Es begann mit dem "Bilderbuch für Verliebte"
Es gibt bereits ein rundes Halbdutzend Biografien über Tucholski. Wenn jetzt eine weitere erscheint, wird sie kaum wesentlich Neues liefern können. Gleichwohl ist sie bemerkenswert. Nämlich, derart ausführlich und detailreich ist von den früheren Veröffentlichungen kaum eine. Vorzüglich geschrieben ist sie außerdem.
In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts gab es drei deutsche Lyriker, die literarisch anspruchsvoll, politisch engagiert, im Ton humoristisch-satirisch und dabei außerordentlich populär waren. Es handelte sich um Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz und Erich Kästner. Ihr Ruhm hält bis heute.
Ringelnatz war von den dreien der älteste, Kästner der jüngste. Er überlebte die beiden anderen um fast vier Jahrzehnte, was auch heißt, dass er die Hitlerei überstand. Eine seiner ersten Veröffentlichungen nach 1945 hieß "Gruß nach vorn" und war eine Auswahl aus dem Werk Tucholskys, dem er einmal begegnet war, kurz vor dem Ende der Republik von Weimar:
"Er teilte an der kleinen Schreibmaschine Florettstiche aus, Säbelhiebe, Faustschläge. (...) ein kleiner dicker Berliner wollte mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten."
Kästner erwähnt Tucholskys Pseudonyme. Tucholsky selber beschrieb sich als Mann mit den fünf PS. Eigentlich führte er nur vier solcher Kunstnamen, und wenn er seinen Geburtsnamen dazu rechnete, lässt dies auf einen Hang zum Uneigentlichen schließen und zu Zweifeln an der eigenen Identität. Tatsächlich war er von derlei Irritationen nicht ganz frei.
Die beträchtliche Prominenz, die begann, als er zu schreiben anhob und die lediglich unterbrochen wurde durch die zwölf braunen Jahre, hat eine umfängliche Sekundärliteratur hervorgebracht. Es gibt ein rundes Halbdutzend Biografien. Es gibt Veröffentlichungen zu Teilspakten von Werk und Leben. Wenn jetzt eine weitere Biografie erscheint, wird sie kaum wesentlich Neues liefern können. Gleichwohl ist sie bemerkenswert. Nämlich, derart ausführlich und detailreich ist von den früheren Veröffentlichungen kaum eine. Vorzüglich geschrieben ist sie außerdem.
"Hier darf ich nun einen Menschen präsentieren, keinen Dichterling und keinen Rentner und keinen Gefühlsfabrikanten, sondern einen Menschen, einen wahrhaftigen Menschen."
Dies steht in einer Buchrezension Kurt Tucholskys. Es passt gleichermaßen zu der Art, wie Rolf Hosfeld von dem Dichter handelt.
Sein Buch beginnt mit einer Paraphrase über einen der bekanntesten Tucholsky-Texte, das Prosastück "Rheinsberg" von 1912. Die realen Hintergründe werden ausgebreitet, die Entstehung des Manuskriptes, das Echo. Erst anschließend wird von Herkunft, Geburt und Ausbildung des Autors erzählt. Die literarischen Arbeiten werden vorgestellt, die jeweiligen Zeitumstände bedacht.
Tucholsky entstammte dem gutbürgerlichen Milieu assimilierter Berliner Juden. Längere Zeit seiner Kindheit verbrachte er in Stettin, was eine lebenslange Neigung zu Landschaften an der Ostsee hinterließ. Er studierte Rechtswissenschaften und veröffentlichte mit 22 Jahren das "Bilderbuch für Verliebte", eben "Rheinsberg". Der Erfolg war außerordentlich. Er brachte ihn dazu, eine Berufslaufbahn als Literat zu wählen. Lediglich im Militärdienst und kurzzeitig als Jurist in einem Bankhaus hat er sie unterbrochen.
Er schrieb Rezensionen, Feuilletons, Gerichtsreportagen, Liebesgeschichten, Reisebilder, Verse und Briefe. Abnehmer waren Journale aus den Häusern Ullstein und Mosse, vor allem aber war es die Wochenzeitschrift "Weltbühne" von Siegfried Jacobsohn, dessen Nachfolger Carl von Ossietzky wurde. Die Bücher erschienen in unterschiedlichen Verlagen, von denen der wichtigste Ernst Rowohlt gehörte. Die Verse haben Friedrich Hollaender und Rudolf Nelson vertont, vorgetragen wurden sie in Berliner Cabarets.
Tucholskys politische Haltung war, bei etlichen Irritationen, die eines linken Sozialisten. Er schätzte Franz Kafka und Knut Hamsun, er hatte Vorbehalte gegenüber Bertolt Brecht. Er reiste sehr viel, Frankreich war eine seine Vorzugsadressen, die Schweiz eine andere, Schweden die dritte und letzte. Er lebte polygam; ein paar seiner Lebensgefährtinnen haben es zu einiger Bekanntheit gebracht, so Lisa Matthias, Vorbild für die Lydia in "Schloss Gripsholm", vor allem aber Mary Tucholsky, mit der er verheiratet war und die später seinen Nachlass betreute.
