"Es fing plötzlich an, sich umzudrehen in ein Mit-Tun-Wollen"

Kurt-Jürgen Zander und Jutta Hübner im Gespräch mit Dieter Kassel |
Die Anwendung homöopathischer Methoden könne gerade in schrumpfenden Städten, wo klassische Stadtplanungsmethoden nicht mehr greifen, zum Erfolg führen, sagt der Köthener Oberbürgermeister Kurt-Jürgen Zander. Köthen hatte ein homööpathisches Projekt im Rahmen der Internationalen Bauausstellung in Sachsen-Anhalt realisiert.
Dieter Kassel: Ob Homöopathen helfen können, wenn in einer Stadt Häuser abgerissen werden sollen, das konnte man bisher zu Recht bezweifeln. Inzwischen nicht mehr, denn in Köthen wurde bewiesen, dass man tatsächlich mit den Methoden der Homöopathie etwas machen kann, wenn es um Stadtumbau und sogar Stadtrückbau geht. Das Ganze war ein Projekt im Rahmen der Internationalen Bauausstellung in Sachsen-Anhalt.
Und wir werden Ihnen dieses Projekt in wenigen Minuten hier im Gespräch vorstellen.

Nach jahrelanger Vorbereitung werden in Sachsen-Anhalt jetzt die Ergebnisse der Projekte der Bauausstellung 2010 vorgestellt. 19 verschiedene Projekte in 19 verschiedenen Städten, die Lösungsansätze sind jedes Mal andere, aber das Problem ist in all diesen Städten das gleiche. Alle diese Orte werden kleiner. Unsere Landeskorrespondentin Susanne Arlt berichtet.

Susanne Arlt über die IBA Stadtumbau in Sachsen-Anhalt. Da hieß es nun gerade, die Stadt Köthen wolle sich zur europäischen Hauptstadt der Homöopathie machen mit der neuen Bibliothek, mit dem noch in diesem Jahr kommenden Master-Studiengang und einigen anderen Dingen. Das ist völlig richtig, aber es ist noch gar nicht die ganze Wahrheit, denn im Rahmen der IBA hat man in Köthen auch versucht, homöopathische Methoden auf Probleme der Stadtplanung anzuwenden. Wie man das genau gemacht hat und wie sich die Stadt verändert hat durch die IBA, darüber möchte ich jetzt mit Jutta Hübner zum einen reden – sie war Teil des Teams, das versucht hat, die Homöopathie anzuwenden auf die Stadtplanung, und sie ist die Leiterin der Europäischen Bibliothek für Homöopathie in Köthen. Und sie sitzt jetzt im Studio der Kollegen vom MDR in Magdeburg. Schönen guten Tag, Frau Hübner!

Jutta Hübner: Guten Tag!

Kassel: Sie sitzt da nicht alleine, ebenfalls in Magdeburg im Studio ist für uns der Oberbürgermeister der Stadt Köthen, Kurt-Jürgen Zander. Schönen guten Tag auch an Sie, Herr Zander!

Kurt-Jürgen Zander: Guten Tag!

Kassel: Sagen Sie mir mal ganz ehrlich, als Sie als Bürgermeister ganz am Anfang davon gehört haben, dass jemand die Idee hat, mit Homöopathie einen Teil der Probleme Ihrer Stadt zu lösen, was haben Sie sich damals gedacht?

Zander: Spannendes Experiment, aber war dem auch sehr aufgeschlossen gegenüber, weil wir mit den homöopathischen Ärzten schon sehr lange zusammenarbeiten, gut zusammenarbeiten, und dieser Blick von außen, den uns gerade die homöopathischen Ärzte in den vergangenen Jahren gegeben haben, war immer sehr wertvoll. Und von daher habe ich mir gedacht, was die anfangen, wird meistens gut, und habe das also mit sehr viel Spannung begleitet, dieses Projekt, und über die Ergebnisse, muss ich sagen, bin ich wirklich sehr froh.

Kassel: Frau Hübner, da sind wir jetzt fast schon bei den Ergebnissen. Lassen Sie uns über das Projekt selber und die getane Arbeit doch erst mal reden. Da gab es eine Straße mitten in Köthen, auf der es die typischen Probleme einer Stadt dieser Größe in Sachsen-Anhalt gab, und da haben Sie das ausprobiert mit der Homöopathie. Erklären Sie doch mal, was haben Sie da getan?

