"Es geht darum, Götzen zu zerstören"

Moderation: Liane von Billerbeck |
In der malischen Wüstenstadt Timbuktu zerstören Islamisten Heiligengräber, die zum Weltkulturerbe gehören. Rüdiger Seesemann von der Uni Bayreuth sieht darin ein Zeichen für eine Spaltung in den islamischen Gesellschaften, die sich weltweit beobachten lässt.
Liane von Billerbeck: Timbuktu, eine Stadt an der Sahara mit Mausoleen aus Lehm, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören und jetzt so gefährdet sind wie nie. Heute wurden sie auf die rote Liste gesetzt, diese legendären Bauten. Denn Islamisten-Milizen haben angekündigt und begonnen, diese Mausoleen aus Lehm mit Pickel und Schaufel zu zerstören.

Timbuktu liegt in Mali, einem Land, das längst keines mehr ist, sondern zerfallen in die Machtbereiche verschiedener Milizengruppen, und nun werden also diese Mausoleen zerstört. Welche Bedeutung sie haben, darüber möchte ich jetzt mit Rüdiger Seesemann sprechen. Er ist Islamwissenschaftler mit Arbeitsgebiet Afrika und lehr und forscht an der Universität Bayreuth. Ich grüße Sie!

Rüdiger Seesemann: Ich grüße Sie auch, guten Tag!

von Billerbeck: Herr Professor Seesemann, was sind das für Bauten, weshalb sind die so wichtig, die da zerstört werden?

Seesemann: Ja, wie Sie schon gesagt haben, gehören diese Bauten ja zum Weltkulturerbe der UNESCO und sind einmalig wegen ihrer Architektur. Nicht so sehr aufgrund ihrer Funktion, also, das sind Heiligengräber, könnte man sagen, und es sind Moscheen, die in einer einmaligen Lehmarchitektur errichtet worden sind, und zwar schon vor langer, langer Zeit, also mehrere Jahrhunderte alt. Timbuktu war ein großes Gelehrtenzentrum und eine Metropole in der islamischen Welt, schon seit dem 12., 13. Jahrhundert, hatte seine Blütezeit kurz danach und ist dann eigentlich ein bisschen in Vergessenheit geraten. Aber dieses architektonische Erbe steht dort noch bis heute und ist eben weltweit bekannt und auch anerkannt dadurch, dass es Weltkulturerbe der UNESCO wurde.

von Billerbeck: Beschreiben Sie uns doch mal, was das Besondere an diesen Lehmbauten ist. Es ist ja interessant, dass die seit Jahrhunderten halten, und ich habe ein Foto gesehen, da sind so wie so kleine Pickel draußen dran und eben eine Kuppel, weil es eben eine Moschee ja auch ist.

Seesemann: Also, diese Pickel, das sind eigentlich sichtbare Teile der Holzkonstruktion, um die herum mit Lehm gebaut wird. Und die Architektur ist angepasst an die dortigen klimatischen Verhältnisse, das heißt, durch den Lehm wird es darin nicht so sehr heiß, es ist gegen Sandstürme geschützt und auch gegen Termitenbefall relativ gut geschützt und es hat eben dieses einmalige Flair, so wie dann diese Kuppel kegelförmig in die Höhe gehen. Ich bin leider in der Architektur nicht so sehr bewandert, als dass ich es jetzt zutreffend beschreiben könnte, aber ich denke, auf Fotos sieht man es mittlerweile überall in den Nachrichten, dann kann man sich das besser vorstellen. Ich kann Ihnen mehr übern die Funktionen sagen, die diese Bauten haben.

von Billerbeck: Ja, genau, Sie haben ja gesagt, das war eine Gelehrtenstadt in der Vergangenheit. Das heißt ja, dass diese Moscheen wahrscheinlich eine ganz wichtige Rolle gespielt haben und möglicherweise heute noch Dinge bergen aus dieser Zeit?

