"Es geht eigentlich fast bloß noch mit Geschmacklosigkeit"

F.W. Bernstein im Gespräch mit Jürgen König |
Mit Parodien sei der Politik kaum mehr beizukommen, sagt der Lyriker und Zeichner F. W. Bernstein. Sie werde gemacht von "stromlinienförmigen Leuten", die stundenlang "im Leerlauf reden" können und sich "keine Blöße" geben. Es fehlten die angreifbaren, kantigen Gestalten der Anfangszeit wie Kohl und Strauß, sagte er anlässlich des 30. Geburtstags des Satiremagazins "Titanic".
Jürgen König: 30 Jahre "Titanic". Ich freue mich sehr, dass ein Mitarbeiter der allerersten Stunde unser Gast ist: der Zeichner und Lyriker F. W. Bernstein. Herr Bernstein, schön, dass Sie gekommen sind.

F. W. Bernstein: Danke schön!

König: Trau keinem über 30 – gehört die "Titanic" ins Museum?

Bernstein: Natürlich Museum, da sind die Ewigkeitswerte drin, und "Titanic" gehört inzwischen dazu, also mit den vielen Hits, die da im Lauf von 30 Jahren kamen. Und zudem, das "Trau keinem über 30" – es ist ein Bonmot, ist prima, aber hat noch nie gestimmt.

König: Das stimmt. Wenn man heute www.titanic-magazin.de anklickt, dann blickt einen als Startcartoon ein adrett gekleideter junger Mann mit langen Haaren an. Text dazu: "Terroranschlag abgesagt, Al Qaida bricht erstes Wahlversprechen." Ist das so Witz nach Ihrem Witz?

Bernstein: Ich weiß nicht, ob der Witz immer stubenrein, sauber und salonfähig sein muss, verglichen mit den Realitäten. Und ich darf erinnern, was das andere Urgestein der "Titanic", Pit Knorr, von Anfang dabei, was er als Slogan der "Titanic" mit auf den Weg gegeben hat, nämlich das große, das entschiedene Ja zum Nein.

König: Schauen wir ein wenig zurück, Herr Bernstein. Sie haben seit den Anfängen, seit 1979 "Titanic" gegründet wurde, mitgearbeitet, hatten zuvor für das Satiremagazin "Pardon" gearbeitet, waren auch Redakteur dort. "Pardon" hatte dann irgendwann nicht mehr so den richtigen Biss, "Titanic" wurde gegründet von Robert Gernhardt, Peter Knorr, Chlodwig Poth, F. K. Waechter und Hans Traxler. Was gab damals den Ausschlag für diese Neugründung? Warum ging "Pardon" nicht mehr, warum musste etwas Neues her?

Bernstein: Ja, es war Zeit, es fehlte ein Satireorgan, eine Fachzeitschrift für Satire in Deutschland. Es ging sehr lange drum, das Ganze muss ja finanziert werden natürlich. Die ökonomische Geschichte von "Titanic", das ist ein ganz besonderer Krimi noch. Und das hat dann geklappt so Ende 79. Und die Leute, die es gemacht haben, die Sie gerade aufgezählt haben, sind also alles "Pardon"-Veteranen. Und die haben – also ein Grund, der auch zur Ökonomie gehört – die haben selber mit Einlagen von der Sperrminorität des Ganzen gehabt und haben da draus auch ein ganz prima Redaktionsstatut gemacht, was also immer noch funktioniert, diese Mitbestimmung der Redaktion, lang bevor das im Spiegel- und Springer-Verlag dann schiefging oder gut ging.

König: Zum Jubiläum werden ja die großen Geschichten gerne und immer wieder erzählt, also die vielen Birne-Kohl-Titelbilder, der Inkognitoauftritt von Chefredakteur Bernd Fritz bei "Wetten, dass …?", wo er meinte, die Farbe eines Buntstiftes am Geschmack erkennen zu können, oder die Bestechungsfaxe, die geschummelten, an die FIFA-Delegierten 2000, um die Fußball-WM nach Deutschland zu holen, oder 2004 die Gründung der Partei "Die Partei", die wirklich mit dem Anspruch auftrat, alle anderen Parteien überflüssig zu machen. Das waren Großtaten ohne Zweifel. Können Sie mal die Stimmung versuchen wiederzugeben, die damals herrschte, in dieser Spaßguerilla, dieser Begriff wurde da ja auch kreiert?

Bernstein: Sie bringen jetzt so ziemlich alles, was bis auf den heutigen Tag läuft. Was ich mitgekriegt habe, war, dass es am Anfang also ein reines Printmedium war und wir allmählich nicht so ganz auf dem Laufendem waren, was die anderen Medien betraf … Was es von Anfang an gab, das war jeden Monat eine Preview, würde man heute sagen, im Club Voltaire in Frankfurt, aber mehr und mehr waren die anderen Medien wichtiger, also bis zur Parteigründung – die Öffentlichkeitsarbeit, die Telefoninterviews und anderes. Wir haben erst mal nur geschrieben und gezeichnet. Und diese Entwicklung, die sicher nicht bloß bei "Titanic" da ist, sondern überhaupt in den Medien, die bringen die letzten Generationen, hoffentlich nicht die letzten, also die neuesten Generationen von Redakteuren mit, spielen damit. Da gibt's nun viele von uns Älteren, die sagen, das, was im Heft übrig bleibt davon, das ist vielleicht nicht das Schärfste, was man sich vorstellen kann, aber es gehört inzwischen dazu – der Internetauftritt und die Lesungen, die sind fast immer auf Lesetourneen, die Jungs. Und ja, hinzuweisen wäre auch, dass der Chefredakteur, der Leo Fischer, der ist jünger als das Medium.