Hübner: In der Homöopathie, das ist ja eine Form der Medizin, der Anwendung von Arzneimitteln, das konnten wir natürlich nicht übertragen, also wir haben keine Arzneimittel für schrumpfende Städte entwickelt und in petto, aber wir haben uns gedacht, da auch der Begründer der Homöopathie Hahnemann gesagt hat, das wäre ein Naturprinzip, dann stellte ich so mir selbst die Frage: Na ja, das ist ja ganz schön größenwahnsinnig, 200 Jahre vorher zu sagen, das lässt sich auch in andere Systeme übertragen und da könnten wir das doch mal experimentieren, ob eine Übertragung in ein anderes System, ein komplexes System zum Beispiel wie eine Straße, ob das funktionieren könnte, also ob wir unsere Werkzeuge, unsere Denkwerkzeuge anwenden können und damit in dieser Straße eine Reaktion bewirken könnten.

Kassel: Diese Straße, von der wir reden, ist die Ludwigstraße in Köthen, eine Straße eigentlich mit eigentlich schönen Häusern aus der Gründerzeit, aber eben auch da das Problem wie in vielen Städten in Sachsen-Anhalt, eigentlich gab es nicht mehr genug Einwohner für diese Häuser. Was kann man da homöopathisch denn tun? Ich meine, wir reden natürlich von dem Gedanken, einen Teil der Häuser abzureißen, ich gebe auch zu, das ist am Ende zum Teil passiert, aber was kann man da homöopathisch tun?

Hübner: Wir haben sehr viel erst mal Anamnese gemacht, also wir haben Gesprächsrunden gehabt mit den Einwohnern, um erst mal herauszufinden, was ist eigentlich der Status dieser Straße oder auf welchem Niveau befindet sich die Straße, welche Eigenschaften, was gibt es sozusagen für Modalitäten – nennen wir das in der homöopathischen Medizin –, was gibt es für Eingriffe, die stabilisierend wirken, oder was gibt es für Situationen, die äußerst destabilisierend wirken. Und dann haben wir uns immer wieder in dieser Runde zusammengesetzt und haben uns gefragt, wie könnte man das in einer Kunstkrise verstärken. Also nichts dagegen zu tun, sondern es kurz hochzutreiben.

Kassel: Also Kunstkrise heißt in diesem Fall wirklich auch eine künstliche Krise, also das, was Sie dann erzeugt haben?

Hübner: Ja.

Kassel: Was haben Sie da gemacht?

Hübner: Wir haben erst mal einen Fehlversuch gehabt – vielleicht darf ich das erzählen. Also mein Kollege und ich, wir kommen aus Hamburg, und da ist das berühmte Schanzenviertel, das kennen Sie vielleicht auch. Und dann haben wir gesagt, okay, wenn wir in dem Schanzenviertel diese Häuser plakatieren würden und würden darauf schreiben, dieses Haus wird abgerissen, dieses Haus wird abgerissen, dann hätten wir in drei Tagen eine Bürgerbewegung. Das haben wir in Köthen gemacht, wir haben plakatiert und in sechs Wochen kamen drei Anrufe, also es gab überhaupt keine Reaktion. Und dann haben wir gesagt, okay, wir sind auch selbst nach unserer eigenen Methodik nicht genau genug vorangegangen, wir müssen weiter erfragen, was das Auffällige in dieser Straße ist. Ein Teil dieser Auffälligkeit zumindest war auch diese große, ja, diese Lethargie, dass eben überhaupt keine Energie mehr jedenfalls in den offenen Straßenraum zur Verfügung stand. Und dann haben wir uns zusammengesetzt und haben die Baudezernentin gefragt, wie könnten wir das noch verschlimmern. Und sie hatte da mehrere sehr schöne Antworten, zum Beispiel den Lastverkehr durchzuleiten oder die Häuser aufzuschließen für Vandalismus und so weiter. Und man fragte sich in der Straße sozusagen symbolisch, wann geht hier eigentlich das letzte Licht aus. Und das fanden wir was sehr Spezifisches. Und dann haben wir uns entschlossen, in einer Art Kunstkrise den Strom abzuschalten, also das Licht abzuschalten für eine begrenzte kurze Zeit, um das zu verstärken, dass hier eben nichts mehr ist.

Kassel: Wie lange haben Sie es gemacht, wie lange war das Licht aus?

Hübner: Das Licht war, glaube ich, nur fünf Minuten aus oder zehn Minuten …

Zander: … oder 15 Minuten. Man muss noch dazusagen, die Häuser, die abgerissen werden sollten, sind durch riesige Theaterscheinwerfer angestrahlt worden, um einfach deutlich zu machen, diese Straße ist danach nicht mehr lebenswert, wenn man diese Lücken in die Straße schlägt. Und das hat Emotionen erzeugt.

Kassel: Das heißt, einfach ausgedrückt, die Leute sind – so würde ich das jetzt empfinden, weil Sie auch beschrieben haben, Frau Hübner, dass eine gewisse Lethargie vorher da war, ein gewisses Desinteresse – die Leute sind dann quasi von Ihnen geweckt worden, was die Problematik angeht?