Seesemann: Also, man muss jetzt unterscheiden zwischen den Gebäuden, die als Moscheen dienen, und den Gebäuden, die als Grabstätten dienen. Die Moscheen selbst sind eigentlich nicht umstritten, auch unter Muslimen nicht umstritten. Und ich habe zwar jetzt auch schon Berichte gehört, dass Moscheen selbst angegriffen worden seien, aber was umstritten ist, sind diese Grabstätten.

von Billerbeck: Warum?

Seesemann: Im Prinzip stehen sich hier unterschiedliche Entwürfe dessen gegenüber, was man unter Islam und richtiger islamischer Praxis versteht. Timbuktu war ein Gelehrtenzentrum, wie ich schon sagte, wo islamische Persönlichkeiten gelebt haben, die von anderen Muslimen als heilig erachtet wurden. Und wenn die gestorben sind, hat man die begraben und eine Art Mausoleum errichtet. Das ist das eben, was man als diese kegelförmigen Erhebungen über den Gräbern sieht. Und Muslime sind nach dem Tod dieser als heilig erachteten Personen zu den Gräbern gegangen, um dort zu beten. Und in diesem traditionellen islamischen Entwurf glaubte man, dass diese bestatteten Heiligen als Vermittler zwischen den Gläubigen und Gott fungieren können. Wenn man am Grab des Heiligen betet, hat man durch den Heiligen einen Draht zu Gott. Der Heilige ist deswegen heilig, weil er als Gott besonders nahestehend erachtet wird.

von Billerbeck: Also, er ist nicht quasi der Ersatzgott?

Seesemann: Ja, das ist genau die Streitfrage. Also, diejenigen, die solche Heiliggräber besuchen, würden sagen, was wir machen, ist legitim, wir adressieren uns an Gott und machen das aber durch die Vermittlung der Heiligen, die Heiligen legen für uns sozusagen Fürsprache ein. Und die Kritiker, zu denen diese Islamisten gehören, zu denen übrigens auch vor einigen Jahren die Taliban gehört haben und viele andere, über die wir vielleicht auch noch sprechen können, die Kritiker sagen, damit werden Heilige angebetet oder man räumt heiligen Positionen ein oder man gesteht den Heiligen Kräfte zu oder Mächte, die Gott allein vorbehalten sind.

von Billerbeck: Das heißt, das ist die gleiche Auffassung vom Islam, die 2001 dazu geführt hat, dass diese großen Buddha-Statuen in Afghanistan gesprengt wurden?

Seesemann: Letztlich ja. Also, es geht darum, Götzen zu zerstören, für diese radikalen Islamisten gleicht das einer Götzenanbetung, wenn man an einem Heiligengrab ein Gebet spricht. Und so ein Gebet sieht dann so aus, dass der, der im Moment sagt, oh Gott, bitte, durch die Kraft und Position des Heiligen XY, schenke mir Gesundheit oder schenke meiner Frau einen Sohn oder Ähnliches, das nennt man auf Arabisch Tawassul, also, dass man Gott durch die Vermittlung des Heiligen anruft.

Die Kritiker sagen aber, man ruft den Heiligen selbst an und glaubt damit, dass der Heilige Mächte hätte, die unabhängig von Gottes Macht sind. Und da prallen sozusagen verschiedene theologische Vorstellungen aufeinander. Aber die Ablehnung dieses Tawassul, dieses Anrufen von Heiligen, ist generell kennzeichnend für die radikalen islamischen Bewegungen, die wir heute überall aktiv sehen, inklusive der Bundesrepublik Deutschland. Und es ist eine Bewegung, die erstmals so in dieser Art im heutigen Saudi-Arabien aufgetreten ist, also auf der Arabischen Halbinsel im 18. Jahrhundert. Und dort ging es mit der Gräberzerstörung los.

von Billerbeck: Also, das ist kein modernes Phänomen?

