"Es braucht schon den gemeinsamen physischen Protest"

Schorsch Kamerun im Gespräch mit Susanne Führer |
Mit 50 Kölnern hat der Sänger und Theaterregisseur Schorsch Kamerun gesprochen, über Demokratie und Politikverdrossenheit und er hat daraus ein Konzert gemacht. Das Gemeinsame an den sehr unterschiedlichen Befragten sei, dass sie irgendwie einfach nicht zufrieden seien, dass ihnen etwas fehlt.
Susanne Führer: "Der entkommene Aufstand" von Schorsch Kamerun, und der ist uns jetzt aus einem Studio in Köln zugeschaltet. Guten Tag, Herr Kamerun!

Schorsch Kamerun: Schönen guten Tag!

Führer: "Der entkommene Aufstand", das ist ein ungewöhnlicher Titel - heißt das, der Aufstand kommt nicht, sondern er entkommt, oder?

Kamerun: Ja, also das ist die Frage, nicht? Der Titel ist - wie das im Theater manchmal so ist, das Theater ist auch oft langsam - noch aus dem letzten Jahr. Und da schien es mir eher so, als wäre ein Aufstand doch in sehr weiter Ferne, bevor dann der arabische Frühling kam und ja auch vielleicht das, was man jetzt Occupy-Bewegung nennt und so weiter. Also ich glaube, man ist schon ein Stück näher dran. Und auch in der Form, also ich meinte das erst mal formal, dass da etwas nicht so richtig kommt. Vielleicht tut sich ja gerade was.

Führer: Aber wenn ich jetzt Dina Netz richtig verstanden habe, dann geht es nicht um die Aufstände in der Arabischen Welt, sondern eher um unsere hier in der westlichen Welt, also Occupy, London, ...

Kamerun: Ja, würde ich sagen. Also der arabische Frühling, die - genau - Nordafrika-Aufstände sind natürlich schon mit einem anderen Hintergrund zu verstehen. Da geht es um was anderes abschaffen, also schon auch um eine wesentlich autoritärere Geschichte: Diktatur. Und das haben wir ja hier erst mal nicht, würde ich behaupten. Trotzdem gibt es hier auch eine Art von Unlösbarkeit, vor der wir alle so stehen und wo wir alle irgendwie auch gemeinsam unzufrieden vorstehen und wissen nicht so ganz genau, wie jetzt da abschaffen?

Und das probiere ich hier symbolisch. Also hier hat es eine Gruppe von Leuten gegeben, die hat erst mal ihre Umgebung gestoppt, und zwar ganz direkt. Also vielleicht sind die Leute, die da mitspielen aus dieser Agentur, aus diesem Kreativbüro, vielleicht sind sie aber auch erst mal nur dazugekommen. Aber das ist natürlich was Anderes.

Führer: Wer hat da jetzt wen gestoppt?

Kamerun: Die Menschen, die in meiner Inszenierung zu sehen sind, haben ihre Umgebung gestoppt, die haben diesen Raum zerschlagen, also ganz physisch.

Führer: Aha. Sie haben ja diese - wie es im Programmheft so schön heißt - 50 veränderungswilligen Kölner befragt, die spielen dann eben mit, haben erst zerschlagen und sind jetzt da auch in ihrer Konzertinstallation mit dabei. Was haben Sie denn erfahren durch diese Gespräche mit den Veränderungswilligen?

Kamerun: Ja, also das ist schon insofern interessant, dass ich jetzt eine Gruppe habe, die überhaupt nicht erst mal so zusammengehört, ganz unterschiedlich, zwischen Kunststudenten und vielleicht auch der Hausfrau aus Remscheid oder eine Beamtin und so weiter. Aber es gibt schon etwas Gemeinsames - es gibt schon etwas, und da glaube ich, sind wir uns auch alle so ein bisschen einig, dass man hier an so einem gewissen Endpunkt angekommen ist, wo wir einfach nicht mehr weiter wollen und auch - ja, man spricht ja von so einer Politikunwilligkeit, und man sucht nach einem ganz direkten Anspruch, an Teilnahme bei Demokratie. Und da ist man, glaube ich, so dabei - und da sind sich alle 50 auch irgendwo einig gewesen, dass etwas passieren muss, und vielleicht habe ich so eine Art Speakers‘ Corner da entworfen, indem ich probiert habe, mit all diesen Leuten diese Gespräche zu führen, und daraus jetzt ein Konzert gemacht.

Führer: Wir haben es gerade gehört, in einer Liedzeile singen Sie: "Jeder fühlt sich hier ungelogen um seine Zukunft betrogen". So richtig fasse ich es noch nicht, es geht doch den Menschen offenbar ganz gut hier. Wo genau liegt das Problem?

Kamerun: Ja, Sie fassen es ja vielleicht nicht, vielleicht ist ja bei Ihnen alles spitze. Ich habe hier eben 50 Leute erlebt, wo es nicht spitze ist, wo man zwar an etwas teilnimmt und möglicherweise auch jetzt ökonomisch vielleicht nicht mal große Probleme hat, aber es wird alles enger, und wir sind irgendwie nicht zufrieden, obwohl wir mal schön in Urlaub fahren können. Aber irgendwie haben wir das Gefühl, dass es so nicht weitergeht, und uns fehlt die Utopie, und auch so ein bisschen, und die Fiktion. Und das, glaube ich einfach, bildet sich ab, also, das ist ganz unterschiedlich, und das ist nicht nur ein Hartz-IVler, der wirklich ein Riesenproblem hat, dass er möglicherweise verarmt, sondern es sind auch die Leute, die wie ich möglicherweise schon teilnehmen, aber irgendwie spüren nach Adorno: Wir sind hier weiter im Falschen.