König: Der Internetauftritt ist bedeutend, finde ich, weil er täglich aktualisiert wird. Also zum Beispiel konnte man jetzt nach der Bundestagswahl in der Rubrik "Fakt und Frage" lesen: "Fakt: Die SPD erlebt die größte Krise seit vielen Jahren. – Frage: Wann kommt diese Katastrophe endlich als Event-Zweiteiler auf Sat.1 – mit Heino Ferch als linkem Linken, einem Gastauftritt Franz Münteferings als Seeheimer Greis und Veronica Ferres in einer Glanzrolle als Wahlurne?" Finden Sie das lustig?

Bernstein: Ja. Finde ich nicht schlecht. Auf jeden Fall … doch. Es gab doch in dem letzten Jahr so ein dickes Buch von einem Jan Fleischhauer über die Linke, wo er die Linke madig macht und Ideologiekritik betriebt, und da ist auch ein Kapitel der Humor der Linken: Also Linke haben keinen Humor, das sind alles so Bekenntnisfuzzis, wenn schon. Und was Sie eben hier zitiert haben, das würde doch den Fleischhauer, der da sehr ignorantisch ist, was den Humor betrifft, widerlegen.

König: Hat sich Ihr Humor verändert in den letzten 30 Jahren?

Bernstein: Das wüsste ich nicht. Ich werde allmählich ja als Klassiker gehandelt, da ist es mit Witz und Humor auch nicht mehr so weit her. Na ja, man wird älter mit der Zeit, sicher, vielleicht auch milder. Von uns älteren Herrschaften ist eigentlich bloß einer polemisch und hart geblieben, das ist Eckhard Henscheid, der in der "Titanic" allenfalls noch in der Humorkritik mitmacht und gelegentlich mit kulturkritischen Glossen.

König: Das hat mal Wiglaf Droste über Sie, Herr Bernstein, geschrieben: Es ist wohl diese arglose Komik, diese Absage an jede Form der Wichtig-Wichtigkeiten, die einen so rückhaltlos für F. W. Bernstein einnimmt. Nun herrscht ja an Wichtig-Wichtigkeiten kein Mangel, sie sind eher groß geworden – fällt Ihnen zum Beispiel zur gelb-schwarzen Republik irgendwas Lustiges ein? Ich will darauf hinaus: Hat sich nicht die Realität irgendwie ein bisschen geändert, dass der "Titanic"-Humor – ich weiß nicht, ich will nicht ungerecht sein – aber vielleicht manchmal so ein bisschen stumpfer geworden ist?

Bernstein: Ich weiß nicht, ob das stimmt, das müssten die Hunderttausende von Lesern und Käufern … Ich finde auch oft … Aber was soll man? Soll man die noch überbieten, den Unfug, der in der Öffentlichkeit von den Politikern gemacht wird? Es fehlen so kantige Gestalten wie zur Anfangszeit, Kohl und Strauß, die waren immer angreifbar.

König: Sie meinen als Objekte des Spotts.

Bernstein: Als Objekte. Jetzt wird die Politik doch gemacht von sehr stromlinienförmigen Leuten, die können im Leerlauf reden, stundenlang, geben sich keine Blößen. Und da was dagegen zu machen, mit Parodie ist da kaum mehr dagegen anzukommen. Es geht eigentlich fast bloß noch mit Geschmacklosigkeit.

König: Aber es geht der "Titanic" ökonomisch – weil Sie das Stichwort gaben – nach wie vor gut?

Bernstein: Ich hoffe es, ja. Ich kenne keine Zahlen, ich will's auch gar nicht so genau wissen, aber sie erscheint nach wie vor. Die Honorare können bezahlt werden, es gibt noch keine Kurzarbeit in der Redaktion. Ja, so soll's weitergehen.

König: Dann hoffen wir, dass das so weitergeht. Eine letzte Frage habe ich an Sie: Der legendäre Zweizeiler mit den "schärfsten Kritikern der Elche", die früher selber welche waren, wo ist der entstanden?

Bernstein: Der ist auf einer Autofahrt von Paris nach Straßburg entstanden, genau im Februar 65 war das. Da hatten wir ein Diktaphon dabei. der Gernhardt, Waechter und ich …

König: Das muss eine wunderbare Besetzung in dem Auto gewesen sein.

Bernstein: … und haben improvisiert dort. Es sollten Tiergedichte sein. Und da kamen also die ganzen Tiergedichte, die später im Arnold Hau kamen, die sind da entstanden. Und mir ist das eingefallen.

König: Einfach so?

Bernstein: Ja, da kamen noch ganz andere Sachen heraus. Und das war dann … der Gernhardt zog gleich nach, "die schärfsten Kritikern der Molche" waren früher ebensolche, aber ich war Erster.

König: Vielen Dank! Der Lyriker und Zeichner F. W. Bernstein im Gespräch. Die "Titanic" kommt ins Museum. Die Ausstellung "Das Erstbeste aus 30 Jahren" ist im Caricatura Museum in Frankfurt am Main zu sehen, vom Sonntag an bis zum 31. Januar.