Interreligiöse Weihnachten im Kindergarten
In manchen Kindertagesstätten, vor allem in Ballungsgebieten, stellen muslimische Kinder heute bereits die Mehrheit. Die Weihnachtszeit wird da zu einer echten Herausforderung - nicht nur für die Erzieherinnen und Erzieher, auch für Eltern und Kinder. Und, wenn man schon mal dabei ist, wäre es nicht angemessen, auch das Opferfest zu feiern und das islamische Zuckerfest am Ende des Ramadan? Die Betroffenen werden mit solchen Fragen oft allein gelassen - und suchen nach praktikablen Lösungen.
Kinder: "Schneeflöcken, Weißröckchen"
Eine Kita in Berlin-Kreuzberg: der Gemeinschaftsraum ist mit Tannenzweigen und Lichterketten geschmückt, auf den Tischen stehen Teelichter. Drumherum sitzen stolze Eltern; viele halten ihre Handykameras in Richtung Raummitte: drei Erzieherinnen und 18 Kinder, die kleinsten anderthalb, die ältesten 5 Jahre alt, sitzen da zusammen in einem Kreis: singen deutsche und türkische Lieder, feiern Weihnachten.
Edith Gierl: „Also vom Himmelhoch, da komm ich her“, singen wir dann nicht. Also es gibt dann einfach so diese “Schneeflöckchen Weißröckchen“, die nicht so einen religiösen Inhalt haben, Winterlieder mehr."
Nürgün Karhan: "Die Eltern haben was von zu Hause mitgebracht: auch türkische Sachen einfach. Türkischer Börek und Kisir, ja. Und die Kinder führen was vor, so Rollenspiele, oder Bewegungsspiele, das hat jetzt mit Weihnachten auch nichts am Hut. Weihnachtsgeschichten werden da nicht erzählt, das ist einfach: Die Kinder wollen zeigen, was sie so gelernt haben, und dann singen sie das vor, und irgendwann kommt der Weihnachtsmann."
Edith Gierl und Nürgün Karhan leiten die Kita seit mehr als 20 Jahren gemeinsam: Eine der vielen Berliner Europa-Kitas mit bilingualer Sprachförderung: 93 Kinder werden hier betreut – fast 70 Prozent von ihnen kommen aus muslimischen Familien. Deshalb, erklärt Edith Gierl, gibt es in der Europa-Kita eine feste Vereinbarung:
„Dass wir eigentlich die Feste nur nach dem Erscheinungsbild so feiern, wir gehen auf die religiösen Hintergründe gar nicht ein. [...] Wenn wir hier so viele gemischte Kinder haben, wir können ja dann nicht das Christentum so verfestigen: Wir können da ja nicht Weihnachten feiern und Geburt Christi und dazu Lieder singen, und Maria und Josef, und diese ganze Geschichte – das ist 'ne tolle Geschichte. also Kinder lieben diese Geschichten, und ich bin mir sicher, dass alle Kinder mit muslimischem Hintergrund diese Geschichte auch lieben werden. Aber wir wollen nicht diese Geschichte bei muslimischen Kindern so verfestigen, wir wollen den Kindern das nicht beibringen!"
Eine Mutter: "Naja, es geht ja vor allem um das Zusammensein, also ich bin erstaunt, was die alles können!"
Unterschiedliche Auffassungen über die richtige Art, Weihnachten zu feiern
Für die Mutter der zweijährigen Pauline ist dies das erste Weihnachtsfest in der Kreuzberger Europa-Kita. Andere kennen die Abläufe schon, schauen zu, wie ihre Kinder nach dem Singen Fangen spielen, vom Klettergerüst hüpfen. Gleich soll das Buffet eröffnet werden, danach ist Bescherung.
Albert Biesinger:"Ne, dass ist für mich nicht Weihnachten. [...] Also, der Wissenschaftler in mir und auch als Vater von vier Kindern und fünf Enkelkindern denke ich: Man betrügt die Kinder wirklich um Erfahrungen, die im Geheimnis dieses Festes drin stecken."
Albert Biesinger, Religionspädagoge an der Universität Tübingen:
"Die Erfahrung, dass Gott Mensch geworden ist für die Christen, / und wenn man Kindern die Möglichkeit nimmt, sich wenigstens sich damit zu beschäftigen – die Erzieherin muss ja nicht dran glauben, aber die Erzieherin müsste, wenn sie das macht, müsste sie kompetent /über das Christentum reden und nicht irgendwie relativierend. Das ist für mich eine Frage von Anspruch an Bildung!"