Führer: Der kritische Konsument bekommt bei Ihnen da auch einen mit in einem Ihrer Songs. Also eine Unzufriedenheit, der Mangel an Utopie, ist es das, so ein bisschen?

Kamerun: Ja, dieser Ausdruck "kritische Konsument", der trifft das ja vielleicht auch, weil wir am Konsumieren sind, und gerade auch hier in unseren Breiten funktioniert das ja auch weiterhin ganz gut, und trotzdem nörgeln wir da auch noch rum, wir sind auch damit ja nicht ganz einverstanden. Dann hat man natürlich diesen Überbau, jetzt Europa, was am Bröckeln ist, und wir sehen unsere hilflose Politik, die ein Pflaster nach dem anderen aufklebt, und uns reicht das alles nicht. Und ich glaube, ja, kritischer Konsument finde ich schon einen guten Begriff dafür.

Führer: Eine begehbare Konzertinstallation - ich verstehe es so ein bisschen so, dass sie sich versuchen, da zu einem nicht nur Sprachrohr, sondern auch zu einem ersten Anstoß zu machen, dass man diese diffuse Unzufriedenheit vielleicht etwas genauer fasst?

Kamerun: Das ist der Versuch. Also das ist natürlich ein Thema, wenn man jetzt erst mal wieder so laut daherkommt - Ich mache ein Stück über Protest! -, hat man natürlich das Problem: Okay, wie zeige ich das? Und da verweigere ich mich natürlich. Ich probiere kein Theaterstück, und eben auch deshalb nicht mit Schauspielern, wo wir auf die Bühne gehen und sagen: Wir halten Plakate hoch, wo draufsteht, Occupy oder die Straße hat wieder mal was zu sagen.

Ich probiere es jetzt erst mal natürlich auch in so einer gewissen Melancholie möglicherweise. Also da scheint es mir doch nach wie vor schwer, und ich biete natürlich auch kein Rezept an. Das ist eben auch nicht möglich. Und das ist natürlich immer ein bisschen schwierig. Und das kann man schon zugeben, man nimmt sich natürlich in gewisser Weise auch aus einer Verantwortung. Man sagt: Hier ist was nicht okay, und trotzdem schaffe ich es jetzt auch nicht, eine These herzubringen. Ich bin jetzt tatsächlich, wie sie eben sagten, möglicherweise erst mal nur ein Sprachrohr von so einer Art von Untersuchung, und die ist dann aber auch authentisch, weil das ist der Text von diesen 50 Leuten, mit denen ich gesprochen habe.

Führer: Aus Anlass des Todes von Franz Josef Degenhardt vor drei Wochen haben Sie hier im "Radiofeuilleton" gesagt, Herr Kamerun, Sie wünschen sich eine Musik, die zur Occupy-Bewegung passt, also eine Kunst, die dazu passt. Ist das jetzt Ihre begehbare Konzertinstallation, ist das ein Versuch, so etwas zu schaffen?

Kamerun: Kann man schon sagen. Ich glaube, dass ich da wirklich nicht das selbe mache, ich bin ja insofern kein Liedermacher, und schon auch gar nicht in diesem Sinne, aber das ist schon der Versuch, ja. Ich vertone Texte, und die versuche ich ganz direkt zu vertonen, und da reicht eben der aggressive Rock'n'Roll-Song nicht mit der einfachen Parole. Da muss es schon ein bisschen mehr geben, und es muss schon ein bisschen differenter werden.

Führer: Ihre Parole - also von Parole kann man nicht sprechen -, aber ein Zitat, ein weiteres Zitat ist: "Die Antwort auf die Frage ist die Utopie, sind wir als Schar".

Kamerun: Ja, das scheint mir tatsächlich so zu sein, dass wir uns physisch begegnen müssen. Auch wo man - und das ist vielleicht schon vergleichbar - wo man jetzt von den Revolutionen jetzt in Nordafrika sprach, und man hat immer gesagt Facebook-Revolution oder YouTube-Revolution, das stimmt ja nur zur Hälfte. Die Kommunikationsmittel sind möglicherweise diese digitalen, aber treffen muss man sich auf dem Platz, also ich glaube, das braucht es einfach.

Es braucht schon den gemeinsamen physischen Protest. Das begreift man auch, und ich glaube, das ist auch so ein Wunsch von Leuten, sich tatsächlich ganz direkt zu begegnen. Und so begreife ich tatsächlich auch mein Stück jetzt hier und die Arbeit daran, und eben auch mit diesen vielen Leuten gemeinsam da zu so einem Ergebnis zu kommen über diese Zeit, das ist ja auch gar nicht so einfach, weil wir alle so unterschiedlich da ran gehen natürlich und probieren jetzt hier, da ein greifbares Stück Kunst zu machen, was man sich anschauen konnte, das ist ja nicht so leicht.

Führer: Sagt Schorsch Kamerun. Am Wochenende hatte seine begehbare Konzertinstallation "Der entkommene Aufstand" in der Kölner Expo-Halle Premiere. Heute Abend gibt es die nächste Vorstellung und dann noch eine ganze Reihe weiterer fast über den ganzen Monat Dezember. Danke für das Gespräch, Herr Kamerun!

Kamerun: Herzlichen Dank!

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