"Es geht auch wegen der Hartz-Gesetze aufwärts"
Der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, Ulrich Walwei, hat fünf Jahre nach der Einführung der Hartz-Gesetze eine positive Bilanz der Arbeitsmarktreformen gezogen. Die Reformen seien hilfreich beim wirtschaftlichen Aufschwung gewesen, sagte Walwei.
Birgit Kolkmann: Vor fünf Jahren wurde mit großem Spektakel eine Reform präsentiert, für die zwei Männer standen: Gerhard Schröder, damals Bundeskanzler, und Peter Hartz, damals Personalchef bei VW. Der Namensgeber der Arbeitsmarktreform ist skandalbedingt nun auch Privatier. Die Hartz-Gesetze aber gibt es noch, in veränderter Form zwar, und vor allem das damit verbundene neue Prinzip des Forderns und Förderns.
Was haben die Gesetze gebracht? Geht es am Arbeitsmarkt aufwärts trotz oder wegen der radikalen Reformen? Und müssen die Hartz-IV-Regelsätze wegen der gestiegenen Lebensmittelpreise angehoben werden, und das zusammen mit einer Einführung von Mindestlöhnen, worüber sich die Koalition im Bund nun heftig streitet? – Wir möchten nachfragen beim Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Guten Morgen Ulrich Walwei!
Ulrich Walwei: Guten Morgen!
Kolkmann: Herr Walwei, haben Sie eine Antwort auf die Gretchenfrage? Waren die Hartz-Gesetze Gift oder Gold für den Arbeitsmarkt?
Walwei: Meine Antwort fällt eindeutig aus. Es geht auch wegen der Hartz-Gesetze aufwärts, aber eines ist natürlich ganz klar: der wirtschaftliche Aufschwung ist so stark, dass er gar nicht am Arbeitsmarkt vorbei gehen kann. Wir haben einen unheimlich kräftigen Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und einen deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit, aber eben durch die Reform zeigt sich der Aufschwung freundlicher für den Arbeitsmarkt. Mit anderen Worten er ist beschäftigungsintensiver und drückt auch die Arbeitslosigkeit stärker als in der Vergangenheit. Hier waren die Reformen hilfreich.
Kolkmann: Nun boomt ja eine Branche ganz besonders, und zwar die der Zeitarbeit. Das macht es ja für viele Arbeitnehmer nicht unbedingt einfacher. Ist der Arbeitsmarkt also risiko-, aber auch chancenreicher geworden?
Walwei: Hier würde ich sagen, dass beides zutrifft, denn durch die Zeitarbeit ist der Arbeitsmarkt beweglicher geworden und damit auch flexibler geworden. Mehr Flexibilität bedeutet immer auch mehr Risiken und auch mehr Chancen. Es wächst nämlich dann auch das Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren. Es wächst aber auch die Chance, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, wobei man allerdings sagen muss, in guten Zeiten wie gegenwärtig überwiegen die Chancen. Und was ganz wichtig ist dabei, dass sich Zeitarbeit auch als eine ganz wichtige Brücke in reguläre Beschäftigung erwiesen hat. Von daher hilft sie auch den Arbeitslosen.
Kolkmann: Das klingt recht positiv. Kann man denn daraus auch schließen, dass so eine Art Revolution stattgefunden hat, dass die Leute auch tatsächlich risikobereiter sind nach langen Jahren des sozialen Sicherheitsdenkens?
Walwei: Ich wäre nicht ganz sicher, ob sie risikobereiter geworden sind. Diese neuen Beschäftigungsformen oder jetzt auch die wachsenden Beschäftigungsformen, die ja dann tatsächlich auch mit mehr individuellen Risiken verbunden sind, sind natürlich irgendwie auch ein Umstand, wo die Personen auch aus der Not, wenn man so will, eine Tugend machen. Zum Teil gibt es letztendlich keine bessere Alternative oder der Einstieg über solche Beschäftigungsformen ist eigentlich der einzig realistische, aber man sollte eben die Brückenfunktion solcher Beschäftigungsformen halt überhaupt nicht unterschätzen. Von daher nehmen sie, wenn man so will, das Risiko billigend in Kauf.