Die Machtübernahme Hitlers brachte ihn um sein Publikum. Er verlor sein Vermögen. Er zog sich in sein schwedisches Haus zurück, schrieb nur noch wenig und setzte sich intensiv für den inhaftierten Carl von Ossietzky ein. Seit längerem hatte er schwere Gesundheitsprobleme. 1935 starb er, im Alter von nur 48 Jahren.
"Die Diagnose lautet: Überdosis Veronal, vermischt mit Alkohol. Ohne Barbiturate konnte der von innerer Unruhe Zerrissene schon lange nicht mehr schlafen. Er hinterlässt nichts, keinen Abschiedsbrief. (...) War es Selbstmord? (...) Die Frage konnte nie endgültig geklärt werden."
So Rolf Hosfeld am Ende seines Buchs. Es möchte den Lebensablauf wiedergeben und nichts als das. Rezeptions- und Wirkungsgeschichte findet nicht statt. Ästhetische Wertungen bleiben rar, eine literaturgeschichtliche Einordnung fehlt, bis auf die Anmerkung, Tucholsky stehe in der Nachfolge Heinrich Heines, was schon Tucholsky selber so sah und sagte. Die Abfolge der Lebensstationen wird mit großer Genauigkeit vorgetragen, wiewohl: Die patriotischen Anwandlungen zu Beginn des Ersten Weltkriegs kommen eher flüchtig vor. Dass ausgesprochen peinliche Klassenkampfverse für Münzenbergs kommunistische Arbeiter-Illustrierte existieren, wird nicht unterschlagen.
Hosfeld erlaubt sich ein paar Irritationen: Die schwedische Westküste lässt er an die Nordsee grenzen, was wenigstens gewöhnungsbedürftig ist. Üblicherweise wird das Kattegat zur Ostsee gerechnet. Und das Ostseebad Mistroy liegt nicht auf Usedom, sondern auf dem benachbarten Wollin. Zum 60. Geburtstag des Österreichers Roda Roda formulierte Tucholsky:
"Du weißt, wie literarischer Ruhm kommt und geht, und du machst dir nichts draus. Du überschätzt das nicht. Du bist beinahe weise."
Dies alles traf auch auf ihn zu.
"(...) das habe ich von dir gelernt, wie man auf anständige Weise alt werden kann, ohne eine komische Figur abzugeben."
Dazu ist es, beklagenswerterweise, bei Tucholsky nicht mehr gekommen.
Rolf Hosfeld: Tucholsky. Ein deutsches Leben. Biografie
Siedler Verlag, München 2012
320 Seiten, 21,99 Euro
Ringelnatz war von den dreien der älteste, Kästner der jüngste. Er überlebte die beiden anderen um fast vier Jahrzehnte, was auch heißt, dass er die Hitlerei überstand. Eine seiner ersten Veröffentlichungen nach 1945 hieß "Gruß nach vorn" und war eine Auswahl aus dem Werk Tucholskys, dem er einmal begegnet war, kurz vor dem Ende der Republik von Weimar:
"Er teilte an der kleinen Schreibmaschine Florettstiche aus, Säbelhiebe, Faustschläge. (...) ein kleiner dicker Berliner wollte mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten."
Kästner erwähnt Tucholskys Pseudonyme. Tucholsky selber beschrieb sich als Mann mit den fünf PS. Eigentlich führte er nur vier solcher Kunstnamen, und wenn er seinen Geburtsnamen dazu rechnete, lässt dies auf einen Hang zum Uneigentlichen schließen und zu Zweifeln an der eigenen Identität. Tatsächlich war er von derlei Irritationen nicht ganz frei.
Die beträchtliche Prominenz, die begann, als er zu schreiben anhob und die lediglich unterbrochen wurde durch die zwölf braunen Jahre, hat eine umfängliche Sekundärliteratur hervorgebracht. Es gibt ein rundes Halbdutzend Biografien. Es gibt Veröffentlichungen zu Teilspakten von Werk und Leben. Wenn jetzt eine weitere Biografie erscheint, wird sie kaum wesentlich Neues liefern können. Gleichwohl ist sie bemerkenswert. Nämlich, derart ausführlich und detailreich ist von den früheren Veröffentlichungen kaum eine. Vorzüglich geschrieben ist sie außerdem.
"Hier darf ich nun einen Menschen präsentieren, keinen Dichterling und keinen Rentner und keinen Gefühlsfabrikanten, sondern einen Menschen, einen wahrhaftigen Menschen."
Dies steht in einer Buchrezension Kurt Tucholskys. Es passt gleichermaßen zu der Art, wie Rolf Hosfeld von dem Dichter handelt.