Seit zehn Jahren beschäftigt sich Albert Biesinger mit dem, was in den mehr als 53.000 deutschen Kitas an religiöser Bildung läuft - oder eben nicht. Vor fünf Jahren veröffentlichten er und seine Kollegen die erste repräsentativen Untersuchung zu diesem Thema: 2.800 Erzieherinnen und Erzieher nahmen daran teil, 487 Kitas, bundesweit. Das Ergebnis: Jedes achte Kind in einer deutschen Kindertagesstätte stammt aus einer muslimischen Familie; in Ballungsgebieten sind es wesentlich mehr. Und immer häufiger fragen sich die Erzieher, wie können wir die muslimischen Kinder einbeziehen? So unterschiedlich die Kitas, so unterschiedlich die Lösungsversuche:
Es gibt Kitas, in denen zu Weihnachten aus der Bibel vorgelesen wird und die Kinder, auch die muslimischen, ein Krippenspiel aufführen. Es gibt Kitas, in denen Weihnachtsmänner auftreten, die ihre Geschenke auf Türkisch verteilen. Es gibt Kitas, bei denen steht – wie durch Zauberhand – plötzlich ein Sack mit Geschenken vor der Tür, und es gibt Kitas, in denen die muslimischen Kinder Turnen gehen, während die anderen Geschenke kriegen. Nur: Keine Kita in Deutschland kommt an Weihnachten vorbei. Zum Glück, meint Nürgün Karhan:
"Weihnachten ist das beliebteste Fest überhaupt! Und da sind alle Eltern da. Weil zu Hause wird Weihnachten jetzt bei den türkischen Familien nicht gefeiert. Die sehen das zwar draußen: Tannenbaum und so eine andere Atmosphäre, aber zu Hause ist nichts. Und bei uns in der Kita steht ein Tannenbaum, und da wird dann Weihnachtsmusik gespielt, na ja Winterlieder. Plätzchen werden gebacken - das ist eine schöne Atmosphäre, das machen sie zu Hause nicht. Deswegen sind die Weihnachtsfeste auch immer sehr voll, also die Eltern kommen nicht nur selber mit ihren Kindern, sondern bringen auch Verwandte mit!" (lacht)
Auch die muslimischen Kinder wollen, dass ihre Feste beachtet werden
Inzwischen nähert sich die Kita-Weihnachtsfeier ihrem Höhepunkt. Das Buffet ist eröffnet: Plätzchen, Nudelsalat, Börek und Bulgur. Daniel, der Vater des anderthalb jährigen Elmor, verschwindet unterdessen im Personalraum, zieht sich um: Roter Kapuzen-Mantel, weißer Rauschebart, brauner Geschenke-Sack, Sonnenbrille:
"Damit mich die Kinder nicht erkennen!" (Glöckchenklingeln)
Erzieherin: "Ich höre was! Der Weihnachtsmann!"
Daniel: "Hohoho!"
Erzieherin: "Nein, Weihnachtsmann, die waren alle ganz lieb!" (weinende Kinder).
Nurhan Soykan: "Ich möchte das Weihnachtsfest auf keinen Fall abschaffen aber [...] ich hab’s in meiner Kindheit erlebt, ich habs in der Schulzeit meiner Kinder erlebt, dass ihre eigenen Feste total ignoriert werden."
Nurhan Soykan, Generalsekretärin vom Zentralrat der Muslime in Deutschland:
"Also, ich weiß nicht, wie viel Ostereier ich ausgeblasen hab, wie viel Laternen ich gebastelt hab, war auch alles schön, aber dass dann an Ramadan und am Opferfest meinen Kindern noch nicht mal gratuliert wird. Oder dass mal kurz genannt wird, heute hat zum Beispiel die Sumera ihr Opferfest, wollen wir ihr nicht mal gratulieren? Oder irgendeine Form der Anerkennung! Wenn die dann absolut ignoriert wird, dann finde ich das ein Riesen-Manko, sie fühlen sich nicht anerkannt, sie fühlen sich einfach ignoriert."