Kolkmann: Das Prinzip des Forderns und Förderns ist ja ein ganz zentraler Punkt der Hartz-Reformen. Ist es auch ein Abschied vom Versorgungsdenken langer Jahre im sicheren Sozialstaat gewesen und funktioniert es vor allen Dingen?
Walwei: Ja. Ich denke mir in gewisser Weise ist vor allem die Hartz-IV-Reform ein Abschied von der Wahrung des Sozialstatus und natürlich auch der Punkt, dass man jetzt mehr Pflichten tatsächlich einfordert. Dieses Fördern und Fordern wird auch eigentlich immer mehr arbeitsmarktpolitische Praxis, wie im Übrigen auch in vielen anderen Ländern, und ich halte dies persönlich eigentlich für den wichtigsten Reformbaustein. Wir erkennen inzwischen, dass hier auch die Suche nach Arbeit intensiver wird bei den Erwerbslosen und dass auch die Bereitschaft besteht, weniger attraktive Stellen anzunehmen.
Kolkmann: Wenn jetzt über die Aufstockung der Hartz-IV-Regelsätze diskutiert wird, gerät dann das Prinzip des Forderns und Förderns wieder ein bisschen in den Hintergrund?
Walwei: Klar ist, dass natürlich auch die Frage, wie hoch die Transferleistungen ausfallen, ein Punkt ist, der etwas mit dem Fordern zu tun hat. Wir haben ja vor allem durch die Reformen bei den Langzeitarbeitslosen wenn man so will die Transferleistungen gekürzt, vor allem bei denjenigen, die vor Arbeitslosigkeit ein hohes Einkommen hatten. Deswegen muss man natürlich diesen Zusammenhang schon sehen, weil Transferleistungen letztendlich auch mit darüber entscheiden, ob sich eine Erwerbsarbeit lohnt.
Kolkmann: Macht es denn nun Sinn, zugleich auch die Mindestlöhne einzuführen, wie es der Arbeitsminister will?
Walwei: Die Frage von Mindestlohn und Einführung von Mindestlöhnen und die Höhe der Hartz-IV-Regelsätze, die stehen ja nur mittelbar, wenn man so will, in einem Verhältnis. Beides zielt zwar in gewisser Weise auch auf Einkommenssicherung. Jedoch muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Löhne immer die Produktivität von Arbeit widerspiegeln und der Hartz-IV-Regelsatz den individuellen Bedarf eines Haushaltes. Da können natürlich Haushalte aus einer Person bestehen, die können aus einem Paar bestehen und es kann auch ein Haushalt mit vielen Kindern sein. Von daher wird schon deutlich, dass es schwierig ist, beides miteinander in Verbindung zu bringen.
Kolkmann: Ich habe mir noch mal eine Frage notiert, die Sie mir irgendwie noch nicht so richtig beantwortet haben. Die Eigenverantwortlichkeit stärken, anders denken in Deutschland. Sind wir da immer noch am Beginn eines Umbauprozesses?
Walwei: Ich denke, dass die Arbeitsmarktreformen auf jeden Fall diesen Umdenkungsprozess eingeleitet haben. Wir sind heute nicht mehr so großzügig auch bei den Maßnahmen. Wir setzen viel stärker auf Vermittlung und auf Beratung. Wir fördern die Eigeninitiative und die Eigensuche. Und was natürlich auch ganz wichtig ist: es ist mehr und mehr im Bewusstsein, dass Bildung ganz prägend und entscheidend letztendlich für die Erwerbskarriere ist, und das fängt natürlich schon sehr, sehr frühzeitig an. Es fängt in den Elternhäusern an und auch hier geht es natürlich viel stärker um Eigenverantwortung, denn das wichtigste gerade im Bereich der Personen, die Grundsicherung beziehen, ist, dass wir dort natürlich auch den Nachschub von Personen vermeiden, die bildungsarm sind.