Seesemann: Das sind die sogenannten Wahhabiten, die im 18. Jahrhundert in der Arabischen Halbinsel aufgetreten sind und in Gebieten, die sie erobert haben, Gräber zerstört haben.

von Billerbeck: Daraus schließe ich aber, dass Sie sagen, dieses Weltkulturerbe ist ja ein ganzer Komplex von Moscheen, von Grabstätten, dass es jetzt nur gegen diese Grabstätten, in Anführungsstrichen, geht, und diese Moscheen stehen bleiben werden?

Seesemann: Also, Voraussagen möchte ich da keine wagen. Wenn die Moscheen tatsächlich auch angegriffen oder zerstört würden, dann wäre das wirklich ein Sakrileg. Es ist so schon ein Angriff auf das, was vielen Muslimen heilig ist, wenn diese Gräber zerstört werden. Wenn dann aber Moscheen zerstört werden sollten, dann wäre das was, was selbst wahrscheinlich andere, ähnlich gesinnte Muslime für einen Affront halten würden.

von Billerbeck: Nun hat man ja aus Berichten gehört, dass sich die lokale Bevölkerung an dieser Zerstörung nicht beteiligt, aber hilflos daneben steht. Denn wir befinden uns ja in einem Land, das völlig zerfallen ist. Es gab zwar Überlegungen westafrikanischer Staaten, da eine Militärmission hinzuschicken, aber ich vermute, das wird gar nicht klappen? Werden wir also erleben, dass dieses UNESCO-Weltkulturerbe also in Stücke gehauen wird?

Seesemann: Also, ich finde das alles sehr bedrückend und für mich geht es einerseits natürlich darum, was mit diesem Weltkulturerbe geschieht, aber andererseits ist es für mich auch ein Ausdruck der Spaltung islamischer Gesellschaften heute. Eben bedingt durch die Radikalisierung bestimmter Kreise von Muslimen, die dann ihrerseits sozusagen die traditionellen islamischen Lebensentwürfe nicht nur infrage stellen, sondern auch durch ihre gewaltsamen Handlungen konkret angreifen. Und das ist kein Phänomen, das auf Timbuktu beschränkt ist, sondern das ging auf der Arabischen Halbinsel vor 200, 300 Jahren los und das geht jeden Tag überall weiter. Ich kenne diese Grabzerstörungen aus Sudan, ich kenne sie aus Kenia, es gibt darüber Berichte aus Indien, es passiert im Irak. Im Übrigen spielen ja solche Grabstätten auch im schiitischen Islam eine relativ große Rolle und manche dieser Moscheeattacken, über die wir aus dem Irak hören, stehen auch damit im Zusammenhang.

von Billerbeck: Das klingt so ein bisschen so, als ob wir dem relativ machtlos gegenüberstehen? Das ist der militant ausgetragene Kampf zweier Strömungen im Islam?

Seesemann: So kann man das sagen. Wobei die eine Seite militanter ist als die andere. Die Angreifer, die würden Gewalt für gerechtfertigt halten, während die andere Seite, wie Sie schon sagten, da eher hilflos diesem Treiben zusieht. Ich habe das selber aus eigene Anschauung erlebt im Sudan einmal, wie ein Heiligengrab zerstört worden ist und die Leute, die dieses Heiligengrab in Ehren gehalten haben, dann völlig verzweifelt und zornig waren, aber letztendlich auch gar nichts machen können. Hier zeigt sich eine Spaltung in den islamischen Gesellschaften, die heutzutage weltweit beobachtbar ist und die eine Folge ist dieses Islamisierungstrends in den vergangenen drei, vier Jahrzehnten, und eine viel konkretere Folge als das, was oft als eine Bedrohung für den Westen empfunden wird. Das ist in allererster Linie eine Bedrohung für lokale islamische Kulturen. Und in Timbuktu sehen wir das jetzt momentan ganz besonders deutlich.

von Billerbeck: Das sagt Rüdiger Seesemann, Professor für Islamwissenschaften mit Schwerpunkt Afrika an der Universität Bayreuth. Ganz herzlichen Dank!

Seesemann: Ja, keine Ursache, ich danke Ihnen!

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