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: etwa zwei Prozent aller deutschen Kitas feiern das Opferfest, vier Prozent das islamische Zuckerfest am Ende des Fastenmonats Ramadan. Doch die meisten Kitas begegneten dem Islam noch immer mit großem Misstrauen, sagt Albert Biesinger von der Universität Tübingen. Viele Erzieherinnen fühlten sich angesichts der wachsenden Zahl muslimischer Kinder schlicht überfordert, seien versucht, religiöse Feste generell abzuschaffen, um Konflikte zu vermeiden. Biesinger und seine Kollegen haben deshalb ein Konzept zur interreligiösen Bildung in Kitas entwickelt, es beinhaltet auch genaue Vorstellungen davon, wie Weihnachtsfeiern in gemischt religiösen Kitas gelingen können:
"Also, ich würde zum Beispiel viel besser finden, man macht ein Krippenspiel, und dann können die muslimischen Kinder mitspielen, und dann sind sie drin in der religiösen Struktur dieses Festes. [...] Dass sind ja keine Missionierungsgeschichten, wenn die muslimischen Kinder mitbekommen, wie dieses Fest wirklich christlich profiliert zu verstehen ist, und dann heißt es aber auch, dass wenn Ramadan ist, dass dann alle Kinder ein Projekt kriegen müssen, wo dann über Ramadan geredet wird und wo dann auch mal über die muslimische Kita-Leitung oder die muslimische Erzieherin dann von innen heraus aus ihrer eigenen religiösen Erfahrung und Praxis den Kindern erklärt wird: Wie beten Muslime zu Gott? Warum haben die einen Gebetsteppich? Warum beten manche Väter fünfmal am Tag? Das heißt also, beide Gruppen, die christlichen und die muslimischen Kinder, müssen profiliert jeweils die Kernpunkte und die Goldstücke der jeweils anderen Religion mitbekommen - und nicht das ganze abflachen nach dem Motto "Jetzt machen ma da ein Winterfest" - also das ist eine Verdummung von Kindern!"
"Das Wunderbare ist, dass Kinder an diesem Tag beschenkt werden"
Da sowohl christliche, als auch muslimische Erzieherinnen in religiösen Fragen nicht immer sattelfest sind, empfiehlt Albert Biesinger im Zweifel einen Pfarrer oder Imam zum Fest einzuladen. Hauptsache: richtig feiern.
Thomas Hauschild: "Und das ist eben Quatsch! [...] Man kann das eben christlich feiern oder unchristlich. Es gibt kein richtig!"
Thomas Hauschild, Ethnologe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg:
"Der Auftritt vom Weihnachtsmann – das ist auch richtig! Das ist auch das richtige Weihnachten! Das wird hier seit Jahrhunderten so gemacht gerne, dass der Weihnachtsmann auftritt und seine Geschenke verteilt und dass man drauf acht gibt, dass die Kleinen nicht merken, dass das ein verkleideter Mensch ist. [...] Damit die Kinder erfüllt sind von dieser übernatürlichen Macht, der sie da begegnen und sich daran freuen, dass es das gibt, dass die sich ihnen zuwendet und dass sie ich beachtet fühlen dadurch. Sie fühlen sich erwählt – sie kriegen ein Geschenk!"
Für Hauschild ist der Weihnachtsmann eine religiöse Figur – genauso wie Christkind oder der Heilige Nikolaus:
"Religion ist die tiefe Überzeugung von der Existenz übernatürlicher Mächte und Personen – und der Weihnachtsmann ist ganz eindeutig eine übernatürliche Person für kleine Kinder in einem bestimmten Alter zwischen dem zweiten und dem sechsten, siebten, achten Lebensjahr. Das heißt: Der existiert für die, und das ist eine Religion! Das kann man doch nicht sagen, dass das keine Religion wäre!"
Das Wunderbare an Weihnachten, meint Thomas Hauschild, ist, dass Kinder an diesem Tag beschenkt werden – nicht durch die Eltern, denen sie Dank zu Dank verpflichtet wären, sondern, sofern sie daran glauben können, durch eine höhere Macht. Wichtig sei also nicht, ob Weihnachten christlich gefeiert werde, sondern lediglich, dass die Kinder ein religiöses Erlebnis hätten, einem Moment lang ergriffen sein könnten von dem übernatürlichen Glanz des Festes und seinen Ritualen.
"Aischa? Das ist für dich!"