Kolkmann: Eine positive Bilanz fünf Jahre nach der Präsentation der Hartz-Gesetze war das vom Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg Ulrich Walwei. Ich bedanke mich für das Gespräch in Deutschlandradio Kultur.
Was haben die Gesetze gebracht? Geht es am Arbeitsmarkt aufwärts trotz oder wegen der radikalen Reformen? Und müssen die Hartz-IV-Regelsätze wegen der gestiegenen Lebensmittelpreise angehoben werden, und das zusammen mit einer Einführung von Mindestlöhnen, worüber sich die Koalition im Bund nun heftig streitet? – Wir möchten nachfragen beim Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Guten Morgen Ulrich Walwei!
Ulrich Walwei: Guten Morgen!
Kolkmann: Herr Walwei, haben Sie eine Antwort auf die Gretchenfrage? Waren die Hartz-Gesetze Gift oder Gold für den Arbeitsmarkt?
Walwei: Meine Antwort fällt eindeutig aus. Es geht auch wegen der Hartz-Gesetze aufwärts, aber eines ist natürlich ganz klar: der wirtschaftliche Aufschwung ist so stark, dass er gar nicht am Arbeitsmarkt vorbei gehen kann. Wir haben einen unheimlich kräftigen Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und einen deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit, aber eben durch die Reform zeigt sich der Aufschwung freundlicher für den Arbeitsmarkt. Mit anderen Worten er ist beschäftigungsintensiver und drückt auch die Arbeitslosigkeit stärker als in der Vergangenheit. Hier waren die Reformen hilfreich.
Kolkmann: Nun boomt ja eine Branche ganz besonders, und zwar die der Zeitarbeit. Das macht es ja für viele Arbeitnehmer nicht unbedingt einfacher. Ist der Arbeitsmarkt also risiko-, aber auch chancenreicher geworden?
Walwei: Hier würde ich sagen, dass beides zutrifft, denn durch die Zeitarbeit ist der Arbeitsmarkt beweglicher geworden und damit auch flexibler geworden. Mehr Flexibilität bedeutet immer auch mehr Risiken und auch mehr Chancen. Es wächst nämlich dann auch das Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren. Es wächst aber auch die Chance, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, wobei man allerdings sagen muss, in guten Zeiten wie gegenwärtig überwiegen die Chancen. Und was ganz wichtig ist dabei, dass sich Zeitarbeit auch als eine ganz wichtige Brücke in reguläre Beschäftigung erwiesen hat. Von daher hilft sie auch den Arbeitslosen.
Kolkmann: Das klingt recht positiv. Kann man denn daraus auch schließen, dass so eine Art Revolution stattgefunden hat, dass die Leute auch tatsächlich risikobereiter sind nach langen Jahren des sozialen Sicherheitsdenkens?
Walwei: Ich wäre nicht ganz sicher, ob sie risikobereiter geworden sind. Diese neuen Beschäftigungsformen oder jetzt auch die wachsenden Beschäftigungsformen, die ja dann tatsächlich auch mit mehr individuellen Risiken verbunden sind, sind natürlich irgendwie auch ein Umstand, wo die Personen auch aus der Not, wenn man so will, eine Tugend machen. Zum Teil gibt es letztendlich keine bessere Alternative oder der Einstieg über solche Beschäftigungsformen ist eigentlich der einzig realistische, aber man sollte eben die Brückenfunktion solcher Beschäftigungsformen halt überhaupt nicht unterschätzen. Von daher nehmen sie, wenn man so will, das Risiko billigend in Kauf.
Kolkmann: Das Prinzip des Forderns und Förderns ist ja ein ganz zentraler Punkt der Hartz-Reformen. Ist es auch ein Abschied vom Versorgungsdenken langer Jahre im sicheren Sozialstaat gewesen und funktioniert es vor allen Dingen?
