Josef Sachs, Volker Schmidt: Faszination Gewalt - Was Kinder zu Schlägern macht
Orell Füssli, Zürich 2014, gebunden, 224 Seiten, 22,95 Euro
Regeln, Hilfen und Ermunterungen
Ein Jugendpsychiater und ein Psychotherapeut geben Eltern und Erziehern Tipps, wie man mit gewaltbereiten Kindern umgeht. Das Buch "Faszination Gewalt - Was Kinder zu Schlägern macht" ist akribisch recherchiert und liefert konkrete Hilfen.
Aggressive Ausfälle im Schulunterricht, Prügelorgien auf nächtlichen S-Bahnsteigen, Amokläufe an Schulen mit Dutzenden von Toten - in ihrem kompetenten neuen Buch "Faszination Gewalt" untersuchen die beiden Psychiater Josef Sachs und Volker Schmidt das weite Feld jugendlicher Gewalttätigkeit.
Aus dem anatomischen Umbau des Frontalhirns während der Pubertät versuchen die Autoren abzuleiten, warum Jugendliche besonders anfällig sind für mangelnde Selbstkontrolle und Aggressivität. Der "menschliche Rechner" kranke während der Pubertät an einer schlecht funktionierenden Firewall und brauche extra viel Software in Form von Erziehungsimpulsen. - Was soll das? Der Auftakt des Buches gerät so leider blass und wenig überzeugend. Aufschlussreicher wäre es gewesen, hätten Josef Sachs und Volker Schmidt den spannenden Diskussionsstand der Hirnforschung differenziert dargelegt und mit der aktuellen Studienlage unterfüttert.
Doch ab dem zweiten Kapitel nehmen die Autoren an Fahrt auf und grasen akribisch und mit der Expertise ihrer langjährigen Erfahrung in der Jugend- und Erwachsenenpsychiatrie das gesamte Themenfeld ab: Inwiefern heben gewalttätige Filme und Computerspiele jugendliche Gewaltbereitschaft? Welche Relevanz haben Suchtmittel wie Alkohol, Designerdrogen, Cannabis? Wie sieht es mit psychischen Erkrankungen aus - Autismus, schizophrene Psychosen, Angststörungen, Depressionen? Wie häufig begehen Jugendliche auch Sexualstraftaten und welche Persönlichkeitsprofile lassen sich solchen Tätern zuordnen? Welche sozialpädagogischen Interventionen oder Therapien bieten sich jeweils an? Sichtbar abgesetzte Fallgeschichten bringen Farbe und Leben in die theoretischen Erörterungen und in der Zusammenschau macht das Buch klar, wie wenig simple Erklärungen greifen.
Es braucht immer eine Gemengelage von Bindungserfahrungen im Elternhaus, psychischen Dispositionen, Peergroup-Einflüssen und gesamtgesellschaftlichen Tendenzen wie etwa Leistungsdruck und konsumorientiertes Freizeitverhalten, um einen gewalttätigen Jugendlichen hervorzubringen.
Ähnlich differenziert und handfest zeigen sich auch die Erziehungstipps gegen Ende des Buches, wie etwa die "3-6-9-12-Faustregel" zur Mediennutzung: kein Bildschirm unter drei Jahren, keine eigene Spielkonsole vor sechs, kein Internet vor neun Jahren und kein unbeaufsichtigtes Internet vor zwölf. Insgesamt plädieren die beiden Psychiater für "Mut zur Erziehung". Damit meinen sie keinesfalls das Verbotsregime vormaliger Jahrzehnte, sondern sie möchten Eltern ermuntern, ihren Kindern Grundwerte zu vermitteln und vorzuleben und so oft wie möglich den Dialog zu suchen, auch über die Freizeitgestaltung des Jugendlichen. Die Schule sei hier allerdings auch gefragt, unterstreichen die Autoren ganz richtig: Sport, Kunst, Musik und das Gespräch über gesellschaftliche Fragen seien - PISA hin oder her - für die soziale und kognitive Entwicklung Heranwachsender nicht weniger relevant als Leistungsfächer wie Fremdsprachen und Mathematik.