Hübner: Ja, die waren sehr wütend auch, also es war wirklich ein Aufstand. Einerseits war in der Straße so plötzlich, als wir fragten, ja jetzt, was passiert denn hier, als es so dunkel war, und dann sagten einige plötzlich: Ich glaube, die IBA sprengt jetzt die Häuser. So, ne? Es war also schon eine starke Reaktion in der Straße, und dann gab es eben eine Eigentümerversammlung, und da war eine Art Vulkanausbruch, kann man dann sagen, also eine sehr heftige Reaktion, die aber innerhalb, also bereits innerhalb der Zeit dann doch sich wendete und man fragte so nach: Ja, wenn das passiert, können wir so ein Grundstück erwerben oder können wir einen Balkon anbauen oder können wir gestalten? Also es fing plötzlich an, sich umzudrehen in ein Mit-Tun-Wollen und auch Mit-Tragen-Wollen und Mitverantwortlich-wieder-sein-Wollen für dieses, was mit dieser Ludwigstraße passieren könnte.

Kassel: Herr Zander, das ist natürlich eine relativ spektakuläre Aktion. Ich meine, das, was Frau Hübner erzählt hat, was zwischendurch noch angedacht war, wäre noch spektakulärer gewesen, aber selbst diese Strom-aus-Scheinwerfer-an-Aktion, das ist ja nicht unbedingt was, was man außerhalb von Veranstaltungen wie der IBA als Bürgermeister jeden Tag anwenden kann, wenn man Probleme hat. Aber gibt es da eine gewisse Nachhaltigkeit, können Sie aus diesen Erfahrungen auch was mitnehmen für die generelle Stadtplanung auch in Zukunft?

Zander: Also ich denke, für Problembereiche, gerade in den schrumpfenden Städten, wo klassische Planungsmethoden nicht mehr die Ziele erreichen können, denke ich, ist das eine Methode, die immer auf die jeweilige Stadt und auf die jeweilige Straße, das jeweilige Viertel natürlich modifiziert werden muss, angewandt werden kann. Wir haben noch ein zweites Testfeld in Köthen, da sind wir noch nicht so ganz erfolgreich, das ist eine Parkanlage, der Friedenspark. Da haben wir zum Beispiel noch nicht die richtigen Impulse gefunden, um dort auch die Reaktionen zu bekommen. Aber ich glaube, das ist eine Methode, die kann auch in anderen Städten klappen und kann auch ähnlich gute Ergebnisse bringen wie bei uns in der Ludwigstraße.

Kassel: Haben Sie denn das Gefühl, Herr Zander, dass diese Entwicklung hin zu vielleicht am Anfang durch Aufrütteln leichter Panik und daraus entstehendem Interesse an dem Gesamtprozess, wie das Frau Hübner bei dieser einen Straße beschreiben konnte, dass das insgesamt in der Stadt passiert, also egal, ob wir jetzt von dieser Entwicklung zur europäischen Hauptstadt der Homöopathie reden oder anderen Dingen, sind die Köthener mit ganzem Herzen inzwischen dabei?

Hübner: Also ich denke, die Köthener, das kann man ganz deutlich feststellen an der Europäischen Bibliothek für Homöopathie, die bringen ihre Besucher, ihre Freunde, ihre Gäste mit zu dem Haus, stehen stolz davor, erklären, zeigen, insbesondere wir haben die Europäische Bibliothek für Homöopathie. Da ist schon ein ganzes Stück Stolz dabei. Dass mit der Homöopathie was bewegt werden kann, merken mittlerweile viele Bevölkerungskreise, und ich glaube, das ist auch einer der Aspekte unseres IBA-Themas, Hoffnung aufzuzeigen, dass es also auch in schrumpfenden Städten durchaus neue Impulse, neue Entwicklungen geben kann, die also auch für die Zukunft Perspektiven aufzeigen, um nicht in so eine emotionale Abwärtsspirale hineinzukommen, so nach dem Motto: Jetzt müssen wir auch noch die Stadt verlassen, weil hier gehen irgendwann komplett die Lichter aus. Und das ist für mich auch ein ganz, ganz wichtiger emotionaler Aspekt, den wir mit diesem Thema Homöopathie als Entwicklungskraft erreicht haben.

Kassel: Kurt-Jürgen Zander, der Oberbürgermeister von Köthen, und Jutta Hübner, die Leiterin der neuen Europäischen Bibliothek für Homöopathie, über ein ganz spezielles Projekt im Rahmen der Internationalen Bauausstellung in Sachsen-Anhalt.