkürakt der preußischen Regierung gegen den Kölner Kirchenfürsten kennzeichnet die erste öffentliche Machtprobe zwischen preußisch-protestantischem Staatskirchentum und katholischer Kirche. Es ist ein Donnergrollen am Horizont, das den drohenden Kulturkampf im Deutschen Kaiserreich in den 1870er- und 1880er-Jahren ankündigt.
Aber ein Mann der Kirche im Rang eines Erzbischofs hinter Gittern? Abgeführt wie ein Dieb in der Nacht? Doch wohl ein einzigartiger Vorgang? Nein, keineswegs. Rund 30 Jahre später werden die noch immer ungelösten Konflikte zwischen Staat und katholischer Kirche dem Nach-Nachfolger Droste zu Vischerings, dem Erzbischof Paulus Melchers, zum Verhängnis:
„Er ist gegen opponierende Theologieprofessoren der Bonner Uni vorgegangen. Das sah der preußische Staat als einen Eingriff in seine Souveränität. Melchers wurde zweimal gepfändet. Dann kam er noch immer nicht der wachsenden Summe von verhängten Strafgeldern nach, und dann schließlich seine Verhaftung.“
Damit ist das Verhältnis von preußischem Staat und katholischer Kirche auf einem absoluten Tiefpunkt. Zwar kommt Melchers nach einem halben Jahr wieder frei, doch als eine erneute Festnahme wegen nicht bezahlter Strafgelder droht, flieht er in die Niederlande. Zuflucht findet er im Gartenhäuschen eines Maastrichter Franziskanerklosters.
Für eine Frau wird der Erzbischof evangelisch
Ein schönes, ebenmäßiges Gesicht mit hohen Wangenknochen, tiefbraunen Augen und dunklen Haarflechten. So hat ein Meister des 16. Jahrhunderts die Frau gemalt, die den Stuhl eines Kölner Erzbischofs ins Wanken bringt: die Stiftsdame Agnes von Mansfeld. Die nämlich verdreht dem Kölner Erzbischof und Kurfürsten Gebhard Truchsess von Waldburg so heftig den Kopf, dass er erwägt, evangelisch zu werden. Evangelisch! Mitten im heiligen Köln:
„Nachdem Gebhard Truchsess zum Erzbischof gewählt worden war, ließ er in den ersten Jahren seiner Regierung überhaupt keine Zweifel daran, dass er sehr klar auf katholischem Boden stand. Das Unglück nahm seinen Lauf, als Gebhard Truchsess in Kontakt mit einer adligen Dame kam und eine Liebschaft mit ihr begann“, erzählt Bistumsarchivar Joachim Oepen.
Doch das Ganze geht weit über eine Liebschaft hinaus und läuft schließlich aus dem Ruder: „Da spielen die Brüder der Agnes von Mansfeld eine Rolle, denn die wollten schlichtweg nicht dulden, dass ihre Schwester nun als kurfürstliche Mätresse lebte. Die Brüder zwingen Gebhard Truchsess zu einem Eheversprechen. Auch das wäre kein Problem gewesen: Gebhard hätte die Dame heiraten und von seinem Amt als Erzbischof zurücktreten können.“
Zwei Reformationsversuche scheitern
Doch er entscheidet sich anders: Er tritt zum evangelischen Glauben über, heiratet die Dame, verzichtet aber mitnichten auf sein erzbischöfliches Amt und plant, Kurköln in ein weltliches, erbliches Fürstentum umzuwandeln. Der Skandal ist perfekt. Die Domstadt steht Kopf!
Der Erzbischof begeht einen offenen Bruch des Reichsrechts. Denn er ignoriert eine Ausnahme des im „Augsburger Religionsfrieden“ enthaltenen Prinzips „cuius regio, eius religio“, also „Wes das Land, des die Religion“. Diese Ausnahme, der sogenannte geistliche Vorbehalt“, besagt, dass der katholische Herrscher eines geistlichen Fürstentums Besitz und Herrschaft verliert, wenn er protestantisch wird. Der Konflikt eskaliert.
Er endet im „Kölnischen Krieg“, der von 1583 bis 1589 im Rheinland wütet. Den protestantischen Truppen des Gebhard Truchsess stehen die Katholiken unter Führung des neugewählten Kurfürsten Ernst von Bayern gegenüber.
Mit dem „Kölnischen Krieg“ ist im Übrigen auch der zweite Versuch gescheitert, in Köln die Reformation einzuführen. Der erste war von dem etwas schlichten, kreuzbraven, knollennasigen Kölner Erzbischof und Kurfürsten Hermann von Wied versucht worden – und zum Skandal geraten. Denn Hermann von Wied wird 1543 – vermutlich aus Naivität – zum Mitverfasser einer neuen Kirchenordnung.
Joachim Oepen: „Diese Kirchenordnung steht eben organisatorisch noch auf dem Boden der alten Kirche, aber die Lehraussagen haben nun ganz eindeutig evangelische Tendenz. Es kommt zu einer ablehnenden Haltung des Kaisers, Karls V., was einfach damit zusammenhängt, dass man befürchtet, wenn das Erzbistum Köln evangelisch wird, dann verschieben sich die politischen Gewichte im Reich.“ All das führt dazu, dass Hermann von Wied 1546 abgesetzt und exkommuniziert wird.
Köln bleibt katholisch – und skandalträchtig
Nur einer von den unzähligen Skandalen im Erzbistum, die heute längst vergessen sind. Vergessen wie der Mord an Erzbischof Engelbert von Berg 1225 oder die verlorene Schlacht von Worringen des Erzbischofs Siegfried von Westerburg 1228.
Skandale im Erzbistum einst und jetzt. Es wird sie vielleicht immer geben. Eines wird ihnen aber nicht gelingen: die Kölner von der Überzeugung abzubringen, dass ihr Erzbistum bis heute „die eleganteste Braut Christi - nach Rom“ ist.