Walwei: Ja. Ich denke mir in gewisser Weise ist vor allem die Hartz-IV-Reform ein Abschied von der Wahrung des Sozialstatus und natürlich auch der Punkt, dass man jetzt mehr Pflichten tatsächlich einfordert. Dieses Fördern und Fordern wird auch eigentlich immer mehr arbeitsmarktpolitische Praxis, wie im Übrigen auch in vielen anderen Ländern, und ich halte dies persönlich eigentlich für den wichtigsten Reformbaustein. Wir erkennen inzwischen, dass hier auch die Suche nach Arbeit intensiver wird bei den Erwerbslosen und dass auch die Bereitschaft besteht, weniger attraktive Stellen anzunehmen.
Kolkmann: Wenn jetzt über die Aufstockung der Hartz-IV-Regelsätze diskutiert wird, gerät dann das Prinzip des Forderns und Förderns wieder ein bisschen in den Hintergrund?
Walwei: Klar ist, dass natürlich auch die Frage, wie hoch die Transferleistungen ausfallen, ein Punkt ist, der etwas mit dem Fordern zu tun hat. Wir haben ja vor allem durch die Reformen bei den Langzeitarbeitslosen wenn man so will die Transferleistungen gekürzt, vor allem bei denjenigen, die vor Arbeitslosigkeit ein hohes Einkommen hatten. Deswegen muss man natürlich diesen Zusammenhang schon sehen, weil Transferleistungen letztendlich auch mit darüber entscheiden, ob sich eine Erwerbsarbeit lohnt.
Kolkmann: Macht es denn nun Sinn, zugleich auch die Mindestlöhne einzuführen, wie es der Arbeitsminister will?
Walwei: Die Frage von Mindestlohn und Einführung von Mindestlöhnen und die Höhe der Hartz-IV-Regelsätze, die stehen ja nur mittelbar, wenn man so will, in einem Verhältnis. Beides zielt zwar in gewisser Weise auch auf Einkommenssicherung. Jedoch muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Löhne immer die Produktivität von Arbeit widerspiegeln und der Hartz-IV-Regelsatz den individuellen Bedarf eines Haushaltes. Da können natürlich Haushalte aus einer Person bestehen, die können aus einem Paar bestehen und es kann auch ein Haushalt mit vielen Kindern sein. Von daher wird schon deutlich, dass es schwierig ist, beides miteinander in Verbindung zu bringen.
Kolkmann: Ich habe mir noch mal eine Frage notiert, die Sie mir irgendwie noch nicht so richtig beantwortet haben. Die Eigenverantwortlichkeit stärken, anders denken in Deutschland. Sind wir da immer noch am Beginn eines Umbauprozesses?
Walwei: Ich denke, dass die Arbeitsmarktreformen auf jeden Fall diesen Umdenkungsprozess eingeleitet haben. Wir sind heute nicht mehr so großzügig auch bei den Maßnahmen. Wir setzen viel stärker auf Vermittlung und auf Beratung. Wir fördern die Eigeninitiative und die Eigensuche. Und was natürlich auch ganz wichtig ist: es ist mehr und mehr im Bewusstsein, dass Bildung ganz prägend und entscheidend letztendlich für die Erwerbskarriere ist, und das fängt natürlich schon sehr, sehr frühzeitig an. Es fängt in den Elternhäusern an und auch hier geht es natürlich viel stärker um Eigenverantwortung, denn das wichtigste gerade im Bereich der Personen, die Grundsicherung beziehen, ist, dass wir dort natürlich auch den Nachschub von Personen vermeiden, die bildungsarm sind.
Kolkmann: Eine positive Bilanz fünf Jahre nach der Präsentation der Hartz-Gesetze war das vom Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg Ulrich Walwei. Ich bedanke mich für das Gespräch in Deutschlandradio Kultur.