Sein Buch beginnt mit einer Paraphrase über einen der bekanntesten Tucholsky-Texte, das Prosastück "Rheinsberg" von 1912. Die realen Hintergründe werden ausgebreitet, die Entstehung des Manuskriptes, das Echo. Erst anschließend wird von Herkunft, Geburt und Ausbildung des Autors erzählt. Die literarischen Arbeiten werden vorgestellt, die jeweiligen Zeitumstände bedacht.
Tucholsky entstammte dem gutbürgerlichen Milieu assimilierter Berliner Juden. Längere Zeit seiner Kindheit verbrachte er in Stettin, was eine lebenslange Neigung zu Landschaften an der Ostsee hinterließ. Er studierte Rechtswissenschaften und veröffentlichte mit 22 Jahren das "Bilderbuch für Verliebte", eben "Rheinsberg". Der Erfolg war außerordentlich. Er brachte ihn dazu, eine Berufslaufbahn als Literat zu wählen. Lediglich im Militärdienst und kurzzeitig als Jurist in einem Bankhaus hat er sie unterbrochen.
Er schrieb Rezensionen, Feuilletons, Gerichtsreportagen, Liebesgeschichten, Reisebilder, Verse und Briefe. Abnehmer waren Journale aus den Häusern Ullstein und Mosse, vor allem aber war es die Wochenzeitschrift "Weltbühne" von Siegfried Jacobsohn, dessen Nachfolger Carl von Ossietzky wurde. Die Bücher erschienen in unterschiedlichen Verlagen, von denen der wichtigste Ernst Rowohlt gehörte. Die Verse haben Friedrich Hollaender und Rudolf Nelson vertont, vorgetragen wurden sie in Berliner Cabarets.
Tucholskys politische Haltung war, bei etlichen Irritationen, die eines linken Sozialisten. Er schätzte Franz Kafka und Knut Hamsun, er hatte Vorbehalte gegenüber Bertolt Brecht. Er reiste sehr viel, Frankreich war eine seine Vorzugsadressen, die Schweiz eine andere, Schweden die dritte und letzte. Er lebte polygam; ein paar seiner Lebensgefährtinnen haben es zu einiger Bekanntheit gebracht, so Lisa Matthias, Vorbild für die Lydia in "Schloss Gripsholm", vor allem aber Mary Tucholsky, mit der er verheiratet war und die später seinen Nachlass betreute.
Die Machtübernahme Hitlers brachte ihn um sein Publikum. Er verlor sein Vermögen. Er zog sich in sein schwedisches Haus zurück, schrieb nur noch wenig und setzte sich intensiv für den inhaftierten Carl von Ossietzky ein. Seit längerem hatte er schwere Gesundheitsprobleme. 1935 starb er, im Alter von nur 48 Jahren.
"Die Diagnose lautet: Überdosis Veronal, vermischt mit Alkohol. Ohne Barbiturate konnte der von innerer Unruhe Zerrissene schon lange nicht mehr schlafen. Er hinterlässt nichts, keinen Abschiedsbrief. (...) War es Selbstmord? (...) Die Frage konnte nie endgültig geklärt werden."
So Rolf Hosfeld am Ende seines Buchs. Es möchte den Lebensablauf wiedergeben und nichts als das. Rezeptions- und Wirkungsgeschichte findet nicht statt. Ästhetische Wertungen bleiben rar, eine literaturgeschichtliche Einordnung fehlt, bis auf die Anmerkung, Tucholsky stehe in der Nachfolge Heinrich Heines, was schon Tucholsky selber so sah und sagte. Die Abfolge der Lebensstationen wird mit großer Genauigkeit vorgetragen, wiewohl: Die patriotischen Anwandlungen zu Beginn des Ersten Weltkriegs kommen eher flüchtig vor. Dass ausgesprochen peinliche Klassenkampfverse für Münzenbergs kommunistische Arbeiter-Illustrierte existieren, wird nicht unterschlagen.
Hosfeld erlaubt sich ein paar Irritationen: Die schwedische Westküste lässt er an die Nordsee grenzen, was wenigstens gewöhnungsbedürftig ist. Üblicherweise wird das Kattegat zur Ostsee gerechnet. Und das Ostseebad Mistroy liegt nicht auf Usedom, sondern auf dem benachbarten Wollin. Zum 60. Geburtstag des Österreichers Roda Roda formulierte Tucholsky:
"Du weißt, wie literarischer Ruhm kommt und geht, und du machst dir nichts draus. Du überschätzt das nicht. Du bist beinahe weise."
Dies alles traf auch auf ihn zu.
"(...) das habe ich von dir gelernt, wie man auf anständige Weise alt werden kann, ohne eine komische Figur abzugeben."
Dazu ist es, beklagenswerterweise, bei Tucholsky nicht mehr gekommen.
Rolf Hosfeld: Tucholsky. Ein deutsches Leben. Biografie
Siedler Verlag, München 2012
320 Seiten, 21,99 Euro